Missing Link: Nützes Gedöns (V.) – Sweet streams are made of this

Von "Dream a little dream" bis "Life's a dream": eine kleine Wanderung durch eine technische und kulturelle Musiksozialisation.

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Nützes Gedöns V.: Sweet streams are made of this

Life goes round.

(Bild: heise online / Andreas Wilkens)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

I like mondays. Einige meiner Freunde mögen jetzt sofort nicht weiterlesen, denn in ihren Augen würde ich sonst endgültig zum Banausen. Ich freue mich auf Montage, weil mir dann mein Musikstreaming-Anbieter meinen neuen "Mix der Woche" anbietet. Darunter sind oft Stücke von Bands, die ich bis dahin nicht kannte. Höre ich dann das gesamte Album, finde ich die restlichen Stücke weniger ansprechend als das für mich ausgewählte. Verblüffend, zumal sich das Phänomen diametral zu den Mainstream-Radios oder Diskotheken-DJs verhält, die meistens jene Lieder in ihre heavy rotation aufnehmen, die ich gegenüber anderen auf den jeweiligen Alben nicht so doll finde.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Natürlich fummelt am anderen Ende dort in Schweden, wo Spotify sitzt, kein Mensch mir jeden Sonntagabend eine Liste an Liedern zusammen, die mir gefallen könnten. Dahinter steckt vielmehr eine Technik, die sich der Streaming-Dienst vor sechs Jahren in Form des Datendienstleisters The Echo Nest zugelegt hat. Das Unternehmen hat eine Technik entwickelt, mit der sich Musik anhand von Tönen und Textpassagen identifizieren lässt und die auf dieser Basis Empfehlungen für ähnliche Musik geben kann. Das scheint zumindest für mich recht gut zu funktionieren.

Von "Echo Nest" haben diese Freunde, die ich eingangs meinte, höchstens am Rande mal gehört, sie besitzen Plattenspieler, Lautsprecher-Boxen und haben meterweise Schallplatten zuhause stehen, weshalb sie schon mal einen Statiker gefragt haben, ob es so passt. Umzüge fordern ihnen besondere logistische Bedenken ab, Streaming ist für sie ein Unwort, Spotify und Konsorten sind Satans Brut und wenn sie auch nur das Kürzel "MP3" hören, gefriert ihnen der Nervus cochlearis. Sie können selbst anhand von Tönen und Textpassagen Lieder identifizieren und empfehlen gerne anderen etwas davon.

Einen dieser Freunde traf ich einmal zufällig eines Winters, als er gerade vom Hauptzollamt heimwärts die Weser entlangradelte. Er habe da wegen eines Pakets Country-Schallplatten aus Texas was zu regeln gehabt. Er gehört zu jenen, die sich vor Jahrzehnten auf die Seite der Trockenabspieler geschlagen haben und verteidigt diese Praxis vehement gegenüber den Nassabspielern.

Diese "Audiophilen" kommen von einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause, holen sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank oder einen Wein aus dem Keller, setzen sich in ihr Musikzimmer und zupfen ein Cover aus dem Regal. Mit gewandtem Griff holen sie das Vinyl aus dem Inlay, fassen es so an, dass sie darauf keine Fingerabdrücke hinterlassen, legen es auf den Plattenteller und platzieren darauf die Nadel am Ende des Tonarms. Dann lehnen sie sich zurück, nehmen einen Schluck und werfen Blicke auf das Cover, vielleicht lesen sie in den beigedruckten Liedtexten und schauen sich die Bilder an.

Früher hatte ich auch mal einen Plattenspieler, das ist lange her. Inzwischen habe ich nicht einmal mehr eine einzige Audio-CD, alle LPs sind längst verschenkt, mein digitales Musikarchiv verstaubt seit Jahren auf dem NAS. Alles, was ich höre, kommt nur noch aus dem Internet herangestreamt. Radiosendungen, Podcasts und Musik.

In dieser Hinsicht könnte es bei mir zuhause aufgeräumter nicht sein und die Ordnungsfetischmillionärin Marie Kondō stolz auf mich. Wirklich? "Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme?" lautet eine Frage, die sich ihrer Ansicht nach Aufräumwillige stellen sollen. Wohlklangverköster würden sich das wohl bei jeder der hunderte LPs an ihren Wänden mit "ja" beantworten; mich macht allein das Hören glücklich. Was ich liebe, muss ich nicht besitzen.

So kann ich mich an meine erste selbst gekaufte Schallplatte nicht erinnern, wohl aber an meine erste Musikkassette, das war vor 40 Jahren "The Wall". Mit Pink Floyd war ich vorher schon in Kontakt gekommen, als sie noch psychedelisch waren, da ich das jüngste von einer Schar Kindern bin. Die ältesten Brüder lungerten in ihrer Jugend noch in Anzügen in der Grünanlage herum, hörten Beatles, Monkeys, Uriah Heep, Rolling Stones und anderes aus ihrer Zeit, und ich Pöks mit.