Missing Link: Vom RIPE-Architekten zum Protokollkrieger (Daniel Karrenberg)

Seite 4: Bleib mir weg mit Multi-Stakeholder

Inhaltsverzeichnis

heise online: Was sind denn die Anforderungen an eine Selbstverwaltung? Wer ist das Self in Self-governance?

Daniel Karrenberg: Die Idee war, wir sind hier keine Schwatzbude und wir haben keine Ideologie. Wir sind hier, weil wir uns koordinieren müssen. Wir sind hier, weil gewisse Koordinationsaufgaben zentral geregelt werden müssen. Dafür brauchten wir das RIPE NCC, das übrigens schnell aus dem RARE-Konstrukt geplatzt ist. Wir waren bald dreimal so groß und mussten das wieder auslagern. Wir hatten uns wegen der demokratischen Grundstruktur für die Vereinslösung entschieden. Die Mitglieder bestimmen. Die Satzung hat unser operationeller Manager, Paul Ridley, mit Karel Vietsch, dem Direktor von RARE, ausgehandelt. Der kam aus dem Wissenschaftsministerium und kannte die niederländischen Bestimmungen. Eine Stärke des RIPE Konstrukts besteht meiner Meinung nach in der Trennung von RIPE und RIPE NCC. RIPE ist ein Klub von Leuten, die zusammenkommen und sich austauschen. Das hält die Schwelle, mitzumachen, niedrig. Wenn du da bist oder auf den Mailing Listen was schreibst, bist du dabei und wir wissen nicht mal, dass Du kein Hund bist. Für die Sachen, die Geld kosten, haben wir den Verein, das NCC. Dafür werden Mitgliedsbeiträge bezahlt und der Vorstand stellt eine Geschäftsführung ein. Außerdem wird geschaut, dass das Geld der Mitglieder ordentlich verwendet wird. Die, die da mit reden können, sind diejenigen, die einzahlen. Bei RIPE kann jeder mitreden, das ist für mich self-governance und bottom-up.

heise online: Ist es Industrieselbstregulierung, oder ist es..

Daniel Karrenberg: Es ist viel offener. Die Industrie kann teilnehmen, einzelne…

heise online: Das gilt für RIPE. Aber sind im RIPE NCC nicht ausschließlich zahlungspflichtige IP-Adresskunden drin…

Daniel Karrenberg: Jeder kann Mitglied werden. Wenn man keine Adressen braucht, ist es nicht besonders attraktiv, weil man bei 25.000 Mitgliedern ein 1/25000stel Stimmrecht erhält. Die Offenheit erlaubt auch Regierungen teilnehmen zu können. Die tun sich immer besonders schwer, weil Beamte nichts ohne Mandat machen dürfen. Mitglied werden ist ganz schwierig. Aber wir haben eine Working Group, die sich mit öffentlicher Policy beschäftigt. Die Cooperation WG. Wir hatten von Beginn an Eurokraten, wir haben auch Leute, die mehr aus dem CCC Milieu kommen. Wie in der IETF besteht das Problem, wie man Konsens feststellen kann und wie man sicherstellt, dass nicht Partikularinteressen sich durchsetzen? Und wie verhindert man Altersstarre (lacht). Ich bin nicht unparteiisch, aber ich finde, wir haben das ganz gut gelöst. Eines der Erfolgsrezepte war, dass wir 20 Jahre denselben Vorsitzenden hatten. Wir haben uns, bis vor sehr kurzer Zeit, nie damit aufgehalten, einen Vorsitzenden zu wählen. Rob hatte eben die Gravitas und das Vertrauen der Community und keiner wäre auf die Idee gekommen, das in Frage zu stellen.

heise online: Würdest du denn sagen, RIPE ist eine Blaupause für das, was man später Multi-Stakeholder Governance bezeichnet hat?

Daniel Karrenberg: Geh mir damit weg. Ich finde das Wort Stakeholder ist so amerikanisch und so falsch. Wer sagt, dass ich einen "Stake" habe. Ich finde, dass es offen sein muss für Leute, die genügend Interesse haben, um konstruktiv mitzuarbeiten. Du kannst niemanden ausschließen, der konstruktiv argumentiert. Wenn jemand nur destruktiv und nur hier ist, um wichtig zu sein – nein danke. Oder wenn jemand meint, ich bin aber speziell, weil ich, sagen wir mal, eine Visitenkarte der Europäischen Kommission habe. Nein. Niemand ist speziell. Du bist nur speziell, wenn die Leute dir zuhören, weil sie wissen, dass du Substanzielles beiträgst oder schon mal beigetragen hast. Das schaffen wir immer noch. Wir haben durchaus Schwierigkeiten. Die Wahl des neuen Vorsitzenden war schmerzhaft. Formaldiskussionen interessieren viele, die an Inhalten interessiert sind, eher nicht. Andere stürzen sich genau darauf.

heise online: Es gab ja Kritik. Dass ihr eine langjährige RIPE NCC Mitarbeiterin zur neuen RiPE Vorsitzenden gemacht habt und dann der RIPE Vorsitzenden zum neuen CEO bestimmt wurde. Eine Frage zur überraschenden Trennung von Axel Pawlik, war er ein Opfer einer neuen RIPE Generation?

Daniel Karrenberg: Das kann ich nicht sagen. Ich weiss die genauen Umstände seines Abgangs bis heute nicht. Das mit Mirjam und Hans Petter war übrigens umgekehrt. Erst hat der RIPE Vorstand Hans Petter eingestellt und dann hat das NomCom Mirjam ausgewählt. Das war ganz schön unerwartet. Die beginnende Pandemie hat es auch nicht leichter gemacht.

heise online: Man hat sehr auf alt bekannte Kräfte gesetzt…

Daniel Karrenberg: Klar. Das ist natürlich Inzucht. Auf der anderen Seite sind es Leute die ihre Fähigkeiten und ihren Stil in der Community entwickelt haben und daher Vertrauen genießen und Vertrauen ist sehr wichtig. Die Argumente, die dagegen ins Feld geführt werden, sind auch ein bisschen schwach. Es werden immer Parallelen zur Politik gezogen. Es geht aber nicht um Volksvertreter oder hoheitliche Aufgaben.

heise online: Das ist die Frage…

Daniel Karrenberg: Das wird immer in Frage gestellt. Wäre ich der Ansicht, dass das hoheitliche Aufgaben sind, müsste ich dafür arbeiten, dass es von Volksvertretern beaufsichtigt wird. Überlege mal, was das bedeuten würde. Die Inzucht gebe ich zu. Aber das Argument Interessenkonflikte gilt für mich hier nicht. Und ich habe eine Flasche Sekt aufgemacht, als Hans Petter (Hans Petter Holen, neuer RIPE NCC CEO, d. Red.) für die Geschäftsführung ausgewählt wurde. Zugleich hat das Druck für die Auswahl des neuen RIPE Vorsitzenden erzeugt, denn wir waren alle davon ausgegangen, dass Hans Petter noch weitermacht.

heise online: Hältst du denn das Selbstregulierungsmodell des RIPE für übertragbar auf andere Bereiche der Netzregulierung?

Daniel Karrenberg: Ich weiß es nicht. Ich glaube, die Dinge, für die RIPE und RIPE NCC verantwortlich sind, können auf diese Weise geregelt werden, auch in Zukunft. Das heißt nicht, dass alles immer optimal funktioniert und keine anderen Lösungen denkbar sind. Wir haben das Problem mit der Inzucht, die nicht mehr ganz so offen ist für neue Leute und neue Ideen. Und wenn ich sage, nicht ausreichend offen, ist das immer noch deutlich offener als viele andere Organisationsformen, und wir versuchen es eben. Nehmen wir die aktuelle Diskussion darüber, inwieweit wir Cloud Dienste nutzen müssen, von Anbietern, die nicht europäisch sind und hier nicht mal Steuern zahlen. Wollen wir abhängig sein bei kritischen Infrastruktur-Bestandteilen und wollen wir da politisch gegen den Trend in der EU arbeiten, die versucht, eine lokale Industrie dazu aufzubauen? Wollen wir werden wie die Telekommunikationsunternehmen, die alles outgesourct haben? Die Leute, die für Hochverfügbarkeit zuständig sind, sehen auch die Hochglanzangebote der entsprechenden Anbieter. Auch die Community ist nicht einer Meinung. Manche sagen, das ist der Trend der Zeit. Die anderen sagen, auf keinen Fall. Es ist gut so, wenn wir dieses breite Meinungsspektrum haben, und wenn da auch mal die Fäuste geschwungen werden.