Missing Link: Nützes Gedöns (V.) – Sweet streams are made of this

Seite 2: Everybody's looking for something

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Kam ein neuer Verstärker ins Haus, wurde er sogleich aufgeschraubt, wie überhaupt im Zimmer meiner Brüder so einige technische Geräte offengelegt waren. Sie besorgten sich ein Tonbandgerät und bauten selbst Lautsprecher-Boxen, die höher waren als drei Käse. Sie gingen ins "Ear" im Bremer Steintorviertel, ließen sich dort beraten, kauften dann aber oft neue Platten danach, ob sie das Cover ansprach, zum Beispiel eine Banane auf weißem Grund. Die Sammlung reichte drei Meter weit und zwei Meter hoch und sie mochten es nicht, wenn ich mich daran bediente.

Für meine Geschwister bedeutete Musik einen kulturellen Bruch mit der vorigen Generation, die sich größtenteils an Volksmusik, Schlagern und bestenfalls gefälligem Bigband-Jazz oder Peter Krausens Spielart US-amerikanischer Musik gütlich tat. Während aus den Wohnzimmern Träume von einer heileren Heimat erjodelten, rebellierten in den Kinderzimmern The Who mit "My Generation" und meine Brüder ließen sich trotz oder wegen aller Bevormundung die Haare wachsen. Der "Beat Club" in meiner Heimatstadt führte das gut vor.

Eine eigene Jugendsubkultur ging im 20. Jahrhundert meist mit musikalischen Innovationen einher, die Jugendlichen im Nationalsozialismus grenzten sich mit Jazz ab, in den 50-ern identifizierten sich viele junge Leute mit Rock'n'Roll und zu meiner Zeit ging der Punk ab; an mir vorbei. Auf dem Schulhof war ich weder Sweet noch BCR, auch nicht Gothic oder New Wave. Ein Dasein als Popper schien mir noch entlegener, mein Taschengeld hätte dafür ohnehin nie gereicht.

Stattdessen lässt mich heute noch ein Lied im Geiste fünfzig Jahre zurückspazieren: "Dream a Little Dream of Me" in der Version von The Mamas and The Papas; vermutlich von einem Hippie-Sampler meiner Brüder in mein vorschulisches Gehör gewandert und seitdem mein Lieblingslied. Meinen ersten Schwoof tanzte ich zu Leonard Cohen und abhotten ging in den Kirchengemeindesdiskos jeden ersten Samstag im Monat (außer in der Fastenzeit) gut mit David Bowie und Freddie Mercury.

Neulich in meiner Straße zu verschenken: ausrangierte Kassetten plus mobilem Abspielgerät.

(Bild: heise online / Andreas Wilkens)

Meine erste "Platte" war eine "Kassette", weil ich seinerzeit keine "Anlage" hatte, also einen Hifi-Turm aus Plattenspieler, Verstärker, Radio und Kassettendeck; Komponenten, für die jeweils mindestens 200 DM angesetzt waren. Auch besaß ich keinen Kofferplattenspieler so wie einer meiner Freunde, bei dem ich nach der Schule gerne herumgelungert und im Zigarettennebel Ton, Steine, Scherben mit Rio Reiser gehört hatte. Nein, ich hatte ein Kassettenradio und erst später eine "Anlage", größtenteils finanziert mit dem Entlassungsgeld nach meinem Zivildienst.

Selbst bin ich unmusikalisch. Zu Zeiten, als man noch ungescholten "zum Bleistift" sagte, gab ich auf die Frage, ob ich ein Instrument spiele, den Flachwitz zur Antwort: "Ja, Triangel." Klimpern konnte ich gerade mal das Intro von "Tubular Bells". Lieber sperrte ich das Fenster angelweit auf, wenn ich ein Lied im Radio gut fand und stellte es laut. Das muss ich heute nicht mehr, jetzt lasse ich alles scrobbeln und jeder kann auf Last.fm nachvollziehen, was ich gerade höre.