Missing Link: Telematische Infrastruktur – die abgespahnte Seite des Systems

Das Gesundheitsministerium unter Minister Spahn digitalisiert das Gesundheitswesen im Eiltempo. Ärzte und Patienten haben wenig zu sagen. Eine Bestandsaufnahme.

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Missing Link: Telematische Infrastruktur – die abgespahnte Seite des Systems

(Bild: Ritsch-Renn/Heise)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Seit vergangenen Montag ist das Patientendatenschutzgesetz (PDSG) in Kraft. Dieses "Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur" regelt eine Vielzahl von Dingen – von der IT-Sicherheit in Krankenhäusern, die ab 2022 verpflichtend eingehalten werden muss, bis zur Anlage des Notfalldatensatzes eines Versicherten durch den Arzt. Viele dieser neuen Regelungen führen zu Veränderungen an anderer Stelle. So werden Ärzte für das Anlegen des Notfalldatensatzes (NFD) vom 20. Oktober 2020 bis zum 19. Oktober 2021 besonders vergütet, danach soll dies eine Routinearbeit sein.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Einige Regelungen haben Auswirkungen für die Versicherten selbst. So sollen sie für das elektronische Rezept, das Mitte 2021 kommen soll, eine neue elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit NFC-Chip bekommen und dazu einen PIN-Brief, um die Karte scharf zu schalten. Mit einer APP und einem NFC-fähigen Smartphone können sie dann die Apotheke auswählen, in der das eRezept eingelöst wird. Eine weitere App kommt mit der elektronische Patientenakte (ePA) ins Haus, die von Ärzten ab Anfang 2021 mit Diagnosen und Daten aus ihren Praxisverwaltungssystemen (PVS) gefüllt werden soll. Die ePA ist patientenzentriert: die Versicherten haben die Möglichkeit, Diagnosen zu löschen oder (ab Mitte 2022) zu verbergen, wenn sie nicht möchten, dass bestimmte Ärzte Diagnosen sehen, etwa der Zahnarzt den Hinweis auf eine psychische Erkrankung. Gewissermaßen zum Ausgleich wird KIM gestartet, die sichere "Kommunikation in der Medizin", die Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen miteinander verbindet.

Mit dem Einzug der Computer in die Medizin befürchteten die Ärzte vor vielen Jahren einen "entarteten, diagnostisch-therapeutischen Selbstbedienungsladen" wie es seinerzeit der Spiegel im Jahr 1970 formulierte. Was sie bekamen, waren Praxis- und Krankenhausverwaltungssysteme (PVS/KVS) zur Verwaltung der Patienten, verbunden mit immer größeren Dokumentationspflichten in der elektronischen Krankenakte.

Die Idee, all diese Einzelsysteme zu vernetzen und so etwas wie eine Gesundheitstelematik aufzubauen, lässt sich auf das Jahr 1997 datieren, als der Unternehmensberater Roland Berger die Studie Telematik im Gesundheitswesen – Perspektiven der Telemedizin in Deutschland (PDF-Datei) veröffentlichte. Der überaus optimistische Bericht schwärmte von der Einführung einer elektronischen Patientenakte, in der alle Ärzte systemübergreifend die medizinischen Daten eines Versicherten einspeichern und ihre Befunde mit einem Schlüssel signieren. Der Vorstoß von Roland Berger im Auftrag des Forschungs- und des Gesundheitsministeriums verpuffte.

Die Lage änderte sich im Jahre 2001, als mit dem sogenannten Lipobay-Skandal das Problem der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) diskutiert wurde. Nach Todesfällen durch die Einnahme zweier kontraindikativer Medikamente wurde die Einführung eines Medikamenten-Pflichtpasses für alle Bürger diskutiert. Unter der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt entstand aus dieser Idee die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK), auf der der Medikationsplan und die elektronischen Rezepte gespeichert werden.

Ärzte, Apotheker und die Versicherten sollten auf die eGK zugreifen können und über eine eigene telematische Infrastruktur Daten zu der eGK austauschen können. Die Gesundheitskarte sollte per Gesetz zum 1. Januar 2006 eingeführt werden, die telematische Infrastruktur sollte durch eine Projektgesellschaft namens Gematik geplant und aufgebaut werden, in der jeweils zu einem Drittel Ärzte/Zahnärzte, Apotheker und Krankenkassen über ihre jeweiligen Verbände das Stimmrecht ausüben.