Missing Link: Kooperationen mit der KI-Macht China werden zum heißen Eisen

Früher kam die Kanzlerin zum Abschluss von Forschungspartnerschaften zu Künstlicher Intelligenz mit chinesischen Partnern am DFKI – jetzt kommt der Liquidator.

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(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Die Sicht auf China hat sich hierzulande in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Bekamen westliche Manager kurz nach der Jahrtausendwende noch leuchtende Augen, wenn man die "Werkbank der Welt" mit ihrem gigantischen Markt in Südostasien nur erwähnte, sind der Hype und die Euphorie rund um das "Wirtschaftswunderland" größtenteils verflogen. Dies gilt auch für die Technologiepolitik, wo bis vor Kurzem viele deutsche Unternehmen noch Partnerschaften und Joint Ventures mit chinesischen Firmen etwa im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) massiv vorantrieben.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Ein Beispiel dafür ist das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Das hauptsächlich vom Bund und den Ländern finanzierte Unternehmen war lange sehr chinafreundlich unterwegs. 2017 unterzeichnete es im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem chinesischen Ministerpräsidenten Keqiang Li eine Absichtserklärung zu einer Zusammenarbeit im Bereich der visuellen KI mit der Firma 4DAGE Technology, die 3D-Technologien entwickelt.

"Eckpfeiler sind neben dem regelmäßigen Informations- und Wissensaustausch die Förderung gemeinsamer Forschungsarbeit, die Planung und Durchführung gemeinsamer Projekte, der Aufbau eines gemeinsamen Technologiemanagements und die Identifikation langfristiger gemeinsamer Forschungsfelder", hieß es damals. Die gemeinsamen thematischen Schwerpunkte sollten auf Forschungsfeldern wie Augmented Reality und Visual Computing liegen. Die Anwendungsfelder schienen riesig und erstreckten sich dem Plan nach etwa auf Tourismus, virtuelle Museen, Stadtplanung und E-Commerce.

2018 gab es eine ähnliche Meldung. Die Honoratioren waren diesmal zwar nicht ganz so hoch angesiedelt, aber immerhin kam der damalige Pekinger Vize-Bürgermeister Yin Hejun nach Berlin, um der "feierlichen" Unterzeichnung eines Vertrags zur erweiterten Kooperation zwischen dem DFKI und dem Artificial Intelligence Technology Center (AITC) beizuwohnen. Das Forschungsunternehmen aus Saarbrücken erläuterte dazu, dass das AITC im April 2017 vom DFKI-Wissenschaftsdirektor Hans Uszkoreit gemeinsam mit Hanyan Zhang gegründet worden sei, "um KI-Technologien aus den Forschungslaboren und technologischen Vorreiterunternehmen in die Industrie und Gesellschaft zu bringen".

Ein besonderer Fokus des Pekinger Zentrums liege "auf der Kommerzialisierung von Technologien aus Deutschland in der chinesischen Wirtschaft mit Hilfe von Geschäftsmodellen, die sowohl den Schöpfern als auch den Nutzern dieser Technologien zugutekommen", führte das DFKI aus. Bisherige Forschungsschwerpunkte des AITC seien die Entwicklung von Smart-Service-Systemen und die Kreation einer Big-Data-Plattform. Nun wolle man gemeinsam Technologieentwicklung betreiben. Dazu gehörte das Vorhaben, das am DFKI entwickelte DARE-System zur Relationsextraktion aus Texten zu erweitern. Entstehen sollten "gemeinsame Labs und Testumgebungen zu Themen wie Smarte Produktion oder Industrie 4.0".

Im gleichen Zuge wurde eine Berliner Dependance, das AITC Europe, gegründet. Beim AITC selbst handelt es sich laut dessen Beschreibung auf der Firmenwebseite um ein "deutsch-chinesisches Joint Venture", das als "offizielle Vertretung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in China" fungiere. Es ziele darauf ab, "modernste Forschungsergebnisse und neueste Technologien zu nutzen, um Startups, reife Unternehmen und aufstrebende Talente zu unterstützen".

Das AITC betreibt seit mehreren Jahren als mehr oder weniger offizielle chinesische DFKI-Repräsentanz nicht nur ein Büro in Peking, sondern mit dem weiteren Unternehmen Giance dort auch schon ein "AITC/DFKI-Spin-off". Zu den Mitgründern gehört Uszkoreit, der mit seiner chinesischen KI-Forscherkollegin Feiyu Xu verheiratet ist und mittlerweile die meiste Zeit in der chinesischen Hauptstadt lebt. Auf der Giance-Webseite ist zu lesen, dass das Start-up auf langjähriger Forschung am DFKI, der Universität des Saarlandes und der Universität Peking aufbaue.

Die Entwicklung der eigenen Technologie sei vor ihrer Kommerzialisierung "durch Projektförderungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zwei Google-Forschungspreise, Industriekooperationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Zuschüsse der chinesischen Nationalen Forschungsstiftung und F&E-Aufträge von Industrieunternehmen unterstützt" worden, heißt es dort weiter. Einschlägige Forschungsergebnisse würden "in mehr als 40 internationalen Publikationen dokumentiert". Auch hier ist von einem "Berlin-Team" die Rede, das bereits eine neue Generation eines Produktionssystems mit verbesserten Algorithmen für natürliche Sprachübersetzung und Wissensverarbeitung fertiggestellt habe.

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Im Bundesforschungsministerium (BMBF) sieht man die mit dem DFKI in Verbindung gebrachten Initiativen im Reich der Mitte skeptisch. Dies ist kaum verwunderlich in einer Zeit, in der China im Westen verstärkt mit der auch technologisch gestützten Unterdrückung der muslimischen Bevölkerungsminderheit der Uiguren in der autonomen Region Xinjiang sowie dem Kampf gegen die Demokratiebewegung in Hongkong Verbindung gebracht wird. Auch der massive Ausbau von Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung in China und die Huawei-Sicherheitsdebatte sorgen immer wieder für Schlagzeilen.

"Unserer Kenntnis nach betreibt das DFKI kein Joint Venture mit chinesischen Unternehmen und auch keine Niederlassung in China", erklärte so eine Sprecherin von Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) gegenüber heise online. Auf der AITC-Webseite werde zwar "suggeriert", dass es sich dabei um eine Filiale des DFKI in China handle: "Diese Information ist jedoch nicht korrekt."

"Zum Unternehmen Giance liegen uns keine Informationen vor", ist vom BMBF weiter zu hören. Nach aktueller Kenntnis erhalte diese Firma keine Förderung durch das Ressort. Der Firmenname taucht aber zusammen mit dem DFKI in der Liste der Unternehmen aus den Expertengruppen für das deutsch-chinesische Industrie-4.0-Projekt auf, das unter anderem das BMBF finanziell unterstützt.

Generell sei das DFKI gehalten, seine mit Hilfe von Bundesmitteln erzielten Forschungsergebnisse wirtschaftlich zu verwerten, lautet die Ansage aus dem Haus von Karliczek. Das geschehe dort gewöhnlich durch auf den Ergebnissen aufbauender Auftragsforschung für andere Unternehmen oder durch die Ausgründung von Spin-off-Unternehmen, was eine Kooperation mit ausländischen Firmen nicht ausschließe.

Die Sprecherin betont zugleich: "Allerdings verpflichten wir unsere Zuwendungsempfänger – also auch das DFKI – regelmäßig auf die Einhaltung außenwirtschafts- und exportkontrollrechtlicher Regelungen. Wir weisen zudem darauf hin, dass unkontrollierter Know-how-Abfluss in sensiblen Bereichen verhindert werden muss."

Allgemein legt die Bundesregierung laut dem BMBF großen Wert auf internationale Wissenschaftskooperationen, solange diese "auf Augenhöhe zum ausgewogenen beiderseitigen Nutzen" erfolgten. In diesem Lichte schrieb das BMBF etwa im November ein Förderprogramm für deutsch-chinesische Kooperationen zur intelligenten Fertigung und Smart Services aus. Dabei steht die Arbeit an Lösungen mit KI und Big Data mit im Vordergrund. Auch bei der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern müssen laut dem Ministerium aber "die Grundprinzipien und Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und die Einhaltung des grundgesetzlichen Rahmens befolgt werden".

Angesichts der Strategie Pekings zur sogenannten zivil-militärischen Integration sei diese Auflage bei Schlüsseltechnologien von besonderer Relevanz, unterstreicht das Forschungsressort. "Sie verpflichtet chinesische Unternehmen dazu, mit zivilem Wissen und zivilen Technologien Beiträge zur Modernisierung der militärischen Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee zu leisten. Dies hat zur Folge, dass Investitionen teilweise strategisch gezielt getätigt oder angebahnt werden, um Zugriff auf Dual-Use-Technologien für militärische Anwendungen zu erhalten". Damit könne nicht ausgeschlossen werden, dass Ergebnisse aus Kooperationen in Bereichen wie Künstlicher Intelligenz im Sinne dieser Strategie genutzt würden.

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) teilte mit, "in die Gründung des AITC nicht eingebunden gewesen" zu sein. Von Fördermitteln, die in die Firma Giance geflossen seien, habe man keine Kenntnis. Zu unternehmerischen Entscheidungen des DFKI nehme man keine Stellung. Es handle sich um eine öffentlich-private Partnerschaft, an der viele deutsche Firmen als Gesellschafter beteiligt seien. Konkrete Bedenken aus diesem Bereich zu einem Know-how-Abfluss seien nicht bekannt. Digitale Souveränität stelle für das BMWi ein wichtiges politisches Ziel dar. Dazu zähle, dass Firmen "informierte Entscheidungen über Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Unternehmen und Investoren treffen".

"Deutsche Unternehmen und Forschungsinstitutionen tragen auch im Rahmen internationaler Kooperationen eine Verantwortung dafür, dass ihre Technologien ausschließlich in einer Weise eingesetzt werden, dass der grundgesetzliche Rahmen befolgt und grundlegende Menschenrechte gewahrt bleiben", mahnte das Auswärtige Amt. "Hierzu leisten die jeweils zuständigen Ministerien entsprechende Sensibilisierungsarbeit."

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Zu Gerüchten, dass das DFKI eine breit angelegte Kooperation mit Huawei plane, wollten sich weder das BMBF noch das BMWi äußern. Involviert sind der umstrittene chinesische Technologiekonzern und das DFKI bereits in die Initiative SmartFactory, die an der "autonomen Produktion" und der "Fabrik der Zukunft" arbeitet. Eine entsprechende Demonstrations- und Forschungsplattform betreut das DFKI in seiner Niederlassung in Kaiserslautern. Auch in der Plattform Industrie 4.0 sind das DFKI und Huawei zusammen Organisationen wie der China Telecommunications Corporation, Shenzhen Polytechnic, Haier, dem Wuhan Institute of Technology, Bosch, der Deutschen Telekom, SAP und Siemens in der deutsch-chinesischen Projektsparte vertreten.

"China ist ein wichtiger Player im Bereich der KI-Forschung", stellte der DFKI-Chef Antonio Krüger gegenüber heise online klar. Man arbeite in Forschungsfragen eng mit wissenschaftlichen Institutionen weltweit zusammen. Zugleich hob Krüger aber hervor: "Das DFKI unternimmt zur Zeit keine neuen Aktivitäten in China mit wirtschaftlichen Partnern."

Parallel zu der laufenden Anfrage beim DFKI gab es Ende Februar eine Handelsregisterbekanntmachung zum AITC Europe mit Sitz in Berlin: Zu dessen Rechtsverhältnis heißt es in der Unternehmensrolle nun: "Die Gesellschaft ist aufgelöst." Zu den Liquidatoren zählt Professor Uszkoreit. Das AITC China läuft aber weiter, auch die vom BMBF als "Fake News" gebrandmarkten Angaben zur vermeintlichen DFKI-Repräsentanz finden sich auf dessen Homepage nach wie vor. Die Frage, welche Fördergelder möglicherweise in das Pekinger KI-Zentrum geflossen sind und wer dieses finanziert, beantwortete das DFKI nicht.

"2018 war die weltpolitische Situation noch eine andere", erklärte DFKI-Sprecher Reinhard Karger zu der damaligen Vertragsunterzeichnung mit dem AITC. Die Lage habe sich "aus vielen Gründen verändert, und wir tragen dem Rechnung". Die "Anpassung der Darstellung" auf externen Webseiten müsse man dabei noch aktiver verfolgen. Zum spezifischen Punkt des potenziellen Abflusses von Know-how aufgrund der Dual-Use-Vorgaben Pekings lägen "keine Informationen" vor.

Im November meldete der Bremer Senat allerdings auch, dass ein deutsch-chinesisches Konsortium von Software-Herstellern bei der Jacobs University der Hansestadt einsteigen und den Betrieb der Privathochschule auf Künstliche Intelligenz ausrichten wolle. Beteiligt seien SAP, das chinesische IT-Systemhaus Neusoft und das DFKI. "Gespräche wurden und werden geführt", bestätigte Karger. Es handle sich um einen laufenden Prozess, zu dem es derzeit aber nicht viel zu sagen gebe.

In den Nuller-Jahren sei die Zusammenarbeit mit China noch eher gesucht als vermieden worden, weiß der DFKI-Sprecher. In dieser Zeit habe das Forschungsunternehmen etwa unter dem Aufhänger Compass2008 "hochinteressante Projekte" mit Partnern im Reich der Mitte durchgeführt. Als Ansprechpartnerin beim DFKI fungierte mit Feiyu Xu die Gattin Uszkoreits, der selbst auch an Vorhaben im Rahmen der Zusammenarbeit teilnahm.

Im Kern ging es darum, verschiedene mehrsprachige mobile Informationsdienste für die Olympischen Spiele in Peking 2008 zu entwickeln. Dazu gehörte ein digitaler Reiseführer für Besucher der chinesischen Hauptstadt, der auf mobilen Endgerät wie einem PDA oder Smartphone lief. Auch einen "Shopping Assistant" programmierten die Beteiligten, mit dessen Hilfe Touristen ohne Sprachkenntnisse ein Verkaufsgespräch mit einheimischen Anbietern führen können sollten. Ein "Smart Dining Service" half Olympiade-Begeisterten, vor Ort passende ortsabhängige Dienste über Mobilgeräte zu finden. Die Experimente finanzierten das BMBF, das chinesische Ministerium für Wissenschaft und Technologie sowie die teilnehmenden Firmen, zu denen auf Pekinger Seite der Konsortialpartner Capinfo gehörte.

"Mich faszinieren die Entschiedenheit, der Enthusiasmus und die Geschwindigkeit, mit der die KI hier in China aufgenommen, weiterentwickelt und in den Markt gebracht wird", verriet Uszkoreit im November 2019 in einem Interview mit dem von der Bundesregierung betriebenen Portal "deutschland.de", das als "Visitenkarte" der Bundesrepublik im globalen Internet dienen soll. Die Erfolge lägen vor allem in der Kommerzialisierung der KI-Methoden: "Die größten Erfolgsgeschichten kommen aus den Bereichen der Bild- und Videoverarbeitung, dem E-Commerce, der Sprachtechnologie und verschiedensten Internetdiensten."

Die deutschen Stärken sieht der Computerlinguist dagegen vor allem "in der tiefen Durchdringung und Beherrschung der Grundlagen der KI und in hochkomplexen industriellen Anwendungen". Dies passe gut zu den Bedürfnissen "der stärksten deutschen Industrien wie Fahrzeug- und Maschinenbau oder Chemie".

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Die Kombi China-Deutschland erachtete Uszkoreit vor anderthalb Jahren so als Traumteam: "Durch den deutschen Schwerpunkt auf KI für Industrie 4.0 und die intelligente Transformation großer Unternehmen gibt es hervorragende Anknüpfungspunkte. In diesen Gebieten liegt die chinesische KI-Forschung stark zurück, während sie in der Internet-KI und Computer Vision, also dem Maschinellen Sehen, Deutschland bereits überholt hat." Das DFKI habe so etwa den chinesischen IT-Konzern Lenovo dabei unterstützt, einen Wissensspeicher in Form eines "Knowledge Graph" für einen Chatbot zu entwickeln, "der jetzt bereits in 30 Ländern und fünf Sprachen in der Kundenbetreuung eingesetzt wird". Der Forscher fungiert auch als Chef-KI-Berater für Lenovo.

"Die deutsche Industrie sieht eine große Chance in der Kooperation auf diesen Gebieten", meinte Uszkoreit in Bezug auf die KI-Implementierungsstrategie Chinas, die das Land des Drachens längst zu einer "KI-Supermacht" neben dem Silicon Valley gemacht hat. Diese These vertritt zumindest der in Taiwan geborene US-amerikanische Informatiker Kai-fu Le. Die deutsche Politik muss sich laut dem DFKI-Direktor so "nur von der Angst befreien, dass unsere wertvolle KI-Technologie nach China abfließen könnte". Es gelte, gemeinsam mit der Wissenschaft und der Industrie Modelle der Zusammenarbeit zu entwickeln, "sodass die Technologien zu beiderseitigem Nutzen schnell und bestmöglich eingesetzt werden".

China sei schon so stark in KI, dass Kooperationen immer auch Vorteile für Partner in Europa und den USA mit sich brächten, ergänzte Uszkoreit in einem Webinar des Mercator Institute for China Studies (Merics) im Juli 2020. Sämtliche IT und vor allem Künstliche Intelligenz seien zwar prinzipiell auch nutzbar für militärische Anwendungen und somit Dual-Use. Das einschlägige Wissen verbreite sich aber sowieso, da die meiste KI-Forschung offen erfolge.

Die ethischen Rahmenwerke dafür seien in Europa und China sehr ähnlich, erklärte der Wissenschaftler. Die eine Seite stufe aber den Datenschutz höher ein, die andere lege mehr Wert auf Sicherheit und das Gemeinwohl. Groß reguliert werden müsse die Technik nicht, allenfalls der Missbrauch biometrischer Gesichtserkennung ausgeschlossen werden. Im Deutschlandfunk räumte Uszkoreit aber auch ein: Wenn man die Gesetze ganz genau nehme, habe die chinesische Regierung "Zugriff auf alles". Ernst werde es vor allem bei der Sorge, dass Peking KI künftig auch zur Überwachung des Internets verwenden könnte.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hatte dagegen schon im Januar 2019 einen härteren Kurs gegen China gefordert. Das System hierzulande müsse "widerstandsfähiger" gemacht werden, schrieb die Lobby-Organisation in einem Grundsatzpapier. "Zwischen unserem Modell einer liberalen, offenen und sozialen Marktwirtschaft und Chinas staatlich geprägter Wirtschaft entsteht ein Systemwettbewerb", heißt es darin. China entwickle sich entgegen früheren Erwartungen absehbar nicht hin zu mehr Liberalismus, sondern verzerre Märkte und Preise durch staatliche Eingriffe.

Peking bemüht sich seit Jahren, über Firmenkäufe ausländische Spitzentechnologie zu übernehmen. Zudem versucht die kommunistische Regierung, etwa über das Projekt der neuen Seidenstraße über Investitionen in die Infrastruktur etwa in Europa und Afrika politischen Einfluss zu gewinnen.

Die Bundesregierung reagierte vor allem mit Blick auf China damit, zum Schutz vor Spionage und Know-how-Verlust die Hürden für ausländische Investoren zu erhöhen. Sie senkte für sensible Bereiche die Schwelle, von der an ein Anteilserwerb geprüft werden kann. Der Bundestag beschloss eine entsprechende Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes im Juni 2020. Das EU-Parlament hat zudem gerade die Dual-Use-Verordnung verschärft und den Export von Überwachungstechnologien erschwert.

Bis 2049, zum 100. Geburtstag der Volksrepublik, will China technologisch Weltspitze sein. Im Sommer 2017 präsentierte der chinesische Staatsrat seine nationale KI-Strategie. Schon bis 2020 sollte das Land demnach die USA ein- und bis 2025 überholen. Beobachtern zufolge ist dies zumindest bei Kerntechnologien wie Chips, die für KI benötigt werden, sowie bei offenen Modellen fürs Maschinenlernen wie PaTorch, Cuda und Tensorflow bislang nicht gelungen.

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Von 2030 an will China trotzdem bei KI weltweit führen. Dies lässt sich das Reich der Mitte einiges kosten. Um die Chipindustrie leistungsfähiger zu machen, hat Peking Finanzspritzen in Höhe von 16,4 Milliarden Euro angekündigt. Allein die Stadt Tianjin, die als Seehafen Pekings zu den dynamischsten Industriegebieten der Volksrepublik gehört, hat einen Fonds von 12,8 Milliarden Euro für KI-Förderung aufgelegt. Der Plan "China Standards 2035" sieht zudem vor, dass die Volksrepublik globale Normen für aufkommende Technologien wie KI, 5G und das Internet der Dinge setzt.

Der Sinologe David Missal will derweil mit dem Portal "Chinas Geld an deutschen Unis" Licht in das Dunkel rund um die seiner Ansicht nach problematischen Kooperationen sponsored by der Kommunistischen Partei bringen. Der Journalist fragt mithilfe von FragDenStaat auf Basis der Informationsfreiheitsgesetze der Bundesländer die 100 größten deutschen Hochschulen an, wie viel Finanzspritzen sie aus dem Reich der Mitte bekommen. Dabei hat er bereits aufgedeckt, dass jährlich rund zwei Millionen Euro aus China an hiesige Universitäten fließen.

Spitzenreiter bei einschlägigen Zuwendungen sind demnach momentan die Georg-August-Universität Göttingen, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und die TU Berlin. Sie erhalten jedes Jahr mehr als 250.000 Euro. Dafür nehmen sie Missal zufolge Knebelverträge in Kauf, die zu Selbstzensur und "gefälliger Wissenschaft" führen könnten. Etliche Unis arbeiteten zudem mit Huawei zusammen, obwohl der Konzern mit Sicherheitsbehörden in Xinjiang unter einer Decke stecke. Nicht immer ist der Aktivist erfolgreich: So verweigert etwa die Uni Mainz die Herausgabe von Infos über Drittmittelgeber. Missal klagt dagegen mithilfe der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Ihm geht es ums Ganze: "Das gesamte Ausmaß der Einflussnahme können wir nur erfahren, wenn die Universitäten ihren Informationspflichten nachkommen."

(bme)