Missing Link: Roboter, Androide - über Maschinenwesen und ihre Vermenschlichung

Seite 2: Die Vermenschlichung von Robotern

Inhaltsverzeichnis

Das offenbar tief verwurzelte Bedürfnis, sich als Mensch von anderen Lebenwesen und Dingen abzugrenzen und sich über sie zu erheben, hält die Nutzer von Robotern indessen nicht davon ab, sie zu vermenschlichen – selbst wenn sie weder von ihrer äußeren Erscheinung noch von ihrem Verhalten her einen Anlass dazu bieten. Ein Beispiel von vielen sind die Transportroboter proANT 436 des Herstellers ASTI InSystems, die alles andere als menschenähnlich gestaltet sind. Dennoch bekamen sie von den Mitarbeitern der Firma, wo sie den Materialfluss sichern sollen, sogleich menschliche Namen: Fritzchen, Robo, Jürgen, Sam und James. "Unsere fünf Transportroboter sind für uns wie Mitarbeiter", erklärt die Firma dazu auf ihrer Facebook-Seite. "Also verdienen sie natürlich auch Namen!" ASTI-Mitarbeiter André Schmiljun hat damit kein Problem, sondern sieht in der Robotertaufe "ein gutes Beispiel dafür, wie die Einführung von Robotern in ein menschliches Team positiv gelingen kann".

Menschen könnten Robotern gegenüber starke Emotionen entwickeln, sagt Linda Onnasch (Humboldt-Universität zu Berlin) und verweist auf die EOD(Explosive Ordnance Disposal)-Roboter, die in Kriegsgebieten Sprengfallen untersuchen und Bomben entschärfen. "Um diese aus einer bedrohlichen Situation zu retten, haben sich Soldaten sogar schon selbst in Lebensgefahr gebracht", erklärt die Psychologin, die die Vermenschlichung von Robotern im Pflegebereich für durchaus hilfreich hält, da sie die Interaktion erleichtert.

In Frontiers in Psychology teilen Luisa Damiano (University of Messina) und Paul Dumouchel (University of Kyoto) diese Einschätzung, gehen aber über den eher pragmatischen Ansatz noch hinaus. Insbesondere die soziale Robotik, also den Einsatz von Robotern in direkter Interaktion mit Menschen, betrachten sie im Rahmen des "embodiment turn" der Kognitionsforschung, der nicht nur die auf Descartes zurückgehende Trennung von Geist und Körper überwunden, sondern auch die soziale Dimension des Denkens stärker in den Vordergrund gerückt habe. Der mehrdeutige Status sozialer Roboter ermögliche neue Forschungsansätze, die sie als "synthetische Anthropologie" bezeichnen: "Die zunehmende Verwischung der Grenze zwischen Menschen und Robotern führt dazu, dass die Frage, was die menschliche Identität oder Besonderheit ausmacht, neu aufgeworfen wird", schreiben sie. "Auf dieser Grundlage ermöglichen menschenähnliche Roboter eine neuartige Wissenschaft des Menschen, bei der sie gleichermaßen als 'Objekte' und 'Instrumente' dienen. (…) Statt zu versuchen, die menschliche Spezies durch ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit anderen tierischen Spezies zu verstehen, nutzt diese neue vergleichende Wissenschaft als Bezugspunkt die sich verändernden Fähigkeiten von Robotern."

Darauf aufbauend fordern sie eine neue "synthetische Ethik", die soziale Roboter als Möglichkeit sieht, menschliche Beziehungen zu stärken. Die "angewandte Vermenschlichung" der Roboter müsste sich mit Fragen wie diesen beschäftigen: "Wie können wir soziale Roboter bauen, die als soziale Bindeglieder dienen und die Verbindungen zwischen Menschen fördern, statt Isolation hervorzurufen und die sozialen Bindungen zu schwächen? Wie können wir soziale Roboter gestalten, die den Austausch zwischen Menschen ermöglichen, ermutigen und festigen, statt Fluchtwege vor den Herausforderungen der zwischenmenschlichen Interaktion in eine entfremdete Welt müheloser Mensch-Roboter-Interaktion zu eröffnen? Ist es möglich, soziale Roboter zu nutzen, um Muster menschlichen Verhaltens in Richtung ethischen Wachstums zu verändern?"

In eine ähnliche Richtung deutet Birte Schiffhauer, die in ihrer Dissertation über Vermenschlichung gleich zu Beginn darauf hinweist, dass es komplementär zur Vermenschlichung auch den Prozess der Dehumanisierung gibt. Ob das Absprechen und Zuschreiben von Menschlichkeit unterschiedliche Ausprägungen des gleichen Prozesses sind oder sich grundlegender voneinander unterscheiden, sei eine offene Frage. Offenbar diene diese Kategorisierung hinsichtlich des Grades der Menschlichkeit der Abgrenzung von anderen Gruppen und gehöre vermutlich zur menschlichen Grundausstattung.

Soziologisch beginne der Prozess der Dehumanisierung damit, am anderen Menschen das Unterschiedliche wahrzunehmen oder sogar erst zu definieren. "Wo der Unterschied nicht unmittelbar erkennbar ist", so Schiffhauer, "etwa durch andere Hautfarbe oder Sprache, kennzeichnet man diese Anderen auf eine künstliche Art und Weise. Ein Beispiel zur Sichtbarmachung von Personen jüdischen Glaubens und Muslim_innen bietet das Vierte Laterankonzil von 1215, das für beide Geschlechter beider Religionsgruppen eine von Christ_innen unterschiedliche Kleidung vorschreibt."

Bei Kleidungsvorschriften bleibt es aber zumeist nicht stehen: "Zu Distinktionsmerkmalen wie Ethnie und Religion kommen u.a. politische und ökonomische Merkmale, die sich in ihrer 'Argumentation' mit vielfach unterschiedlichen Anteilen mischen – beispielsweise bei den Kreuzzügen (1095/99 sowie im 13. Jahrhundert), den zentralasiatischen Feldzügen unter Dschingis Khan (ab 1206), dem Massenmord der Türkinnen an den Armenier_innen (v.a. 1915 bis 1918), der Zwangskollektivierung unter Stalin (1928 bis 1932), dem Massaker unter den Kommunist_innen Indonesiens (1965/66), dem Völkermord in Kambodscha (1975 bis 1979) und dem Massaker von Srebrenica (1995)."

Wenn uns die Vermenschlichung von Robotern helfen könnte, diese Tradition der gegenseitigen Entmenschlichung ein für alle Mal zu beenden – wie können wir da den ausgestreckten Endeffektor einfach zurückweisen? Zumal – es sei noch einmal daran erinnert – es großes Vergnügen bereiten kann, Roboter mit Menschen zu vergleichen.

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(bme)