Missing Link: Nützes Gedöns (II.) – Tastentier lernt sprechen

Monatelang grübelte Redakteur Andreas Wilkens, ob er sich eine Apple Watch zulegen soll. Vor einem Jahr kaufte er sich eine. Bereut hat er das nicht.

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Nützes Gedöns II: Tastentier lernt sprechen

Wie praktisch – ein Online-Ticket am Handgelenk.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Moment, da muss ich erst den Scanner holen", sagte die Einlasskontrolleurin. Früher wurden Menschen mit solcher Aufgabe Kartenabreißer genannt, aber neuerdings bietet mein Lieblingskino an, Eintrittskarten auch online zu kaufen, daher neige ich nun zu einer weiter gefassten Tätigkeitsbeschreibung. Sämtliche Filmfreunde, die vor uns ins Kino strebten, zeigten an diesem Abend ein Papierticket vor; dann kam ich dran, schob den Ärmel hoch, tippte und wischte an meinem Handgelenk herum und ließ auf der Smartwatch einen QR-Code aufscheinen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Ja, ich habe mir eine Apple Watch gekauft, also meine Bedenken vom November 2016 in Erwägungen verwandelt, in ein Vorhaben umgemünzt, dann in einen Plan und schließlich in die Tat. In dem Herbst schlich ich noch im Elektromarkt um die Uhr herum, in dem darauffolgenden Winter erschloss ich mir Youtube. Das hatte ich bis dahin als Kind des seriellen Fernsehens nur rudimentär benutzt, bewegte Bilder am Rechner zu schauen war nicht so meine Sache, aber ungefähr zu der Zeit hatte ich mir mein erstes Smart-TV zugelegt, auf dem Youtube vorinstalliert war. So eröffnete sich mir die Welt der mehr oder weniger professionellen Unboxing-, Rezensions- und Erfahrungsberichtsfilmchen, in die ich drei Abende lang eintauchte. Aus der Parallelwelt wieder hervorgekommen war der Entschluss gereift, mir ein verspätetes Weihnachtsgeschenk zu gönnen. So lautete meine offizielle Selbstrechtfertigung und wenn die nicht fruchtete, könnte ich mich immer noch damit beschwichtigen, dass es für meinen Beruf nicht abträglich ist, auch in gadgetlicher Hinsicht neue Wege zu beschreiten.

So trage ich nun die Uhr spazieren und wollte mit ihrer Hilfe an diesem Abend eingelassen werden. Die Kontrolleurin war aber darauf offenbar nicht gefasst und ließ die Schlange erst einmal weiter warten, um den Scanner zu holen. Nach etwa anderthalb Minuten, in denen hinter uns langsam Murren aufkam, kehrte die Frau zurück und hielt den Scanner über die Uhr. Ich tippte und wischte an meinem Handgelenk, bis der QR-Code wieder sichtbar wurde. Es mag noch eine weitere Minute vergangen sein, in der nicht nur lauter gemurrt wurde, sondern auch jeglicher Scanversuch vergeblich, bis die Kontrolleurin sagte: "Das funktioniert nicht. Am besten gehen Sie zur Kasse, um das zu klären."

Auch gut, dann würde mein Schrittzähler ein klein wenig zu tun haben. Der summiert seit November 2014 in meinem iPhone dauernd vor sich hin, zunächst heimlich, bis ich mich irgendwann einmal intensiver mit der App "Health" beschäftigte und sah, wie viel ich seit etwa vier Monaten abgelatscht hatte; im Tagesdurchschnitt 7124 Schritte.

Mittlerweile erledigt die Apple Watch den Zähljob im Duett mit dem iPhone und ich habe mir eingebürgert, öfters nachzuschauen, wie viele Schritte ich an einem Tag bereits absolviert habe. Um ehrlich zu sein, mitunter mehr als täglich. Ganz im Sinne Apples, das mich durch seine Uhr gesünder machen will. Zum Tagesabschluss auf dem Sofa sagt mir die Firma, wenn ich noch X Minuten spazieren ginge, könnte ich den Bewegungsring schließen. Und wenn ich will, erinnern mich die Cupertiner daran, ab und zu mal zu atmen.

An der Kinokasse schilderte ich das Einlassproblem. Ich sollte meine E-Mail-Adresse oder meine Reservierungsnummer nennen und bekam zwei Abriss-Eintrittskarten für meine Begleitung und mich. Am Einlass hatte sich die Warteschlange inzwischen aufgelöst, sodass wir die Karten umstandslos vorzeigen und abreißen lassen konnten.

Vermutlich werden sich solche Komplikationen wie in dem Kino mit der Zeit erledigen. Falls es so kommt, würde einer der Faktoren meiner Kaufentscheidung vollends zum Tragen kommen. Nämlich der, das iPhone dort lassen zu können, wo es steckt; winters in der Tiefe der Mantelinnentasche, sommers im Umhängebeutel, wenn eine Whatsapp-Nachricht, eine E-Mail oder eine Message hereintrudelt, um die Musik zu pausieren, Kalendereinträge zu überprüfen und Erinnerungen vibrieren zu lassen, die Temperatur abzulesen und das Wetter vorherzusehen, Shazam zu starten und den DB Navigator Verspätungen verkünden zu lassen; um einfach mal nach der Uhrzeit zu schauen – zumal es nach meinem Eindruck im Straßenbild immer weniger Uhren gibt – oder eben um das Online-Ticket vorzuzeigen.