Missing Link: Vom RIPE-Architekten zum Protokollkrieger (Daniel Karrenberg)

Seite 3: Aufbau des Backbones in Europa

Inhaltsverzeichnis

heise online: Anders als einige Kollegen bist du nicht in einen Provider gegangen…

Daniel Karrenberg: Ich ging nach Amsterdam bevor es überhaupt Provider gab. Ich hatte im Januar 1987 mein Diplom und habe überlegt, was machst du jetzt. Zur gleichen Zeit kam ein Hilferuf aus Amsterdam. Wir haben hier einen Kollegen, der macht die .nl und die ganze Abrechnung und ist völlig überlastet. Das war Piet Bertema. Der Hilferuf war nicht an mich persönlich gerichtet, aber ich kannte die Gruppe und dachte, das könnte ich doch auch mal für ein Jahr machen. Ausland ist nie schlecht. Die Idee war, da ein Jahr zu bleiben. Ich war ja inzwischen auch im Vorstand bei der European Unix User Group und für das Netzwerk zuständig. Die EUUG war ein Zusammenschluss nationaler Gruppen und wer ins EUnet wollte, musste da Mitglied sein. Ich habe also Piet unterstützt, das EUnet Netz mit aufgebaut und war als drittes noch in der Governance aktiv. Die Kombination hat mir gut gefallen. In der Zwischenzeit wurde in Dortmund dann EUnet von Axel Pawlik, Andreas Schachtner und anderen ausgegründet.

heise online: Warum bist du nicht mit eingestiegen, die hatten sicher eine Menge Arbeit….

Daniel Karrenberg: Naja, ich hatte selbst so viel Arbeit. Ich habe nie in meinem Leben so viel gearbeitet wie in dieser Zeit. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Wir waren getrieben von einem Gruppengefühl, europaweit, alle zusammen. Wir kannten uns alle, wir haben zusammen gesoffen auf den EUUG Meetings. In dieser Zeit hatten wir auch schon das Gefühl, was wir hier machen, das setzt sich durch. Selbst das DFN hat inzwischen einen IP-Dienst. Wir haben dann mit spitzem Bleistift gerechnet, wann wir uns die ersten Standleitungen leisten konnten. Ich weiß noch, wie wir die Leitung zu 'seismo' aufgebaut haben. Da kam auch eine ganze Delegation von der niederländischen Post an zur Installation und um das Modem zu begucken, das uns Rick Adams aus Amerika geschickt hatte, er gründete übrigens später UUNET. Wir haben Europa dann immer weiter mit Standleitungen vernetzt und bald gab es digitale Standleitungen.

heise online: Das Internet hat abgehoben…

Daniel Karrenberg: Die Netze sind rasant gewachsen. Die Skandinavier hatten ihre Multiprotokoll-Geschichten, das CERN hatte einen Riesen Bedarf. Es bildete sich die Achse Stockholm, Amsterdam, Genf. Wir haben kooperiert, nicht zuletzt wegen der Telekommunikationstarife. Weil man für doppeltes Geld vierfache Bandbreite bekam, teilweise war das noch exponentieller, machte das Sinn, auch wenn es eigentlich nicht erlaubt war. Wenn wir unsere Verkehre zusammenlegen, hätten das auch andere machen können und dann hätte die Bundespost schwer in die Röhre geguckt. Unsere Zusammenarbeit beschränkte sich auf die rein akademischen Netze und EUnet. Es gab später auch ein von der EU finanziertes X.25 Netz, IXI, das haben wir gerne genutzt, denn darauf war nicht viel los, denn es gab eben keine praktikablen ISO Implementationen. Da haben wir IP über X.25 gemacht.

heise online: Kommen wir zur Entstehung des RIPE, warum ist es entstanden?

Daniel Karrenberg: Als das Internet in Europa immer größer und größer wurde, wurde klar, dass es nicht reicht, sich bilateral zu treffen und zu besprechen. Da hat Rob Blokzijl, der bei NIKHEF (das nationale niederländische Forschungszentrum für subatomare Physik, d.Red) gearbeitet hat und im Hepnet (das internationale High Energy Physics Network, d. Red.) sehr engagiert war, ein Treffen vorgeschlagen. Das NIKHEF und das CWI waren im selben Gebäude, inzwischen ist das ein riesiger Forschungscampus. Die Computerräume lagen alle im ersten Stock, denn das Erdgeschoss lag unter Meeres Niveau. Vor dem Treffen haben wir erst mal ganz vorsichtig die Fühler ausgestreckt, weil wir fürchteten, das könnte von den ISO Warriern gleich wieder als antagonistisch aufgefasst werden. Also haben wir sehr defensive "Terms of Reference" entworfen. Darin stand, wir treffen uns einfach, es geht nicht um Propaganda. Das Dokument gibt es immer noch, es ist RIPE Dokument Nummer 1.

heise online: Wie viele waren da?

Daniel Karrenberg: 14 Leute. Es war sofort klar, dass das Treffen ein Erfolg war und wir beschlossen, dass es dreimal im Jahr stattfinden musste, anfangs immer auf dem Campus, wo NIKHEF und CWI abwechselnd als Gastgeber fungierten. Da gab es Hörsäle, Mittagessen und ganz viel Kaffee. Rob bekam das Ok von seinem Institut, sich da voll reinzuhängen, weil die Hochenergyphysiker eingesehen hatten, dass das sie IP statt Decnet brauchten. Ich habe parallel eine Datenbank gebaut für die operationelle Koordination, neben all meinen anderen Aufgaben. Wir haben schnell realisiert, dass das RIPE nicht alles nur mit Freiwilligen machen kann. Erfahrungsaustausch und Postille, das ging freiwillig. Aber eine Datenbank, nee. Zugleich kamen immer mehr Anfragen aus ganz Europa, von Wirtschaftsunternehmen und so. Die wussten, da gab es dieses Ripe. Irgendwann war ich nur noch am Telefonieren, denn die Leute, die da anfragten, hatten ja keine E-Mail (lacht).

heise online: Die wollten alle IP-Adressen?

Daniel Karrenberg: Nein, nein. Die wollten wissen, wie macht man das eigentlich mit dem Internet. Was ist das für eine Firma, Cisco? Wo kann ich mich anhängen, wo krieg ich Adressen her und vor allem, wie bekomme ich 'Connected'-Status, also wie kann ich ans amerikanische NSFnet andocken. Spätestens da wurde klar, wir brauchen ein Sekretariat. Also haben ein paar von uns, unter anderem Rüdiger Volk, ein RIPE NCC vorgeschlagen. Bis dahin war RIPE so eine Uboot-Geschichte. Daher hatten wir auch keine Möglichkeit, Leute anzustellen. Wir haben also eine Weile überlegt, wie man das aufsetzen kann und Rob hat schließlich vorgeschlagen, einfach ins feindliche Lager zu gehen und RARE (später Terena, später Géant, d. Red.) zu fragen, ob die es organisieren. Ich war überzeugt, das machen die nie. So antagonistisch war das. Es stellte sich aber heraus, dass der Widerstand dort gar nicht mehr so groß war. Letzten Endes hat RARE zugesagt. Geld kam auch noch von EUnet, nachdem ich dort erklärt hatte, dass das kein konkurrierendes Netz sein soll. Es gab eine Ausschreibung für den Betrieb des Büros und die Leitung. In einer Trinkrunde haben sich dann ein paar Leute gegen mich verschworen und gesagt, Daniel, warum machst du das nicht. Eigentlich wollte ich erst nicht, ich hatte bei CWI mit dem EUnet ja genug zu tun. Letztlich hat mich Rob überzeugt, der sich für den Bürobetrieb bewerben wollte und ich habe mich bei CWI für ein Jahr beurlauben lassen. Meine Intention war, das mit aufzusetzen und danach akademisch weiterzumachen.

heise online: Das mit den Jahresplänen hat nie so richtig geklappt, ein Jahr nach Amsterdam, ein Jahr RIPE….

Daniel Karrenberg: Nein, das hat nicht funktioniert. Warum ich in den Niederlanden geblieben bin, war auch, dass meine Frau sich umorientiert hat und mir nach Amsterdam nachgezogen ist. Zudem hat sich auch unser Sohn deutlich angekündigt.

heise online: Eine Frage noch zur RIPE und RIPE NCC Gründung, war der Anlass nicht gerade auch die Zuteilung von IP-Adressen?

Daniel Karrenberg: Nein, nein, nein. Das wird immer so erzählt wird. Das stand aber gar nicht im Vordergrund.

heise online: Aber warum dann der Name, Réseaux IP Européens?

Daniel Karrenberg: Na, der Feind hieß RARE, Réseaux Associacion Récherche Européens, also das war ein Wortspiel. Französische Namen mit englischen Akronymen waren damals sehr in Mode. Es gab ja den Joke „RARE is not well done“, und RIPE war eine kleine Provokation in die Richtung. Wie der Name konkret entstanden ist, haben wir zum zwanzigsten RIPE Jubiläum auf dem 58. RIPE Meeting verraten.

heise online: Wann kam denn dann die Koordination der IP Adressen für Europa dazu?

Daniel Karrenberg: Das kam noch im ersten Jahr des RIPE NCC. Wir haben zwar 1990 den Vorschlag für das NCC gemacht, aber bis wir dann mit RARE verhandelt und das aufgesetzt hatten, war es April 1992. Zu der Zeit lief die IP-Adressvergabe noch wie die Vergabe von Domains. Wenn man in Deutschland was brauchte, ging man zu Rüdiger. Der half den Leuten dann, den Antrag an das vom Stanford Research Institute betriebene Internic richtig auszufüllen – mit dreifachem elektronischem Durchschlag. Es war klar, dass das nicht skaliert. Alle waren am Stöhnen, und Internic hat am lautesten gestöhnt. Denn die bekamen natürlich mehr und mehr Anfragen aus den USA und nun kamen wir auch noch. Von unten wurden also bei uns Rufe laut, wir haben doch jetzt RIPE NCC, können die das nicht machen. Zugleich kam vom US Federal Networking Council ein Wunsch, das Internic anders aufzusetzen. NSF hat dann einen Internic Vertrag ausgeschrieben – und den hat die US-Firma Network Solutions bekommen. In der gleichen Zeit kam NSF auch zu uns und bedeutete uns, wir müssten das nun selbst, lokal organisieren. Nachdem das dazu kam, und die Internetgeschichte hochging wie eine Rakete, war es dann aus mit meiner schön geplanten akademischen Karriere. Der Businessplan des RIPE NCC sah vor, dass wir mit drei Leuten starten und nach drei Jahren sollten es fünf werden. Und als ich nach einem Jahr mal wieder kurz nach oben kam, waren wir schon 12. Ich konnte in der Situation da nicht weg und den Laden im Stich lassen. So dachte ich zumindest. Ich hab gefragt, wisst ihr jemand, der das leiten möchte, da sagten die, nein, du bleibst hier.