Missing Link: Renaissance der Planwirtschaft im digitalen Kapitalismus (Teil 2)

Seite 2: Kapitalistische Planwirtschaft

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Aber was ist mit dem Markt als das effizientere System zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage, was ist mit der Konkurrenz, diesem hervorragenden Mechanismus für Innovation, Kundenzufriedenheit und Wettbewerb? Schnee von gestern. "Wettbewerb ist was für Verlierer", sagte der viel zitierte Digital-Investor Peter Thiel. Auch das notorisch unberechenbare Nutzerverhalten wird mithilfe von Big Data und Künstlicher Intelligenz vorhersagbar, falls diese nicht schon durch geeignete Algorithmen von vorneherein in die richtige Richtung gestupst worden sind.

Amazon weiß heute mit großer Wahrscheinlichkeit, welche Bücher ich als Nächstes kaufen werde, nämlich diejenigen, die es mir aufgrund meiner Geschichte vorschlägt. Oder um es mit Georg Klaus Definition einer kybernetischen Maschine auszudrücken: "Die Zustände der Maschine hängen von den Zuständen der Maschine in der Vergangenheit ab." Der Unsicherheit des Marktes begegnen die riesigen Konzerne mit dem KI-gesteuerten Versuch, das künftige Kaufverhalten möglichst genau voraussagen zu können, um zielgenau, personalisiert und schnell den Kunden zu bedienen und der für die Marktwirtschaft notorischen Überproduktion zu entgehen. Aus dem homo oeconomicus ist der homo kyberneticus geworden – der feedback-gesteuerte Nutzer

Heute, 70 Jahre nach ihren Anfängen, erlebt die Kybernetik eine Renaissance, und zwar an der Hand der Digitalkonzerne. Mit ihren Plattformen haben sie weltumspannende digitale Ökosysteme entwickelt, deren Spielregeln sie selbst entwerfen und steuern. Die im Namen enthaltene Analogie zu komplexen, nach dynamischem Gleichgewicht strebenden natürlichen Systemen, ist dabei ein deutlicher Hinweis auf deren kybernetischen Charakter. Die Überwindung der vorab für einen anonymen Markt geplanten Massenanfertigung möglich. Produkte können nach individuellem Bedarf erst dann hergestellt werden, wenn eine Nachfrage eingeht: Kapitalismus on demand, die Fertigung der Losgröße eins wird möglich.

Der vernünftige Plan, mit dem der Sozialismus überzeugen zu können glaubte, beispielsweise in Gestalt der berühmten 5-Jahres-Pläne, erscheint angesichts der Vorhersagemaschinen, die das Kapital einsetzt, kurios aus der Zeit gefallen. In den Zeiten digitaler Plattformen, proprietärer Märkte, umzäunter Gärten und digitaler Ökosysteme kommen der Ökonom Viktor Mayer-Schönberger und der Journalist Thomas Ramge zu dem Schluss, dass Daten mittlerweile so reichhaltig und komplex seien, dass sie viel besser als das Preissystem geeignet seien, ökonomische Signale zu liefern. Folge sei ein Art Daten-Postkapitalismus.

Die weltumspannenden Großkonzerne haben ihre interne Planwirtschaft zwar verallgemeinert und digitalisiert, das Steuerungsmoment der gesellschaftlichen Produktion bleibt aber die Maximierung des Profits. Das Betriebsvermögen liegt unverändert in privater Verfügungsgewalt, es ist die Voraussetzung eines Marktes, der das Angebot nur für die zahlungsfähige Nachfrage bereitstellt, unabhängig von den tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen. Künstliche Intelligenz, Big Data, Data Mining und KI-Analysen haben zu einem datengetriebenen Vorhersage- und On-Demand-Kapitalismus geführt. Erst mit dem datengetriebenen Plattformkapitalismus unserer Tage ist also der kybernetischen Maschine zum Durchbruch verholfen. Die Rückkopplung von Daten in ein System, das sich dadurch optimiert, stabilisiert und gleichzeitig erneuert und zur kapitalistischen Verwertung beiträgt.

Wie sieht es nun aus mit einer Alternative zu diesem kybernetischen Kapitalismus? Eine Alternative, in der die gesellschaftliche Produktion und Konsumtion nicht mehr über Profitmaximierung gesteuert wäre, eine Alternative, welche kybernetische Steuerungsprozesse nutzt, um möglichst ressourcenschonend und arbeitssparend zu produzieren? Worin unterschiede sich eine solche Alternative von den Amazons, den Walmarts, den Googles und Teslas unserer Zeit? Und stünde ihr das gleiche Schicksal, wie ihren realsozialistischen Vorgängern bevor, ein grandioses Scheitern zwischen Ineffizienz und Armseligkeit? Hat doch der Realsozialismus die Idee der Planwirtschaft gründlich diskreditiert: Nur in der Theorie vernünftig geplant, ressourcenschonend produzierend, Bedürfnisse gerecht bedienend. Die Realität sah anders aus: Schlechte Arbeitsbedingungen, veraltete Technik, keine Rücksicht auf die Umwelt, eine bizarre Koexistenz von Mangel und Verschwendung – dass es keine Kapitalisten mehr gab, änderte nichts daran.

Vom Autor herausgegeben erscheint Ende März der Sammelband „Die unsichtbare Hand des Plans. Koordination und Kalkül im digitalen Kapitalismus“.

(bme)