Missing Link: Offener Web-Index soll Europa bei der Suche unabhängig machen

Seite 4: Erkenntnisprobleme der Menschheit

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"Es können aber auch ganz andere Anwendungen als Suchmaschinen entstehen", schreiben die Befürworter eines freien Wissenszugangs. Plausibel sei etwa, dass durch die Auswertung von Linkstrukturen und deren Clusterbildungen neue Einsichten auf inhaltliche Zusammenhänge erwachsen. Dabei dürfte es sich zunächst um praktische Fragen wie die Variation in der Preisgestaltung für ein gleiches Produkt in Märkten weltweit handeln. Aber letztlich könnten selbst "grundsätzliche Erkenntnisprobleme der Menschheit" wie zu den Kategorien des Denkens in neuem Licht erscheinen.

Der offene Web-Index sei nach der Erfindung der Druckerpresse, des Rundfunks, des Computers, des WWW und der Suchmaschine "der nächste Schritt in der Evolution menschlichen Wissens", glaubt der Suma. Er erlaube den freien Zugang und Umgang mit Know-how. Es handle sich um "eine große, aber lösbare Aufgabe", den OWI zu erstellen und aktuell zu halten. Kostenschätzungen für den nötigen Aufwand begännen bei einigen hundert Millionen bis hin zu einigen Milliarden Euro, sodass ein EU-Gemeinschaftsprojekt im Sinne eines "IT-Airbus" nötig sei.

Entstehen soll laut dem Verein aber kein großer einzelner Konzern wie bei dem Flugzeugvorbild, sondern eine gewerbliche und nicht-kommerzielle pluralistische Anbieterlandschaft, die die Vielfalt aller europäischen Sprachen und Wissens widerspiegele. Am besten sei dafür ein Stiftungsmodell, was auch den notwendigen Nährboden für Internet-Startups bereiten würde.

Aus den aus dem OWI exportierten Daten ließen sich Trends jeglicher Art ablesen, bringt der Suma ein Beispiel für praktische Anwendungen: Welche Themen oder Kategorien interessierten momentan die Nutzer? Wo seien etwa politische Veränderungen erkenn- und vorhersagbar? Google habe mit "Flu-Trends" mit solchen Vorhersagemodellen zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten bereits experimentiert. Künftig könnten aus den Strukturen und Inhalten des OWI aber etwa auch Systeme mit Künstlicher Intelligenz (KI) ihre Daten gewinnen und "so die Basis für eine Open-Source-KI schaffen".

Je mehr der OWI mit der Zeit von kommerziellen Betreibern genutzt werde, desto früher ist dem Verein zufolge ein Return on Investment zu erwarten. Eine sich selbst tragende Wirtschaftlichkeit dürfte nach ersten Schätzungen nicht vor Ablauf von rund fünf Jahren zu erwarten sein. Der OWI sei dabei nicht für Endnutzer zugänglich, sondern nur für Firmen oder Organisationen, die darauf aufsetzende Dienste anbieten. Er folge einem B2B-Modell. Nutzen könne ihn jede Firma oder Organisation, solange sie die Bedingungen unterschreibe und sich etwa an Vorgaben zum Datenschutz halte.

Auch im Detail hat der Suma schon konkrete Geschäftsvorstellungen: Die Datensätze erhielten ein Pre-Ranking, Ergebnislisten würden also teils vorgefertigt, führt der Metager-Betreiber aus. Diese Voreinstufung könne etwa auch von OWI-Kunden gesteuert werden. Klienten erhielten auf Abfragen mit Millionen möglicher Antworten im Normalfall zunächst nur die ersten 1000 Treffer. Jeder Kunde habe anfangs "ein begrenztes Freikontingent an Antworten. Ab einem zu definierenden Limit wird die Abfrage kostenpflichtig."

Eventuell wird der klassische Index-Gedanke fürs Web aber auch durch eine neue Welle an Chatbots und Sprachmodellen wie ChatGPT über den Haufen geworfen, die mit KI traditionelle Suchmaschinen neu erfinden oder sogar ersetzen könnten. Obwohl bei diesen Instrumenten noch viel Raum für Verbesserungen bleibt, hat die ChatGPT-Demo das Google-Management laut der New York Times dazu veranlasst, die Alarmstufe Rot auszurufen. Wie schon viele Silicon-Valley-Unternehmen vor ihm könnte der Suchmaschinenprimus sich einem enormen technologischen Wandel gegenüberstehen, der sein Geschäft komplett umkrempele.

Einfach übernehmen könne Google die Technologie im Gegensatz zu Microsoft aber derzeit nicht, da sie sich zerstörerisch auf sein Modell auswirken dürfte und zudem noch zu viele Schwächen aufweise, hat die Zeitung in Erfahrung gebracht. In der Pipeline seien aber mindestens 20 KI-getriebene Produkte sowie ein eigener Chatbot. Sogar die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin sollen in die Gegenoffensive involviert sein, obwohl sie sich 2019 aus dem aktuellen Geschäft zurückgezogen hatten.

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(tiw)