Missing Link: QAnon – Verschwörungstheoretiker, Extremisten, Politiker

Die QAnon-Bewegung entstand im Internet, verbreitete Verschwörungstheorien, zog auf der ganzen Welt Aufmerksamkeit auf sich und scharte viele Anhänger um sich.

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(Bild: Shutterstock/HollyHarry)

Lesezeit: 30 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Existenz von "Q" und QAnon begann im Internet – auf Message- und Imageboards und Reddit. Später fand die Bewegung von Verschwörungstheoretikern, die auf Posts des mysteriösen Q entstand, Millionen von Anhänger – einer von ihnen wurde Donald Trump.

Es gab wilde Spekulationen darüber, wer hinter Q steckt. Auch wenn das Rätsel mittlerweile gelöst zu sein scheint, lohnt sich ein Blick auf die Folgen dieser Bewegung und deren Entstehung auf den Message- und Imageboards im Internet.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wer sich im Internet anonym äußern will und möglichst nicht gelöscht oder belangt werden möchte, ist auf Message- und Imageboards gut aufgehoben. Seiten wie 4chan sind allerdings extrem unübersichtlich und erfordern ein gewisses Verständnis; selbst nach einer Einarbeitung ist nicht gewährleistet, dass das Gesuchte auch tatsächlich gefunden wird. Q hat seine ersten mystischen und kryptischen Informationen – Q-Drops genannt – auf dem Imageboard 4chan veröffentlicht. Auf Grundlage der Q-Drops entstand die Bewegung von QAnon.

Der Ursprung der "Chan-Kultur" wird dem japanischen Message-Board 2channel (2ch.net) zugeschrieben. Hiroyuki Nishimura gründete das Board 1999 und wählte den Namen als Anspielung auf den VHF-Kanal 2 – dem Kanal für TV-Modulatoren an japanischen Fernsehern zum Anschluss von Videospielkonsolen. Aufgrund einer 2001 bevorstehenden Schließung des Boards (die später abgewendet wurde), riefen 2channel-Nutzer der Website 2chan (Futuba Channel) ins Leben, die als Vorbild für das Imageboard 4chan gilt, das 2003 von Christopher Poole (Online-Alias "moot") gegründet wurde.

Im Februar 2014 beschlagnahmte Jim Watkins, Gründer und Vorsitzender des Domain-Name-Registrars N.T. Technology, Inc., die 2channel-Domain aufgrund von Zahlungsversäumnissen und angeblichem Missmanagement durch den Betreiber. Dabei eignete sich Watkins die Administration der Website gleich mit an und entfernte Nishimuras Namen aus dem Board, den er anschließend wieder hinzufügen musste. Später änderte Watkins den Namen 2channel nach einem japanischen Gerichtsurteil in 5channel. Nishimura nutzte Berichten zufolge den US-Registrar N.T. Technology, Inc. von Watkins, um Probleme mit der Rede- und Meinungsfreiheit zu umgehen. 2015 kaufte Nishimura 4chan von Poole, der ab 2016 bei Google unter anderem an dem sozialen Netzwerk Google+ mitarbeitete und den Suchmaschinen-Riesen 2021 wieder verließ.

Jim Watkins gründete N.T. Technology, Inc. in den 1990er-Jahren zur Unterstützung seiner japanischen Porno-Website "Asian Bikini Bar" und umging durch das Hosting in den USA die japanischen Gesetze. Unter der Domain pokeman.com betrieb er Aussagen zufolge eine Pornoseite für homosexuelle Männer – Nintendo habe ihm die Domain später abgekauft. Zu der Zeit habe Watkins bei der US-Army in einem Rekrutierungsbüro gearbeitet, er wird in einigen Medien als Veteran bezeichnet. Als er die Army verließ, um sich auf das Hosting-Geschäft zu konzentrieren, zog Jim zusammen mit seinem Sohn Ron Watkins auf die Philippinen – beide spielen im Verlauf der Q-Sage eine zentrale Rolle.

Auch wenn in Deutschland die Imageboards nicht so bekannt wie in den USA oder Asien sind, haben sie doch eine enorme Reichweite. So wurde 2009 bei der "Time" 100-Umfrage 4chan-Gründer Christopher Poole "mit einer überwältigenden Mehrheit" noch vor Barack Obama und Wladimir Putin zur einflussreichsten Person der Welt gewählt.

Das Imageboard 8chan entstand im Jahr 2014 ebenfalls in Anlehnung an die Chan-Kultur. Der Gründer Fredrick Brennan (Online-Alias "Hotwheels" und "Copypaste") erklärte in einem Interview, dass er während seiner Schulzeit die Redefreiheit in den USA als hohes Gut erfahren habe und die Moderation auf 4chan als zu streng empfand – so entstand 8chan. Dass Brennan auf 8chan nichts zensierte, begründete er mit der absoluten Rede- und Meinungsfreiheit. Ursprünglich sei er aber "einfach zu faul" gewesen, um überhaupt irgendwelche Inhalte zu löschen.

Fredrick Brennan leidet an der Glasknochenkrankheit und ist an einen Rollstuhl gebunden.

(Bild: By Fredrick R. Brennan - Own work, CC BY-SA 4.0)

8chan bekam 2014 einen enormen Popularitätsschub – der Grund war "Gamergate". Die Kontroverse fand auf 4chan und Reddit ihren Ursprung und zog nach strikter Moderation und Löschungen zu 8chan um. Spieleentwicklerinnen mussten aufgrund von "Gamergate" nach Online-Drohungen aus ihren Wohnungen flüchten. Brennan erklärte später in einem Interview, dass ihn "Gamergate" noch immer belaste. 2015 wurde 8chan nach Beschwerden bezüglich Kinderpornografie kurzzeitig offline genommen und wechselte später die Top-Level-Domains mehrfach – von .bs über .co zu .net.

Auch der Hosting-Provider von 8chan wechselte nach "Gamergate" mehrfach und landete schließlich bei N.T. Technology, Inc. – Jim Watkins sicherte sich 60 Prozent des zukünftigen Gewinns. Brennan arbeitete weiter als Administrator an dem Board und zog auf die Philippinen zu Jim und Ron Watkins. Aufgrund der Erfahrung und des Know-hows – Brennan bezeichnete Ron Watkins (Online-Alias: "CodeMonkeyZ") als begnadeten Programmierer – habe Brennan dem Angebot damals zugestimmt. Ron Watkins wurde 8chans Administror.

Von der aggressiven und dubiosen 2channel-Übernahme durch Watkins habe Brennan zu dem Zeitpunkt nichts gewusste. 2016 beendete Brennan seine Mitarbeit an 8chan, und Domain und Board gingen an Jim Watkins. Brennan verließ zwei Jahre später Watkins' Unternehmen "Race Queen" – danach folgte eine regelrechte Schlammschlacht zwischen Brennan und den Watkins um 8chan, das 2019 zu 8kun umbenannt wurde und an Relevanz verlor, und es gab Streit darüber hinaus.

Nachdem Q auf 4chan und Reddit gesperrt wurde, veröffentlichte er seine mystischen und kryptischen Drops auf 8chan – auf dem CBTS-Board des in Südafrika lebenden Technikjournalisten Paul Furber (Alias "BaruchtheScribe"). CBTS steht für "Calm Before The Storm" (Die Ruhe vor dem Sturm); da Furber Ersteller des Boards war – im Gegensatz zu 4chan soll es auf 8chan zu dem Zeitpunkt möglich gewesen sein, eigene Boards ohne die Zustimmung eines Administrators zu erstellen – steht auch er unter dem Verdacht, Q zu sein.

Um die verschlüsselten und geheimnisvollen Botschaften Qs zu entschlüsseln, entstanden in der QAnon-Bewegung selbsternannte Experten und Kryptoanalytiker. Die "Baker" etwa sammelten die "Drops", filterten die besten Theorien und Recherchen dazu und stellten sie in einen neuen Thread. Furber bezeichnete sich selbst als "Baker" und bekam als Lohn für sein Mühen Pornobilder von der Community, wie alle anderen "Baker" auch. Die sogenannten "QTuber" wiederum bedienten sich an den Informationen der "Baker" und gründeten Websites und Youtube-Kanäle, die rasch wuchsen und Profit abwarfen.

In seinem ersten Drop vom 28. Oktober 2017 auf 4chan schrieb Q: "HRC extradition already in motion effective yesterday with several countries in case of cross border run... Expect massive riots organized in defiance and others fleeing the US to occur." Demnach stand Hillary Clinton (HRC) kurz vor der Verhaftung – ein Ereignis, das angeblich Massenunruhen auslösen würde. Am 1. November 2017 unterzeichnete der gleiche 4chan-User erstmalig einen weiteren Post mit "Q Clearance Patriot" und an den darauffolgenden Tagen nur noch mit "Q". "Q clearance" ist eine Sicherheitsfreigabe des US-Energieministeriums, die für den Zugriff auf streng geheime Daten und Sicherheitsinformationen erforderlich ist.

Die Wiedererkennung einzelner Nutzer auf einem sonst anonymen Board ist über den Benutzernamen und sogenannten Tripcode möglich. Der aus einem Passwort über ein kryptografisches Verfahren erzeugte Tripcode wird als eindeutiger, reproduzierbarer Zeichencode dargestellt, ähnlich wie ein Hash. Der eindeutige Name wird im Format "Benutzername!Tripcode" dargestellt. Da Tripcodes aber auch gehackt werden können, wurde Qs Passwort "Matlock" (wie die US-Serie) im Dezember 2017 bekannt.

Q suchte sich zur Verbreitung seiner geheimen und kryptischen Informationen Furbers CBTS-Board aus. Furber zufolge wurden Qs Drops bis zu dem Zeitpunkt des Passwort-Hacks von ständig wechselnden IP-Adressen gepostet. Seit Qs Account auf 8chan kompromittiert wurde, seien alle Drops von derselben IP-Adresse abgesetzt worden. Der Schreibstil habe sich Furber zufolge ebenfalls verändert – was angeblich eine KI-Analyse bestätigt haben soll. Furber stritt sich daraufhin mit dem 8chan-Administrator Ron Watkins, der die Echtheit Qs bestätigte. Furber löschte ab dem Zeitpunkt alle neuen Q-Drops auf seinem CBTS-Board – "Q" suchte sich ein neues Board auf 8chan.

Ron Watkins führte eigenen Angaben zufolge aufgrund des gehackten Passworts auf 8chan den selbst entwickelten "Super Secure Tripcode" ein. Andere Boards, darunter 4chan, nutzen ebenfalls "Secure Tripcodes", die nicht auf anderen Servern oder Boards reproduziert werden können. Q verkündete anschließend "offiziell", dass er in Zukunft ausschließlich auf 8chan posten werde. Brennon erklärte später, dass der meiste Traffic auf 8chan durch "Q" ausgelöst wurde.

In der Öffentlichkeit wurde "Q" immer bekannter und das Board von Watkins bekam massenhaft Zulauf. Insgesamt soll 8chan zu der Hochzeit knapp 4 Millionen User verzeichnet haben.

Zu den ersten prominenten Unterstützern Qs zählt die Schauspielerin Roseanne Barr (bekannt aus der Sitcom "Roseanne") und der US-amerikanische Autor und Verschwörungstheoretiker Jerome Corsi, der für Alex Jones und dessen rechtsextreme Plattform "InfoWars" – die im April 2022 Insolvenz anmeldete – arbeitete. Der ehemalige Trump-Berater und Betreiber des rechten Nachrichtenportals "Breitbart News Network", Steve Bannon, griff später ebenfalls die Theorien der QAnon-Verschwörer auf. Der größte Unterstützer ist der ehemalige US-Präsident Donald Trump.

In einem Interview sagte er, dass die Leute (QAnon-Anhänger) ihn scheinbar mögen. QAnon sieht in Trump den Heilsbringer, der die USA vom "Deep State" befreien und dessen illegale Machtstrukturen zerschlagen will. Auch die "Lügen"-Presse hat QAnon im Visier. Brennan erklärt gegenüber dem Filmemacher Cullen Hoback in der HBO-Serie "Q: Into the Storm", dass Q nur funktioniere, weil "die Menschen den Mainstream-Medien misstrauen" würden. Auch Steve Bannon, der ebenfalls als möglicher Q-Kanditat in die engere Auswahl kam, griff mit seinem Podcast "War Room" die Medien und Demokraten an und wollte Macht innerhalb der Republikanischen Partei erlangen.

Im Jahr 2018 fand die erste American Priority Conference (AMPFest) in der Öffentlichkeit statt, auf der viele QAnon-Anhänger und Trump-Unterstützer erwartet wurden. Einer der Redner war im darauffolgenden Jahr Donald Trump Jr., der Sohn des US-Präsidenten. AMP selbst beschreibt seine drei Hauptprinzipien, auf denen sie gegründet wurde, mit "Freiheit, Integrität und Gleichheit".

Seinen Ursprung stützt die dezentrale, rechtsextreme und politische Bewegung von Verschwörungstheoretikern auf die Annahme, dass Trump den "Deep State" (Staat im Staate) in einem "geheimen Krieg" bekämpfe. Teufelsanbeter, Menschenhändler und Pädophile, die das Blut von Kindern als lebensverlängerndes Elixier trinken würden, standen demnach auf der Feindesliste des ehemaligen US-Präsidenten. Viele Verschwörungstheorien auch außerhalb von QAnon fußen auf einer Mischung von etablierten und neuartigen Theorien. Darunter mit starken Tendenzen zum Antisemitismus und Voreingenommenheit gegenüber Migranten und LGBTQIA+.

Am 5. Oktober 2017, noch vor dem ersten Q-Drop, sagte Donald Trump nach einem Treffen mit hochrangigen Militärbeamten aus aller Welt im Weißen Haus: "Wissen Sie, was das ist?" und zeigte auf die Teilnehmer, die sich zu einem Pressetermin vor die Kameras begaben: "Die Ruhe vor dem Sturm! Das hier könnte die Ruhe vor dem Sturm sein." Auf Nachfrage, welchen Sturm Trump meine, sagte er: "Die wichtigsten Militärs der Welt sind hier versammelt, das ist alles. Sie werden es herausfinden."

Die Erwartung "des Sturms" wurde zum zentralen Narrativ der Q-Sage und seine Anhänger interpretierten das als das Warten auf den Ausnahmezustand, den Sieg über das Böse. "Der Sturm" sollte übergangsweise die Machtübernahme durch das Militär herbeiführen und die Ordnung wiederherstellen, indem es ausgewählte Personen festnahm – darunter prominente Demokraten, Hollywoodstars, Wirtschaftsführer und andere Eliten. Am Abrechnungstag – "dem gewaltsamen Sturm" – sollten Hunderttausende versiegelte Anklagen geöffnet und die Verantwortlichen des "Deep State" angeklagt und nach Guantanamo Bay abtransportiert werden.

Später sollen über 10 Millionen Menschen an Q und den Sturm geglaubt haben – darunter auch Demokraten und ehemalige Obama-Anhänger. Mit einfachen Antworten auf komplexe Zusammenhänge in einer sich immer schneller – auch technisch – entwickelnden globalen Gesellschaft lassen Extremisten und Verschwörungstheoretiker keine Möglichkeit unversucht, um potenzielle Anhänger für sich zu gewinnen.

Zu einer zentralen Verschwörungstheorie zählte die Festnahme Hillary Clintons und John Podestas (Politikberater und ehemaliger Stabschef von Bill Clinton) an einem zuvor bestimmten Datum (Erster Q-Drop). Hillary Clinton geriet zusätzlich mit der E-Mail-Affäre, an der sich russische Cyberkriminelle beteiligten und Trump zum Wahlsieg 2016 verhalfen, ins Visier von QAnon – #Pizzagate. User auf Reddit und 4chan entschlüsselten in den veröffentlichten E-Mails Codewörter wie "Pizza" (Bedeutung: Mädchen), "Map" (Samenflüssigkeit) und "Sauce" (Orgie) – daraus wurden gleich zwei Verschwörungstheorien aus der Taufe gehoben.

Die weniger verbreitete Verschwörungstheorie beinhaltete, dass Barack Obama im Weißen Haus Sex-Orgien mit Kindern veranstaltet hätte. Lady Gaga hätte während der Teilnahme an diesen Ritualen das Blut Satans getrunken. Die bekanntere Verschwörungstheorie lautete, dass Hillary Clinton im Keller der "Comet Ping Pong"-Pizzeria einen Kinderpornoring betreibe. Der Besitzer der Pizzeria stand mit John Podesta in E-Mail-Kontakt und aus einer der auf Wikileaks veröffentlichten E-Mails hätten "Q" und seine Anhänger den vermeintlichen Kindesmissbrauch entschlüsseln können. An der Verbreitung dieser Theorie beteiligte sich auch Alex Jones und sie fand Einzug in alle sozialen Netzwerke und Boards des Internets. Sogar der nationale Sicherheitsberater Trumps, Michael G.Flynn – Sohn von General Michael T. Flynn – und sein Vater befeuerten #Pizzagate.

In der realen Welt führte das zu einem folgenschweren Ereignis, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde: Am 4. Dezember 2016 drang ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Mann in die "Comet Ping Pong"-Pizzeria ein und gab Medienberichten zufolge zwei Schüsse ab. Als der Angreifer keine Hinweise auf #Pizzagate fand und feststellte, dass die Pizzeria gar keinen Keller hat, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Zuvor bekamen Besitzer und Angestellte Morddrohungen. Jahre später glauben Menschen die absurde Geschichte immer noch.

Noch abstruser wurde es, als die Anhänger von Q sich die Wiederauferstehung von John F. Kennedy Jr. bastelten – der eigentlich gar nicht tot sei. Der 1999 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Sohn John F. Kennedys sollte demzufolge an der sagenumwobenen Kundgebung Donald Trumps am 4. Juli 2019 zum Vizepräsident ernannt werden. Den passenden Kandidaten hatte man bereits parat – der Republikaner Vince Fusca sei in Wirklichkeit John F. Kennedy Jr. QAnon zufolge mussten die Kennedys etwas mit alledem zu tun haben, schließlich sieht deren Grabstätte in Arlington von oben wie ein Q aus. Andere Verschwörungstheoretiker erwarteten an dem besagten Unabhängigkeitstag, dass Trump öffentlich bekanntgeben werde, er sei Q. Übrigens, Osama Bin Laden lebt auch noch.

Die Grabstätte von John F. Kennedy in Arlington.

(Bild: Google, Bildschirmfoto)

Als die Corona-Pandemie ausbrach, behauptete QAnon, dass es sich dabei um eine vom "Deep State" entwickelte Biowaffe handle. Der geheime Staat im Staate habe es auf die US-Wahlen 2020 abgesehen und wolle "The Great Reset" starten. Der "großen Neustart" drehe sich erneut um die "globalen Eliten", die unter dem Deckmantel der Pandemie ihre Interessen verfolgen würden – die amerikanische Souveränität und den Wohlstand zu zerstören beziehungsweise ein globales totalitäres Regime zu etablieren.

Impfgegner schlossen sich der Bewegung an und verbreiteten von der Völkersterilisierung bis zur Veränderung der DNA unzählige Mythen. Als Bill Gates ins Spiel gebracht wurde, stand für die Anhänger fest, dass es sich um eine weltweit gesteuerte Aktion zur Implementierung von Mikrochips handele, mit denen die Menschen verfolgt, überwacht und gefügig gemacht werden sollten. In Deutschland entstand während dieser Phase die Querdenker-Bewegung – die den bis dahin positiv behafteten Begriff des Querdenkens für immer unbrauchbar machte.

Die Querdenker Deutschlands freundeten sich mit den Verschwörungstheorien ihrer amerikanischen Kollegen an und auf Demonstrationen in Deutschlands Straßen erhielt das Q Einzug. Ab dem Zeitpunkt diskutierten zuvor anerkannte Experten, Ärzte und selbsternannte Wissenschaftler aus allen Berufsständen die wildesten Theorien. Das wohl lauteste Sprachrohr für den deutschsprachigen Raum – neben dem Mediziner Bodo Schiffmann, dem Journalisten Ken Jebsen und dem mittlerweile eigenen Angaben zufolge wieder zur Besinnung gekommenen Sänger Xavier Naidoo – wurde der Vegan-Koch Attila Hildmann.

Die von deutschen Vertretern der Querdenker-Szene aufgestellten Verschwörungstheorien zur Abschaffung des Bargelds (Jebsen) bis zum Beginn der Weltdiktatur (Hildmann) gipfelte in der Befreiung Deutschlands – von wem oder was diskutierte jeder Teilnehmer unterschiedlich. Die bis dahin mehr als 200.000 Anhänger aus Deutschland warteten demnach während einer Demonstration am 1. August 2021 in Berlin auf den angekündigten Retter. Der war den Querdenkern zufolge kein Geringerer als Donald Trump, der sich bereits in einem Helikopter im Anflug auf Berlin befunden hätte. Der Tag sollte eigentlich als "Deutscher Independence Day" in die Geschichtsbücher eingehen...

Gegründet wurde die Bewegung (Querdenken 711) Berichten zufolge von dem Diplom-Betriebswirt und Softwareunternehmer Michael Ballweg aus Stuttgart. Viele der bekannten Verschwörungstheoretiker nutzen die Treue ihrer Gefolgsleute für nicht weniger als den eigenen finanziellen Erfolg. Die Vordenker der Querdenker riefen zu diesem Zweck reihenweise zu Spenden auf und verkauften nicht selten in ihren hastig zusammengeklickten Online-Shops Prepper-Material, um das Überleben der Gleichgesinnten über den kurz bevorstehenden Untergang der Zivilisation hinaus zu retten. Das US-Pendant gründete neben Websites und Youtube-Kanälen gleich ganze Unternehmen. Spenden nahmen die "Baker", "QTuber" und prominenten Unterstützer in den USA ebenfalls entgegen, die wissenschaftliche Analyse der mysteriösen Q-Drops müsse schließlich finanziert werden.

Das Manifest zum Christchurch-Massaker vom 15. März 2019 mit 51 Toten und 50 teils schwer verletzen Menschen beließ Ron Watkins, Administrator von 8chan, auf dem Board. Mit den maximal möglichen 750 weiteren Einträgen in dem Thread schloss er sich automatisch. Ron Watkins löschte den geschlossenen Thread auf 8chan nicht und erklärte, wenn er das täte, würde er den Attentäter unsterblich machen. Das Manifest selbst sei Watkins zufolge nichts Illegales und seine Website durch Section 230 – Plattformen haften nicht für die Inhalte der Nutzer – geschützt, so seine Begründungen damals.

Anders als bei dem Angriff auf die Moscheen in Christchurch reagierte er am 27. April 2019, als ein weiterer Attentäter sein Manifest auf 8chan hochgeladen hatte. Bei dem Anschlag in Poway (Kalifornien) auf die Chabad-Synagoge kam ein Mensch ums Leben und drei weitere wurden schwer verletzt. Das Manifest und den Thread löschte Watkins innerhalb von Minuten. Der Täter hatte neben antisemitischen auch Anti-Trump-Botschaften veröffentlicht.

Am 3. August 2019 gab es einen weiteren rechtsextremistischen Anschlag auf einen Walmart-Supermarkt in El Paso (Texas), bei dem 22 Menschen getötet und 24 weitere teilweise schwer verletzt wurden. Sein vierseitiges Manifest veröffentlichte der Täter ebenfalls auf 8chan und weiteren Plattformen. Noch bevor Cloudflare dem Board von Watkins im August 2019 nach dem El Paso-Amoklauf den Stecker zog, habe Fredrick Brannon Aussagen zufolge eine Abschaltung 8chans gefordert und im Hintergrund Kontakt zu Cloudflare aufgenommen. Mit "Irre leiten ein Irrenhaus" bezeichnete Brennan damals Jim und Ron Watkins und das Imageboard.

Nach dem El-Paso-Massaker bestanden US-Parlamentarier auf Antworten und ermittelten zusammen mit den philippinischen Behörden. Der Ausschuss für Heimatschutz des US-Repräsentantenhauses lud Jim Watkins zur Klärung seiner Maßnahmen gegen extremistische Inhalte ein. Zuvor versuchte Watkins mit einem Registrar-Wechsel 8chan schnellstmöglich wieder online zu bringen – nur mit kurzzeitigem Erfolg. Das Board blieb offline und Q war aufgrund seiner 8chan-Exklusivität vorerst verstummt. Der Bewegung, die sich in den USA und weiteren Ländern ausgebreitet hatte, tat das keinen Abbruch.

Neben Hoffnungen und wilden Spekulationen von Fredrick Brennan, dem Gründer von 8chan, über Steve Bannon und General Flynn bis zu Donald Trump standen immer wieder unterschiedliche Personen zur Diskussion, die sich hinter dem geheimnisvollen "Q" verbargen. "Q" selbst habe von sich behauptet, dass "nur zehn Menschen weltweit ihn identifizieren könnten – darunter lediglich drei Personen, die keinen militärischen Hintergrund hätten". Deshalb wurde lange Zeit ein hochrangiger Militär- oder US-Beamter mit höchster Sicherheitsfreigabe hinter Q vermutet.

Einer der Autoren des Kollektivs Luther Blissett, die unter dem frei verwendbaren Sammelpseudonym eine Reihe von Falschmeldungen in Italien lancierten und den Roman "Q" veröffentlichten, in dem ein mysteriöser Q im 16. Jahrhundert im Auftrag des Papstes spioniert und seine Briefe mit Q unterschreibt, stand ebenfalls unter dem Verdacht, "Q" zu sein – was von einem der Autoren dementierte wurde. Der Roman erschien 1999 und gilt als wahrscheinlich die bislang kommerziell erfolgreichste Open-Content-Publikation überhaupt.

Ron Watkins habe damals mit "Q" Kontakt aufgenommen, um ihn auf dem Board seines Vaters zu halten. Der "Super Secure Tripcode" kam dazu gelegen. Die Zweifel Paul Furbers an der Echtheit der späteren Q-Drops wurden ebenfalls von Ron dementiert, denn Ron Watkins ist allem Anschein nach Q – wenn auch nur der Zweite. In der HBO-Reihe von Cullon Hoback hat Jim Watkins sich in einem Gespräch mit dem Filmemacher versehentlich geoutet.

Ron Watkins bei einem Event in Florence (Arizona)

(Bild: By Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0)

Im September haben Wissenschaftler aus der Schweiz und Frankreich zwei Personen als möglichen "Q" ausgemacht. Mithilfe forensischer Linguistik und künstlicher Intelligenz haben das Schweizer Sprachanalyse-Start-up OrphAnalytics und die französischen Wissenschaftler Qs Schreibstil mit Texten und Posts in sozialen Netzwerken verglichen. Der Analyse zufolge stimmen die ersten Q-Drops ab 2017 mit dem Stil von Paul Furber aus Johannesburg überein, auf dessen CBTS-Board Q aktiv war. Die späteren Drops wurden dem französischen Team zufolge mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit Ron Watkins zugeordnet.

Das erklärt auch den Streit zwischen Paul Furber und Ron Watkins, wonach Furber behauptete, dass es nicht mehr Q sei, der die Informationen veröffentliche. Gegen den Board-Administrator Watkins hätte der User Furber in diesem Fall eher keine Chance gehabt. Auch nach dem Wechsel von 8chan auf 8kun, der zu Beginn von technischen Problemen begleitet wurde, soll außer Q niemand in der Lage gewesen sein irgendetwas zu posten, was einem Administrator ebenfalls möglich gewesen wäre. Darauf angesprochen, erklärte Watkins, dass er selbst nicht wisse, "wie Q das gemacht hat".

Jim Watkins ist auch Betreiber der Website und des Youtube-Kanals "The Goldwater", auf dem "ein informativer Blick auf die alternativen Schlagzeilen" geboten wird – unter anderem über Aliens und wie viele Menschen die Clintons bereits ermordet hätten. Eine Goldwater-Angestellte betrieb demzufolge den Twitter-Kanal "IWillRedPillYou", der aktuell gesperrt ist, in Anlehnung an das Erwachen in der Realität (Matrix). Auf "The Goldwater" seien überwiegend Theorien von 8chan und QAnon aufgegriffen worden, die auf dem Youtube-Kanal und der Website zu "Alternativen Nachrichten" wurden.

Jim Watkins

(Bild: By Fredrick Brennan (User:Psiĥedelisto) - CC BY-SA 4.0)

Jim Watkins und sein Sohn Ron Watkins erklärten in Hobacks Dokumentation immer wieder, dass sie sich weder für die Politik noch für "Q" interessierten. Jim Watkins reagierte: "Q? Das ist doch so ein Spinner aus Star Trek, oder nicht?" Sowohl Vater als auch Sohn waren aber stets bestens informiert, widersprachen sich häufig selbst und ein gewisses Interesse an der Verbreitung von Zwietracht, Misstrauen, Angst und Chaos ist ihrem Verhalten zufolge beiden nicht abzusprechen.

Kurz vor dem 6. Januar erklärte Ron Watkins auf Twitter "Die Mutter alle Bomben abzuwerfen". Er hätte Informationen direkt aus dem weißen Haus. Zu dem Zeitpunkt soll Ron Watkins auf Twitter mit Bezug auf die Reichweite und Präsenz den zweitstärksten Account nach Donald Trump besessen haben. Geholfen haben soll ihm ein "unglaubliches Tool", das den Twitter-Algorithmus manipuliere und zu mehr Reichweite verhelfe. Der ehemalige US-Nachrichtendienst-Mitarbeiter und technische Direktor der NSA Bill Binney soll bereits zuvor auf Watkins zugegangen sein und ihm die Software angeboten haben, um Q zu mehr Reichweite zu verhelfen. Offizielle Beweise gibt es dafür bisher nicht.

All die Verschwörungstheorien und Manipulation von Teilen der Bevölkerung haben das Land der USA und andere Teile der Welt zutiefst gespalten. Seit der Wahlniederlage Donald Trumps 2020 sind Experten zunehmend in Sorge darüber. Was im Internet mit einem undurchsichtigen Post eines Fanatikers begann, endete am 6. Januar 2021 nach dem "Save America March" mit dem gewaltsamen Sturm aufs Kapitol – den Donald Trump mit seiner aufstachelnden Rede anheizte. Der Sturm auf das Kapitol kostete fünf Menschen das Leben.

Auf Telegram, Twitter, Reddit und Parler tauschten sich Trump-Anhänger bereits im Vorfeld über den möglichen Einsatz von Waffen und Gewalt aus. Trump forderte auf Twitter: "Be there, will be wild!" Die Demonstranten drangen in das Kapitol ein, um die Bestätigung des Wahlergebnisses zu verhindern – mindestens aber zu stören.

Jim Watkins war es auch, der auf Twitter die Wahlmaschinen in Frage stellte – Trump retweetete den Post und die Verschwörungstheorie bezüglich der geklauten Wahl fand bei Trump-Anhängern großen Zulauf. Watkins könne (als Pentester) eine Manipulation der Wahlmaschinen herbeiführen, so seine Aussage – immerhin habe er das Handbuch der Wahlmaschinen gelesen. Auch um die falsch ausgezählten Stimmen der Briefwähler ranken sich Verschwörungsmythen. Die Briefwahl wurde bevorzugt von Demokraten 2020 aufgrund der Pandemie genutzt – gegenüber den republikanischen Anhängern doppelt so oft.

Die Liste der Verschwörungen, die Q und QAnon aufgedeckt haben, ist riesig. Neben der zentralen "The Storm"-Theorie, dem Kinderhandel und Kindesmissbrauch, mit dessen Aufdeckung der Sonderermittler Robert Mueller eigentlich betraut sei – Mueller ermittelte zu der möglichen Einflussnahme Russlands auf die Präsidentschaftswahl – und dem Staat im Staate, zählten den Verschwörungstheoretikern zufolge auch Tom Hanks und Steven Spielberg zu Pädophilen und der weltweit tätige Baustoffhersteller Cemex liefere mit seinem Kinderhandel die Kinder für die Promis und Politiker. Nichts von alledem, was QAnon bisher hervorbrachte, stellte sich in irgendeiner Form als wahr heraus – handfeste Beweise wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt weder geliefert noch gefunden.

Ron Watkins, der 8kun aufgab und für den US-Kongress kandidierte, musste während des Wahlkampfs zu den Midterm-Wahlen 2022 feststellen, dass er genau wie viele andere Kandidaten mit Bezug zu QAnon und Verschwörungstheorien nicht automatisch politischen Erfolg erfährt, obwohl er einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat. Auch wenn es Marjorie Taylor Greene als bekennende QAnon-Anhängerin und Politik-Neuling 2020 in das Repräsentantenhaus geschafft hat. Heute gilt sie als "einsamste Politkerin Amerikas". Bei den Midterm-Wahlen spielte Ron Watkins später keine Rolle mehr.

In Florida gewann Ron DeSantis die Gouverneurswahl. Ihm werden Verbindungen zu und Gemeinsamkeiten mit QAnon nachgesagt. DeSantis gilt als möglicher nächster Präsidentschaftskandidat der Republikaner – das gefällt Trump offensichtlich nicht, der mit der Veröffentlichung "weniger schmeichelhaften" Informationen über DeSantis drohte. DeSantis wird als "Trump mit Hirn" bezeichnet.

Auch wenn es Kari Lake – die von Trump unterstützt und bei Wahlkampfveranstaltungen mit Rechtsextremen und QAnon in Verbindung stand – in Arizona und Laureen Boebert (Waffennärrin und QAnon-Sympathisantin) in Colorado nicht geschafft haben, erklären Experten das Extreme als "neues Normal" in der Republikanischen Partei. Blake Masters, der republikanische Senats-Kandidat, liegt in Arizona aktuell hinter dem Demokraten Mark Kelly zurück (Der Artikel wurde am 10.11. verfasst – Änderungen möglich). Masters ist Jurist, Unternehmer, Autor und "Liebling der extremen Online-Rechten", er ist enger Verbündeter des Trump-Anhängers, PayPal-Gründers und Palantir-Mitbegründers Peter Thiel. Thiel, der Trump in einer Rede als "Retter der Nation" präsentierte, unterstützte Masters Wahlkampf.

In Ohio hat J.D. Vance die Wahl gewonnen, der zumindest andeutungsweise Verschwörungsmythen der QAnon-Sekte legitimiert und sich vom Trump-Oppositionellen zu einem seinem größten "Cheerleader" entwickelt habe – auch er wurde mit zehn Millionen US-Dollar von Thiel unterstützt. In Georgia ist der ehemalige Footballspieler und von Trump unterstütze Herschel Walker noch im Rennen. Walker werden zwar keine direkten Verbindungen zu QAnon angelastet, er glänzt aber mit Skandalen. Als bekennender Abtreibungsgegner beschuldigen ihn zwei Frauen, die er zu einer Abtreibung gedrängt und denen er Geld dafür geboten haben soll. Eine Übersicht der weiteren "Gefährlichsten Republikaner auf dem Stimmzettel" finden Sie hier.

Die republikanischen Abgeordneten Doug Mastriano (Pennsylvania) und JR Majewski (Ohio) bekennen sich ebenfalls zu den Verschwörungstheorien von QAnon. Der Experte für Online-Extremismus, Desinformationen und soziale Medien, Alex Kaplan, geht davon aus, dass 15 republikanische Abgeordnete, die bereits im US-Kongress sitzen, und mindestens 60 weitere aus unterschiedlichen US-Bundesstaaten öffentlich hinter QAnon stehen – weitere 2 befänden sich im Wahlkampf für Gouverneursposten. QAnon-Influencer versuchen auf Twitter das neue Abo-Modell zu nutzen, nachdem Elon Musk den Dienst "Twitter Blue" nach seiner Übernahme eingeführt hat, um in dem sozialen Netzwerk wieder Fuß zu fassen. Trump äußerte sich zuletzt, dass er trotz der Übernahme durch Musk und den neuen Regeln nicht zu Twitter zurückkehren will.

Der erdrutschartige Sieg und die "rote Welle" blieb bei den Midterm-Wahlen 2022 in den USA aus. Mittlerweile drängen die Republikaner Trump, dem sie die Schuld dafür geben, seine große Ankündigung am 15. November zu verschieben. Zuletzt näherte sich Trump den Verschwörungstheoretikern von QAnon wieder an, die auf dem sozialen Netzwerk "Truth Social" des ehemaligen US-Präsidenten in erheblicher Zahl vertreten sein sollen. Erwartet wird, dass Donald Trump am 15. November 2022 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 verkündet.

(bme)