Missing Link: Schulplattform Logineo NRW – vom Rohbau zur Kernsanierung?

Bis heute fehlen der nordrhein-westfälischen Schulplattform Logineo wichtige Funktionen. Eine Sanierung soll es richten. Haben sich Verantwortliche verzettelt?

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(Bild: ITTIGallery/Shutterstock.com)

Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Joachim Paul
Inhaltsverzeichnis

In steter Regelmäßigkeit produziert die digitale Schulplattform Logineo des Landes Nordrhein-Westfalen negative Schlagzeilen und Kommentare in den Medien. Zuletzt hieß es etwa, dass das Schulministerium Logineo nach einem Zukunftscheck sanieren lasse. Das System war allerdings zu keiner Zeit in einem Zustand, der sich auch nur annähernd als fertig bezeichnen lässt – obwohl es nominell seit elfeinhalb Jahren existiert. Es fehlen bis heute wichtige Funktionen. Wie kommt es also, dass schon beim Rohbau von Sanierung die Rede ist und was hat der Zukunftscheck gezeigt? Eine Bestandsaufnahme.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Logineo NRW "ist eine webbasierte Arbeitsplattform für Schulen in Nordrhein-Westfalen", die "schulische Abläufe in einer digitalen, benutzerfreundlichen Umgebung erleichtern und vereinfachen" soll, erklärt die WebSite des Ministeriums für Schule und Bildung (MSB). Dazu soll im Endausbau ein Hauptsystem als Steuerzentrale mit E-Mail-, Kalender- und Cloudspeicherfunktionen, ein Lernmanagementsystem (LMS) und ein Messenger mit Videokonferenzfunktion gehören.

Joachim Paul

Dr. Joachim Paul ist Biophysiker und arbeitete in mehreren IT-Projekten, u.a. für die EU zu neuronalen Netzwerken und genetischen Algorithmen. In freier Autorenschaft publiziert er regelmäßig Artikel und Buchbeiträge zu Technikphilosophie, Politik und die digitale Revolution betreffenden Fragen. Er war Abgeordneter der Piratenfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen und von 2012 bis 2015 deren Vorsitzender. Als wissenschaftlicher Referent und Medienpädagoge im öffentlichen Dienst betreute er eine Plattform zur Bereitstellung von digitalen Bildungsmaterialien für Schulen. Heute befindet er sich im Ruhestand. Er betreibt einen eigenen Blog, einen Youtube-Kanal und ist auf Twitter/X als @Nick_Haflinger unterwegs.

Neben dem Ministerium waren zunächst drei Partner an der Umsetzung beteiligt; kommunale IT-Dienstleister, die vielfältige Aufgaben für die Städte und Kreise in NRW sowie für die Kommunalverbände übernehmen: die regioIT Aachen (heute nur regioIT), das Kommunale Rechenzentrum Niederrhein (KRZN), sowie LVR InfoKom, das Systemhaus des Landschaftsverbandes Rheinland LVR, das für dieses Projekt den vertraglichen Hut aufhatte.

Initiiert wurde das Projekt im Jahr 2011 vom damaligen Ministerium für Schule und Weiterbildung (MSW) unter Führung von Sylvia Löhrmann (Grüne). Erstmalig offiziell vorgestellt wurde der Name Logineo dann im Februar 2012 auf der Bildungsmesse Didacta in Hannover.

Zentraler Baustein von Logineo sollte ein an der Fernuniversität Hagen als DFG-Projekt speziell für Lehr- und Lernanwendungen entwickeltes Cloudspeicher-System namens edu-sharing werden, das mit Medien aller Art inklusive Metadaten-Speicherung – Urheberinformationen, Schlagworten, Rechten etc. – umgehen können sollte und zudem auch eine Suchmaschine beinhaltet. Betreut und weiterentwickelt wird edu-sharing von dem gleichnamigen gemeinnützigen Verein und der Firma metaVentis GmbH.

Begleitet wird Logineo durch die Medienberatung NRW, eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und den beiden Landschaftsverbänden LVR und LWL, in der Lehrkräfte für Beratungs-, Betreuungs- und Entwicklungsaufgaben in der Regel zeitlich befristet abgeordnet sind. Diese Organisationsform ist insofern ein Glücksgriff, als hier durch medien- und IT-affine Pädagogen zahlreiche Kompetenzen versammelt sind. Es gibt eine ausgeprägte Schulnähe.

Im März 2015 wurde beschlossen – nach einer erfolgreichen Erprobung des Pilotprojekts in über 30 Schulen –, "in einem ersten Teilprojekt alle circa 6000 Schulen mit Logineo NRW auszustatten." Die finanziellen Aufwendungen beliefen sich bis dahin einmalig auf 1,6 Millionen Euro zuzüglich weiterer 1,2 Millionen pro Jahr aus Landesmitteln, in der Summe vier Millionen Euro. Ein Vertrag wurde mit dem KRZN geschlossen. Schon 2016/2017 verzögerte sich allerdings die Inbetriebnahme durch technische Schwierigkeiten und ausstehende Entscheidungen des Personalrates auf das folgende Schuljahr in den August 2017.

Am 14. Mai 2017 wird Armin Laschet (CDU) Ministerpräsident einer CDU/FDP-Koalition. Yvonne Gebauer (FDP) übernimmt das Schulministerium ; vormals in der Opposition schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Im August 2017 wird der Start ein weiteres Mal ausgesetzt. Die Medienberatung NRW hatte die vom KRZN produzierte Software nicht abgenommen. Laut einer Antwort der Landesregierung im November 2018 auf eine kleine Anfrage war die "Stabilität bei perspektivisch hohen Nutzerzahlen nicht validiert." Das hat verwundert: Wurde bis zum Jahr 2018 etwa nicht geprüft, ob die aktuell etwa 2,5 Mio. Schüler und knapp 213.000 Lehrkräfte an insgesamt 5.404 allgemein- und berufsbildenden Schulen das System auch nutzen können?

Für einen Teil des bildungspolitischen Fachpublikums löste dies große Zweifel an der Gesamtkonstruktion der Plattform aus. Die Regierung kündigte eine weitere Nachbesserung und eine erneut verschobene Inbetriebnahme angekündigt.

Ein Jahr später – im November 2019 – startet Logineo dann, aber nicht wie erwartet. Zunächst sollte Logineo nur als reine Arbeitsplattform für die Lehrkräfte eingesetzt werden – und das auch nur mit einer schleichenden Registrierung der Schulen (140 Schulen pro Monat – die die Plattform wollen – bis spätestens 2022). Bis dahin verschlang die Entwicklung von Logineo schon 5,8 Millionen Euro. Der Leistungsumfang enthielt bis dahin: rechtssichere, dienstliche E-Mail-Adressen und Kalenderfunktionen, Speicherbereich für den Austausch von Dokumenten und Unterrichtsmaterial, besonders gesicherter Datensafe für personenbezogene Daten von Schülern.

Die aufkommende Corona-Pandemie machte der Regierung dann einen Strich durch die Rechnung. Mit Beginn der bundesweiten Lockdowns im März 2020 sollte auch Logineo dabei helfen, den nunmehr fehlenden Präsenzunterricht zu ersetzen. Allerdings informierte das Schulministerium erst am 10. Juni 2020, dass ab sofort allen öffentlichen Schulen und Ersatzschulen die digitale Lernplattform Logineo NRW LMS zusätzlich und ebenso kostenlos wie Logineo NRW zur Verfügung steht. Das LMS basiert auf dem etablierten Open-Source-System Moodle. Dabei gab es gerade im Schulministerium jahrelang Vorbehalte gegen Moodle, unter anderem aufgrund der in der Anfangszeit fehlenden sogenannten Mandantenfähigkeit.

Auch konnte der Eindruck entstehen, es handele sich bei Logineo NRW LMS um eine Eigenentwicklung auf der Basis von Moodle. Fakt ist: Es wurden nur das Logineo-Logo draufgeklebt und der Eingangswebseite des Systems ein etwas anderer Anstrich verpasst. Mit der Betreuung und der Organisation des Hostings der zahlreichen Instanzen des LMS wurde die erfahrene, in Berlin ansässige Firma eLeDia GmbH beauftragt.

Dass via LTI-Schnittstelle digitale Lernmedien aus dem kommunalen EDMOND-NRW Mediendienst in Moodle bzw. Logineo NRW LMS eingebunden werden können, mussten die Lehrkräfte, unterstützt vom kommunalen Support, selbst herausfinden. Monatelang gab es keine offizielle Erwähnung dieser Option, weder vom Landesinstitut für Schule QUA-LIS, noch direkt vom Ministerium.

Im August 2020 wurde das Angebot um den Logineo NRW Messenger ergänzt. Das System für Echtzeitkommunikation ist realisiert mit dem freien Client namens Element, basierend auf dem ebenfalls freien MATRIX-Kommunikationsprotokoll. Eine technisch gesehen vernünftige Übergangslösung. Im Januar 2021 folgte die Erweiterung des Messengers um die Videokonferenz-Software Jitsi, die in den Messenger integriert wurde. Die freie Software Jitsi ist serverseitig schlank. Jitsi Meet benötigt keine Installation eines eigenen Clients, sondern läuft im Browser.

Allerdings brachte eine kleine Anfrage im März 2021 zutage, dass der Logineo NRW Messenger mit Chat- und Videofunktion von der SVA Systems Vertrieb Alexander GmbH betrieben wird, die beides bei Amazon Web Services (AWS) hosten lässt. Das sorgte für Irritationen, denn auch die europäische Tochter des US-Konzerns unterliegt dem US-Cloud-Act. Der Datenschutz – zumal der von Kindern und Jugendlichen – wurde damit berührt.

Aus öffentlichen Ausschreibungen für das Hosting der Komponenten der Logineo-Familie geht hervor, dass seit 2021 nunmehr Projektleitung und Projektverantwortung einer externen Unternehmensberatung obliegt, der Firma BearingPoint GmbH, einer mehrfach ausgezeichneten, auf den Bereich Management- und Technologieberatung spezialisierten Unternehmensberatung, ursprünglich ein Ableger des globalen Beratungsnetzwerkes KPMG. Vermutlich spielte für die Entscheidung, eine externe Beratungsfirma zu beauftragen, die Pandemie eine Rolle.

Am 15. Mai 2022 wurde Schwarz-Gelb wieder abgewählt; die kommende schwarz-grüne Koalition unter Ministerpräsident Hendrik Wüst ist noch nicht verhandelt. Das Ministerium von Yvonne Gebauer (FDP) antwortet auf eine Teilfrage nach Cloud-Fähigkeit und Skalierbarkeit der Hauptkomponente aus einer kleinen Anfrage von zwei Grünen-Abgeordneten zusammenfassend: "Alle drei Komponenten der Logineo NRW Produktfamilie sind skalierbar und cloud-fähig."

Ein Projektdokument des gemeinnützigen Vereins edu-sharing.net e.V. aus dem Jahr 2022 beschrieb erst eine "optimale Zielarchitektur" und spricht in diesem Zusammenhang davon, dass "eine Umstrukturierung der Datenhaltung" notwendig sei, um Einschränkungen der Skalierbarkeit lösen zu können. Offensichtlich gab es also zumindest Insidern bekannte Schwierigkeiten, was die Skalierbarkeit betrifft.

Im Juni 2022 präsentierte das Schulministerium das Projekt auf der Didacta in Köln und gab bekannt, dass für Logineo NRW Aufwendungen von insgesamt 207 Millionen Euro geplant sind, verteilt auf die kommenden fünf Jahre. Diese knapp 42 Millionen pro Jahr sind die Gesamtkosten des Systems, für Entwicklung, Hosting und Betrieb, sie dienen nicht ausschließlich der Reparatur, wie das ein Presseartikel missverständlich darstellte.

Ende Juni 2022 übernahm Dorothee Feller (CDU) das Ministerium, eine erfahrene Verwaltungsfachfrau, zuvor fünf Jahre Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Münster. Ähnlich wie ihre Vorgängerin Gebauer lässt sie das Logineo-System ein weiteres Mal bewerten.

Die Überprüfung der "Entwicklungspotentiale der nordrhein-westfälischen Schulplattform" in Form eines Zukunftschecks übernimmt das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme (FOKUS), das Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Verwaltungen in der Gestaltung des digitalen Wandels unterstützt. Der wesentliche Unterschied zur Vorgehensweise des von Gebauer beauftragten Sachverständigen bestand nun darin, dass Workshops durchgeführt und darüber auch direkt Beteiligte der Schulträger, der Schulaufsicht, der Medienberater aus AG und Praxisausschuss von Logineo NRW sowie aus sieben Schulen zur Arbeit mit der Logineo-Familie befagt wurden.

Es ist naheliegend, dass der Vorschlag, Fraunhofer FOKUS den Check durchführen zu lassen, entweder aus dem Beratungsunternehmen BearingPoint stammte oder dort zumindest große Unterstützung erfahren hat. Die Unternehmen kennen sich durch zahlreiche gemeinsame Projekte.

Im August 2023 verkündete Ministerin Feller, dass Fraunhofer FOKUS den Zukunfts-Check von Logineo NRW "gründlich und gewissenhaft" durchgeführt habe. Das Ergebnis sei "mit allen Beteiligten ergebnisoffen diskutiert" worden, man habe entschieden, Logineo NRW fortzuführen. Dabei wolle man den fünf Empfehlungen von Fraunhofer FOKUS folgen, schon 2023 damit beginnen und die Umsetzung 2024 realisieren.

Der Zukunftscheck versprühte Optimismus und lobte das System. Die wirklich schwerwiegenden Kritikpunkte erschienen mal im Klartext, mal verbrämt, waren aber nie als Totschlagargument oder K.-o.-Kriterien zu lesen. Für schnelle Leser genügt dazu ein Blick auf die Empfehlungen:

  • Punkt 1: Es wird die Empfehlung gegeben, die einzelnen Logineo NRW-Komponenten besser zu integrieren. Dort heißt es schönfärberisch, die "Zusammensetzung von Logineo NRW aus getrennten Komponenten" lasse "das Produkt inkonsistent erscheinen".

    Schulplattform, das LMS und der Messenger inklusive Videokonferenzfunktion sind drei verschiedene Anwendungen, für die Lehrkräfte und Schüler drei verschiedene Zugänge benötigen. Es gibt keine gemeinsame Eingangsseite, von der aus man in die einzelnen Bereiche gelangt. Die gemeinsame Plattform und das Verbinden von Inseln war allerdings schon 2012 – also 11 Jahre zuvor – das explizit ausgegebene Ziel.
  • Punkt 2: Die kurzfristige Bereitstellung einer Office-Lösung zum gemeinsamen Arbeiten wird gefordert. Das war ebenfalls eine frühe Zielvorgabe im Projekt. Eigentlich sollte das für Lernmanagementsysteme eine Selbstverständlichkeit sein.
  • Punkt 3: Interoperabilität und Erweiterbarkeit werden betrachtet. Es wird kritisiert, dass das Kernsystem Logineo NRW keine dokumentierten Schnittstellen bietet, um weitere Funktionen modular andocken zu können. Nicht nur für moodle ist so etwas selbstverständlich. Heutzutage sind Schnittstellen zur Außenwelt obligatorisch für jede ernstzunehmende Anwendung im Netzwerk. Bei Logineo NRW hingegen "fehlt ein übergreifendes Daten- und Schnittstellenkonzept." Das heißt im Klartext, der Status quo von Logineo NRW ist nicht zukunftsfähig. Außerdem wird eine klare und ausführliche Dokumentation der Datenflüsse innerhalb von Logineo NRW angeregt.
  • Punkt 4 spricht die kontinuierliche Weiterentwicklung des Systems an. Viele der in den Workshops genannten Mängel seien "aus technischer Sicht keine komplexen Probleme und mit vergleichsweise wenig Aufwand zu beheben." Dies könne "zu Frustrationen und potentiell zur Ablehnung von Logineo NRW führen", so die Autoren des Checks. Wenn das kleinere Probleme sind, warum wurde daran bis jetzt nichts getan? Hier stellt sich die Frage nach der Projektsteuerung. Die fünfte Empfehlung schließlich mahnt die Bereitstellung einer Hilfeseite an, ggf. im Rahmen eines Webportals. Ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.

Der Zukunftscheck von Fraunhofer FOKUS wirft ein weiteres Mal die Frage auf: Warum wurden diese offensichtlichen Anforderungen und Probleme in der langen Projektlaufzeit nicht gelöst? Warum gibt es kein Schnittstellenkonzept, keine hinreichende Dokumentation der internen Datenflüsse? Hierbei hilft ein Blick auf das Kernsystem, die bereits vor der Pandemie existierende Schulplattform.

Herzstück des Kernsystems Logineo NRW ist der Cloudspeicher. Das System nutzt dazu die bereits erwähnte edu-sharing Software, die ihrerseits auf dem Content-Management-System Alfresco aufsetzt. Mit edu-sharing ist laut Auskunft des gemeinnützigen Vereins eine Bildungscloud-Lösung für die Vernetzung von E-Learning-Infrastrukturen realisierbar. Vernetzung bedeutet Schnittstellen. Der Fraunhofer Zukunftscheck hatte das Fehlen ebendieser moniert. Hinzu kommen Schwierigkeiten bezogen auf die Skalierung. Ist möglicherweise in diesen beiden Punkten der sprichwörtliche Wurm versteckt?

Auffällig war zudem, dass 2015 in der Beschlussvorlage des LVR einer der ursprünglichen Partner, die regioIT Aachen, nur noch am Rande und allgemein erwähnt ist. Sie habe den Auftrag, datenschutzkonforme IT-Lösungen für Schulen zu erarbeiten. Ein Blick auf das aktuelle Produktportfolio der regioIT zeigt, dass das Unternehmen mittlerweile eine eigene Schul-Lösung anbietet, bestehend aus dem LMS UCLOUD4SCHOOLS und dem Videokonferenztool UTALK4SCHOOLS. Die Plattform feiert 2023 ihr Zehnjähriges. Sie basierte ursprünglich auf dem Cloudspeicher ownCloud, der 2017 durch seinen deutschen Ableger, den Fork Nextcloud ersetzt wurde.

Der andere Projektpartner, das KRZN, engagierte sich schon früh in Projekten auf Basis des Cloudspeichers edu-sharing. Es gab und gibt gewachsene Verbindungen des kommunalen Rechenzentrums zum gemeinnützigen Verein gleichen Namens.

Lag oder liegt hier möglicherweise ein technischer Interessenkonflikt vor? Die regioIT bevorzugt offensichtlich einen anderen Cloudspeicher. Ist das der Grund für einen Rückzug der regioIT aus dem Projekt?

Edu-sharing ging hervor aus einem DFG-Projekt an der Fernuni Hagen, dem als Spin-off ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des Projektes folgte. Die Firma metaVentis GmbH bildet das Kernentwicklerteam hinter edu-sharing. Der gemeinnützige Verein und die GmbH haben dieselbe Postanschrift. Daraus müssen nicht notwendigerweise Schlüsse gezogen werden. Ungewöhnlich sei das aber schon, bemerken einige IT-Fachleute.

Wenn die schwerwiegendsten zur Langwierigkeit des Projekts beitragenden Probleme in der Hauptsache am Cloudspeicher edu-sharing festzumachen sind, kann dieser einfach ersetzt werden? Einige IT-Fachleute sind dieser Ansicht und äußern offen, dass Nextcloud aus mehreren Gründen ein guter Kandidat sei.

Nextcloud ist seit 2017 kompromisslos skalierbar zu relativ kommoden Kosten, auch eine Anbindung als Cloudspeicher an Moodle-Instanzen ist bereits erfolgreich realisiert worden. 2021 gibt die Nextcloud GmbH bekannt, dass die Software als Plattform für das EU-Projekt zur digitalen Souveränität Gaia-X ausgewählt wurde. Die IT der Bundesministerien setzt ebenfalls auf Nextcloud.

Darüber hinaus ist sämtliche Software von Nextcloud, anders als die Enterprise Edition Alfresco One als CMS von edu-sharing, frei verfügbar und unterliegt nur der AGPL. Die Community der Software hat ein wesentlich größeres Wachstumspotential als die Community von edu-sharing. Die Telekom AG setzt bei ihrer MagentaCloud auf Nextcloud; sie migrierte inzwischen geräuschlos Millionen von Anwendern.

Eine Umorganisation des Kernsystems von Logineo NRW auf einen anderen Cloudspeicher kommt einer Kernsanierung gleich. Nextcloud bietet aber den Vorteil einer ganzen Reihe von existierenden und wohldokumentierten Schnittstellen, die unmittelbar genutzt werden könnten.

Ein weiterer Vorteil wäre die hohe Akzeptanz in Kreisen der Nutzer. Aus der Dokumentation der Anregungen und Erfahrungen aus den Workshops des Zukunftschecks geht hervor, dass Nextcloud an mehreren Stellen vorgeschlagen und diskutiert wurde. Es besteht also die reale Chance, auf die im Zukunftscheck von Fraunhofer FOKUS schriftlich festgehaltenen Vorschläge der Teilnehmer der Workshops zu hören und diese ggf. umzusetzen.

Eine entsprechende Entscheidung des Ministeriums würde die Bereitschaft unterstreichen, sich auch auf externe Vorschläge und Expertisen einlassen zu können. Die Akzeptanz der Logineo-Familie bei den Anwendern dürfte entsprechend steigen. Allerdings käme eine solche Entscheidung auch dem Eingeständnis gleich, jahrelang auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Das könnte aber damit gerechtfertigt werden, dass technische Entwicklungen auf dem freien IT-Markt – sowohl im kommerziellen Bereich als auch in den Open-Source-Communitys – mit einem ganz anderen Tempo ablaufen und nicht selten Planungen überholen oder gar obsolet machen. Sie haben ein gewisses disruptives Potenzial. Deren Ergebnisse sind von vornherein nicht immer abschätzbar.

Es muss klar gesagt werden, dass die mit diesem Projekt über die Jahre befassten Minister an den Entwicklungen keine direkte Schuld trifft, gleichwohl – das bringt das Ministeramt mit sich – tragen sie die politische Verantwortung. Seit Jahren geistert der Spruch durchs Land, dass man mit Bildungspolitik keine Wahl gewinnen, gleichwohl aber Wahlen verlieren kann. Sind die Strukturen der Ministerien, die in nahezu allen Belangen der klassischen hierarchischen Aufbauorganisation folgen, für ein erfolgreiches Management des schulischen Bildungssystems noch zeitgemäß?

Der ministeriale Plan dafür, wie eine Lernplattform zum Zeitpunkt ihres Einsatzes – zehn Jahre später – auszusehen und strukturiert zu sein hat, zeigt zumindest, welche Lasten ein Verwaltungsapparat sich selbst auferlegt. Er berücksichtigt nicht die parallelen Entwicklungen in der Welt.

Meine Auffassung ist: Politik kann und soll ganzheitlich Entwicklungen aus der Welt aufnehmen und reflektieren und daraus Richtungen für Entwicklungen vorgeben, dafür ist sie da. Die konkrete Lösungsaufgabe sollte dann vernünftig delegiert werden. Ein erster Schritt, dieses Festbeißen an bestimmten Nicht-Lösungen zu vermeiden, könnte darin bestehen, die im Kontext Schule beteiligten Fachpersonen ihre Erfahrungen und Beobachtungen zusammentragen zu lassen, diese in gemeinsamen Runden zu diskutieren und daraus Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Bislang hat das Schulministerium vieles – quasi von oben herab – bestimmt. Die Vorgehensweise im Zukunftscheck von Fraunhofer FOKUS zeigt demgegenüber einen neuen Weg auf: Expertisen von Außen könnten (und sollten) zugelassen werden.

(kbe)