Missing Link: Urknalltheorie – warum uns die Dunkle Energie das Licht abdreht

Die Urknalltheorie sagt uns, dass der Kosmos expandiert. Aber wie groß ist das beobachtbare Universum? Eine simple Frage mit einer komplizierten Antwort.

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Das Licht der bisher fernsten nachgewiesenen Galaxie GN-z11 ist um den Faktor 12 ins Infrarote verschoben. Die heute für uns nachweisbare Strahlung verließ die Galaxie 400 Millionen Jahre nach dem Urknall, und sie war 13,4 Milliarden Jahre lang bis zu uns unterwegs. Wie weit ist die Galaxie von uns entfernt? Tipp: Es sind nicht 13,4 Milliarden Lichtjahre…

(Bild: Hubble-Weltraumteleskop, NASA, ESA, P. Oesch (Yale University), G. Brammer (STScI), P. van Dokkum (Yale University), and G. Illingworth (University of California, Santa Cruz).)

Lesezeit: 37 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. Diesmal geht es um die Frage, wie groß das beobachtbare Universum ist und welchen Maßstab man an ein expandierendes Universum anlegt.

Nachdem wir uns in den bisherigen Artikeln dieser Reihe davon überzeugen konnten, dass die Sache mit dem Urknall, der Dunklen Energie und Dunklen Materie nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein scheint, können wir uns nun ein wenig mit der Dynamik des expandierenden Universums auseinandersetzen. Fangen wir mit einer einfachen Frage an, die uns bald schon in die Abgründe des Urknallmodells hinein ziehen wird.

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Wie groß ist eigentlich das beobachtbare Universum? Das kann ja eigentlich nicht so schwer zu berechnen sein. Das Weltall ist 13,8 Milliarden Jahre alt und nichts kann sich schneller bewegen als das Licht – folglich müsste sein Radius 13,8 Milliarden Lichtjahre sein? Oder? ODER?

Leider falsch geraten – so funktioniert die Expansion nicht. Es gibt nicht zwei am weitesten voneinander entfernt liegende Orte, die sich mit Lichtgeschwindigkeit in jede Richtung voneinander entfernen. Die Hubble-Lemaître-Expansion ist keine Expansion von irgendetwas in den leeren Raum, was maximal mit Lichtgeschwindigkeit möglich wäre. Es ist der Raum selbst, der expandiert. Und der expandiert mit keiner bestimmten Geschwindigkeit, sondern mit einer Rate. Was heißt das denn nun schon wieder?

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die Hubble-Lemaître-Konstante H0 wird gemeinhin in km/s pro Megaparsec (Mpc) angegeben (km s-1 Mpc-1). Kilometer pro Sekunde ist eine Geschwindigkeit, Megaparsec ist eine Entfernung (1 Parsec ist die Entfernung, aus der die Astronomische Einheit, das ist die mittlere Entfernung Erde-Sonne, einen Sehwinkel von 1 Bogensekunde = 1/3600 Winkelgrad einnimmt, das sind etwa 3,26 Lichtjahre). Anschaulich betrachtet wächst die Geschwindigkeit, mit der sich Galaxien aufgrund der kosmischen Expansion von uns entfernen, mit knapp 70 km/s (genauer: 67,27 km/s) je Megaparsec Entfernung. Also bei 2 Mpc mit 140 km/s und bei 10 Mpc mit 700 km/s.

Man kann die beiden Strecken (km und Mpc) natürlich auch gegeneinander wegkürzen, denn 1 Mpc = 3,084·1019 km. Dann bleibt übrig: 67,27/3,084·1019 s-1= 2,181·10‑18/s, also eine Zahl dividiert durch Sekunde. Ein Zahlenwert durch Sekunde ist eine Rate, ein Anteil pro Sekunde (keine Frequenz, da sich hier nichts zyklisch wiederholt). Es ist der relative Anteil, um den eine jede Strecke aufgrund der kosmologischen Expansion pro Sekunde wächst. Man könnte ihn auch in Prozenten ausdrücken: 2,181·10-16 % der Strecke pro Sekunde, eine Art kosmologischer Zinssatz. Bezogen auf einen Kilometer würde dieser um 71,6 Nanometer pro Jahr wachsen. Das sind weniger als 1/10.000 mm. So schnell expandiert das Universum also gar nicht. Erst auf die gewaltigen Entfernungen zwischen Galaxien summiert sich dieses eigentlich unglaublich träge Wachstum auf nennenswerte Geschwindigkeiten.

Wenn aber alles wächst, warum wachsen wir und alle Maßstäbe nicht mit? Über gar nicht einmal so kurze Zeiträume betrachtet ist die Expansionsrate nahezu konstant (siehe unten). Es braucht daher nichts als einen kleinen Schubs gegen die Raumexpansion, um die Entfernung zu einem von der Raumexpansion fortgetriebenen Objekt konstant zu halten. Man muss nur genau so schnell in Richtung des Objekts unterwegs sein, wie sich dessen Entfernung vom Ausgangspunkt durch die Raumexpansion vergrößert, dann bleibt der Abstand kräftefrei unverändert. Es wäre sicherlich schwierig, diese Geschwindigkeit exakt zu treffen, aber der wesentliche Punkt ist: Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung. Wir brauchen aber, einmal auf der richtigen Geschwindigkeit, gar nicht zu beschleunigen, um den Abstand zu einem anderen Objekt gegen die Raumexpansion zu halten – also gibt es auch keine Kraft, die uns von dem Objekt fortzieht. In der Realität sorgen vielmehr die Kräfte zwischen den Objekten, seien es die Gravitation oder bei in Kontakt befindlichen Objekten die Bindungskräfte der Materie dafür, dass die Objekte und Atome zusammenhalten, Planeten um ihre Sterne kreisen und diese um ihre Galaxien, ohne von der kosmologischen Expansion auseinander gezogen zu werden.

Erst auf Entfernungsskalen, auf denen die Gravitation zwischen den Galaxien kaum noch eine Rolle spielt, beginnt es an dem "kleinen Schubs" zu mangeln, der verhindern könnte, dass sich zwei Galaxien voneinander entfernen, denn die Materie entstand ja gewissermaßen in Ruhe zum umgebenden Raum. Zwar gibt es gemäß der Relativitätstheorie kein absolutes Bezugssystem, das aus Sicht aller anderen Systeme übereinstimmend in Ruhe verharrt. Man kann vielmehr jedes beliebige Objekt als ruhenden Bezugspunkt für alle anderen festlegen und die Geschwindigkeiten aller anderen Objekte relativ zu diesem einen Objekt bestimmen. Die Rotverschiebung der kosmischen Hintergrundstrahlung bildet hierbei ein im gesamten Universum verfügbares, ausgezeichnetes Bezugssystem, relativ zu welchem man seine Geschwindigkeit überall leicht feststellen kann: Man ist genau dann in Ruhe zur Hintergrundstrahlung, wenn diese in jeder Richtung dieselbe Rotverschiebung und damit dieselbe Temperatur hat. Das trifft für die Erde zu, wenn man ihre Bewegung um die Sonne sowie deren um die Milchstraße subtrahiert, und ebenso die Bewegung der Milchstraße aufgrund der Gravitation des benachbarten Superhaufens abzieht. Es geht hier um ein paar hundert km/s, sprich, Peanuts.

Nach dem kosmologischen Prinzip ist das überall im Universum genauso. Die Materie entstand überall in relativer Ruhe zur Hintergrundstrahlung, denn die Hintergrundstrahlung entsprang ja gerade eben jener Materie in ihrer frühen, heißen Phase. Jegliche Bewegung der Galaxien umeinander und der Sterne innerhalb der Galaxien entstand erst danach durch die Fallbeschleunigung, welche die Materie in Richtung zufällig etwas dichterer Zonen im Gas strömen ließ. Die Dichteunterschiede waren aus Quantenfluktuationen hervorgegangen, die durch die Inflation auf kosmische Ausmaße vergrößert und durch Baryonische Akustische Oszillationen im Plasma des Urknalls verstärkt worden waren.

Bei hinreichend weit entfernten Galaxien in der Größenordnung von ca. 10 Mpc dominiert die Hubble-Lemaître-Expansion über die durch die wechselseitige Gravitation verursachte Bewegung der Galaxien. Und bei Entfernungen von 14,5 Milliarden Lichtjahren erreicht die Geschwindigkeit, mit welcher der Raum anwächst, gar die Lichtgeschwindigkeit, und überschreitet sie darüber hinaus – man kann sich aber nicht schneller als das Licht der Galaxie hinterher bewegen und somit wird es unmöglich, die Entfernung zu einer sich so schnell entfernenden Galaxie konstant zu halten.

Dass die Raumexpansion die Lichtgeschwindigkeit überschreitet, ist dabei keine Verletzung der Relativitätstheorie, die es verbietet, dass sich ein Objekt so schnell wie oder schneller als das Licht durch den Raum bewegt. Denn es bewegt sich bei der Raumexpansion ja gar nichts. Bis auf die vergleichsweise langsamen (hunderte km/s) lokalen Bewegungen der Galaxien verharren diese am Ort ihrer Entstehung. Jedoch geht der Raum zwischen ihnen auf wie ein Hefeteig, und dies wie oben erläutert mit einer eigentlich sehr geringen Rate.

Die Hubble-Lemaître-Konstante misst also nicht, wie schnell sich zwei Orte in einem Referenzabstand voneinander weg bewegen, sondern wie viel Strecke durch das Anwachsen des Raums um 2,181·10-16 % pro Sekunde über diesen Referenzabstand hinzukommt. Es ist ein wenig so, als ob man abends einen letzten Blick auf die Häuser auf der gegenüber liegenden Straßenseite würfe, um dann am nächsten Morgen festzustellen, dass die Straße viel breiter geworden wäre, ohne dass sich die Häuserzeilen selbst bewegt hätten. Wachstumsraten von mehr als Lichtgeschwindigkeit ergeben sich einfach dadurch, dass 2,181·10‑16 % pro Sekunde von mehr als rund 14,5 Milliarden Lichtjahren größer als 300.000 km/s sind.

Diese Entfernung heißt Hubble-Radius. Sie hat nicht ganz zufällig einen Wert in Lichtjahren (was eine Entfernung ist), der dem Weltalter in Jahren ähnelt: Da sich Orte am Hubble-Radius mit Lichtgeschwindigkeit von uns entfernen, wären sie bei konstanter Geschwindigkeit vor 14,5 Milliarden Jahren mit uns am gleichen Ort gewesen, also läge der Urknall 14,5 Milliarden Jahre zurück. Wenn man den Hubble-Radius gerade nicht parat hat, kann man auch einfach die Hubble-Lemaître-Konstante reziprok nehmen: 1/H0 = 1/2,181·10‑18 s = 14,53 Milliarden Jahre. Dieser Wert, der als Hubble-Zeit bezeichnet wird, entspricht nicht genau dem tatsächlichen Weltalter, weil die Expansion nicht zeitlich konstant verlief – zunächst wurde sie durch die wechselseitige Schwerkraft der Materie gebremst, woraufhin die Dunkle Energie sie in der zweiten Hälfte des bisherigen Weltalters beschleunigt hat. Er kommt jedoch recht nahe an die 13,8 Milliarden Jahre heran, da sich Verlangsamung und Beschleunigung zum heutigen Weltalter fast gegenseitig aufheben.

Die Expansion des Universums über die Zeit. Auf der x-Achse die Zeit gemessen als Anteil des heutigen Alters. Auf der y-Achse die Ausdehnung als Anteil der heutigen Ausdehnung. Die durchgezogene Linie entspricht der Vorhersage des ΛCDM-Modells mit Dunkler Energie Λ und (Dunkler) Materie im heutigen Verhältnis von ca. 68 % : 32 %. Die blauen Punkte sind Messpunkte von 1048 Supernovae, die im Rahmen einer Messkampagne namens "Pantheon" gewonnen wurden.
Während das Wachstum sich zu Beginn verlangsamte, da die Materiedichte und die daraus resultierende Gravitation der Materie den Effekt der Dunklen Energie übertraf, konnte sich die Dunkle Energie allmählich durchsetzen. Über das bisherige Weltalter wuchs das Universum fast linear an. Dies wird jedoch nicht so bleiben.

(Bild: Ringmacher, Mead, 2019)

Nun sind wir etwas abgeschweift von der Eingangsfrage – wie groß ist das beobachtbare Universum? Man könnte immer noch versucht sein, 14,5 Milliarden Jahre zu antworten, denn das Licht kann doch während des Weltalters höchstens den Hubble-Radius zurückgelegt haben. Nein! Wir brauchen zum Verständnis noch einen Aspekt, dann können wir die Frage beantworten. Und zwar das Fallen des Hubble-Parameters.

Betrachten wir eine Galaxie am Hubble-Radius, die sich mit Lichtgeschwindigkeit von uns entfernt. Wie schnell entfernte sie sich vor einem halben Weltalter von uns (ausgehend von einem bisher nahezu linearen Wachstum, siehe obiges Schaubild)? Auch mit Lichtgeschwindigkeit! In einem Universum mit linearer Expansion bleibt die Geschwindigkeit, mit der sich ein kosmologisches Objekt von uns entfernt, konstant – das gilt für unser Universum zum heutigen Weltalter näherungsweise. Für die Hubble-Lemaître-Konstante zum halben Weltalter bedeutet dies, dass sie damals doppelt so groß war wie heute – konstant ist sie nur über die Strecke, nicht über die Zeit t; man spricht daher auch vom Hubble-Lemaître-Parameter H(t). Ein Objekt in heute 1 Mpc Entfernung, das sich mit 70 km/s von uns entfernt, war zur Hälfte des heutigen Weltalters T nur 500 kpc entfernt und entfernte sich damals ebenfalls mit 70 km/s von uns. Der Hubble-Lemaître-Parameter H(T/2) betrug damals also 70 km/s pro 0,5 Mpc = 140 km s-1 Mpc-1. H(t) fällt also mit der Zeit.

Raum-Zeitdiagramm eines linear expandierenden Universums. Die Entfernung ist auf der x-Achse, die Zeit auf der y-Achse dargestellt. Der Wert a gibt an, welchen Größenfaktor das Universum zur jeweiligen Zeit relativ zur heute (13,8 Milliarden Jahre, oben) hatte. Der Hubble-Radius ist derjenige Radius, in welchem die kosmologische Expansion die Strecke zu uns gerade mit Lichtgeschwindigkeit (c) vergrößert (blau unterlegter Bereich).
Dennoch erreicht uns Licht von Orten, die sich noch schneller als mit Lichtgeschwindigkeit von uns entfernen, wie die hier in gelb eingezeichneten, exemplarischen Lichtwege zeigen. Zu Beginn des Universums entfernte sich Licht, das von solchen Objekten in unsere Richtung ausgestrahlt wurde, von uns, da der Hubble-Parameter viel größer als heute war. Verfolgt man eine gedachte senkrechte Linie nach oben, so nimmt jedoch die Expansionsgeschwindigkeit beständig ab, und so konnte das Licht sich immer mehr gegen die Raumexpansion behaupten, bis es schließlich begann, Strecke zu uns gut zu machen. Im obigen Bild unterschreitet der Lichtstrahl den (damaligen) Hubble-Radius bei einem Weltalter von etwa 4,5 Milliarden Jahren und a=0,3. Der Lichtweg ab dem Zeitpunkt des Eintritts in den blauen Bereich entspricht dem im Artikeltext beschriebenen Fall, dass uns heute Licht aus der Entfernung des Hubble-Radius erreicht.

(Bild: Autor)

Als sich das Licht von einem Objekt, das sich heute am Hubble-Radius befindet, auf den Weg zu uns gemacht hatte, war der Hubble-Parameter viel größer gewesen. Die Galaxie war uns viel näher, aber die Expansionsgeschwindigkeit über diese Entfernung dennoch gleich der Lichtgeschwindigkeit. Das Licht musste gegen die Raumexpansion in unsere Richtung kriechen und hat zunächst keine Strecke gut machen können, weil der Lichtstrahl aus unserer Sicht auf der Stelle trat. Aber H(t) fiel nun beständig, und somit fiel die Expansionsgeschwindigkeit für die Entfernung des Lichtstrahls von der Erde, sodass er allmählich begann, die Entfernung zu uns zu verkürzen. Die Expansion des Raums hinter dem Lichtstrahl, welche die Galaxie weiter forttrieb, betraf ihn nicht mehr, nur diejenige der noch vor ihm liegenden Strecke.

Der Lichtstrahl musste also nicht den vollen Hubble-Radius zurücklegen (die heutige Entfernung der Galaxie), sondern viel weniger. Mit den aktuellen kosmologischen Parametern (Hubble-Lemaître-Konstante H0=67,27 km/s, Materiedichte ΩM=0,3166, Dichte der Dunklen Energie ΩΛ =0,6834) kommt man auf eine Laufzeit von 9,5 Milliarden Jahren bis zur Erde. Objekte, die sich heute am Hubble-Radius befinden, sehen wir so, wie sie vor 9,5 Milliarden Jahren aussahen, und als ihr Licht sich auf den Weg zu uns machte, betrug ihre Entfernung 5,85 Milliarden Lichtjahre, was dem damaligen Hubble-Radius entsprach; ihre Rotverschiebung beträgt 1,48 (diese Zahlen wurden mithilfe von Edward L. Wrights Kosmologierechner berechnet).

Das Weltall ist jedoch 13,8 Milliarden Jahre alt und es gibt Galaxien, die deutlich höhere Rotverschiebungen haben. Der derzeitige Rekordhalter ist die Galaxie GN-z11 mit einer Rotverschiebung von z=11,1, entsprechend einer Lichtlaufzeit von 13,4 Milliarden Jahren. Daraus folgt sofort:

  1. Wir können durchaus Galaxien hinter dem Hubble-Radius sehen. Diese Galaxien bewegen (und bewegten) sich schneller als das Licht von uns weg, aber ihr Licht hat uns trotzdem erreicht.
  2. Das beobachtbare Universum ist erheblich größer als der Hubble-Radius.
  3. Die Lichtlaufzeitentfernung entspricht weder der heutigen Entfernung, noch derjenigen, als sich das Licht auf den Weg zu uns machte. Sie liegt dazwischen.

Punkt 1. haben wir schon geklärt. Punkt 2. war unsere Eingangsfrage. Die zur Berechnung der Größe des beobachtbaren Universums nötige Mathematik ist in einem Universum mit Eigengravitation der Materie und Dunkler Energie ein wenig zu komplex für einen populärwissenschaftlichen Artikel, aber zum Glück gibt es den oben genannten Rechner, der sie berücksichtigt und der für ein Weltalter von 13,8 Milliarden Jahren einen Radius von 46,1 Milliarden Lichtjahren ausspuckt (H0=67.27, OmegaM=0.3166, Lichtlaufzeit 13.8 Gyr, alle Zahlen mit Dezimalpunkt statt Komma, "Flat" klicken, "comoving radial distance" ablesen).

Je nachdem auf welche exakten kosmologischen Parameter man sich bezieht, können es auch ein paar hundert Millionen Lichtjahre mehr oder weniger sein – diese haben Messfehler und man kann verschiedene Messungen zugrunde legen und kombinieren. Gerade H0 weicht im lokalen Universum mit 74 km s-1 Mpc-1 ziemlich stark vom Wert ab, der aus der Hintergrundstrahlung oder der heutigen Größe der aus BAOs hervorgegangenen Strukturen ermittelt wurde.

Wir halten also fest, dass das beobachtbare Universum deutlich größer ist als das Weltalter multipliziert mit der Lichtgeschwindigkeit, die in einer expandierenden Raumzeit keinerlei Limit für die Expansion darstellt. Das wäre übrigens im falschen Modell, dass der Urknall eine Explosion von Materie in den leeren Raum hinein sei, ganz anders – hier wäre am Pendant des Hubble-Radius ein Rand, hinter dem nichts mehr sein könnte, weil sich nichts mit mehr als Lichtgeschwindigkeit vom Ort des Urknalls hätte wegbewegen können.

Bleibt noch Punkt 3. Wir müssen reden. Über Entfernungen.

Offensichtlich gilt im expandierenden Kosmos also nicht mehr die schöne Regel, dass die Entfernung eines kosmischen Objekts in Lichtjahren gleich der Laufzeit des Lichts in Jahren mal der Lichtgeschwindigkeit ist. Dies gilt nur für "kosmologisch kleine" Entfernungen. So klein, dass sich das Universum während der Lichtlaufzeit nicht nennenswert ausgedehnt hat. Bis zu 250 Millionen Lichtjahren Entfernung bleibt der Fehler kleiner als 1 Prozent, nimmt dann jedoch allmählich zu bis auf mehr als 300 Prozent.

In vielen Zeitungsartikeln über kosmologisch ferne Objekte liest man immer, dass sie soundso viele Lichtjahre entfernt seien, wenn ihr Licht soundso lange zu uns unterwegs war. Das ist nicht vollkommen falsch, aber mindestens irreführend. Man müsste dazu sagen, welches Entfernungsmaß gemeint ist.

Es gibt bekanntlich eine ganze Reihe von Methoden, mit denen Entfernungen gemessen werden können. Die Lichtlaufzeit ist eine davon, und sie kommt zum Beispiel bei Laser-Entfernungsmessern zum Einsatz. Man kann auch einfach ein Maßband zwischen zwei Objekten ziehen. Oder man trianguliert die Entfernung: wenn man die Größe eines Objekts kennt und den Winkel misst, unter dem das Objekt erscheint (den sogenannten "Sehwinkel"; Sonne und Mond durchmessen zum Beispiel beide etwa ½°), folgt mit den Gesetzen der Trigonometrie die tatsächliche Größe. Und schließlich verwendet man in der Astronomie sehr häufig die Helligkeitsmessung zur Entfernungsbestimmung: Ein Stern leuchtet in der doppelten Entfernung nur ¼ so hell, die Helligkeit fällt mit dem Quadrat der Entfernung. Kennt man die Leuchtkraft des Objekts – etwa bei den Cepheiden-Sternen, deren Leuchtkraft in einer festen Beziehung zur Periode ihres Lichtwechsels steht, oder bei Supernovae vom Typ Ia, die alle denselben Mechanismus haben und deren maximale Helligkeit damit stets nahezu gleich groß ist – man spricht auch von "Standardkerzen". Mit ihrer Hilfe kann man beispielsweise die Entfernung von anderen Galaxien bestimmen.

Alle diese Methoden liefern im nahen Universum denselben Wert: DIE Entfernung. Im expandierenden Kosmos und über große Distanzen weichen sie jedoch teils erheblich voneinander ab und daher unterscheidet man je nach der Messmethode zwischen Lichtlaufzeitentfernung (engl. light travel distance), Winkeldurchmesserentfernung (angular size distance), Leuchtkraftentfernung (luminosity distance) und Eigendistanz (proper distance). Und dann gibt's noch eine "mitbewegte Entfernung" (comoving distance).

Dasjenige Entfernungsmaß, das dem aus dem Alltag bekannten Entfernungsbegriff am nächsten kommt, und welches ich in diesem Text bisher unter dem Begriff "Entfernung" implizit verwendet habe, ist die Eigendistanz. Sie entspricht der Entfernung, die man messen würde, wenn man die Expansion des Weltalls im augenblicklichen Zustand einfröre und dann mit einem (sehr) langen Maßband die Abstände messen würde. Da das Weltall überall gleich alt ist und die Objekte darin sich relativ zur Hintergrundstrahlung lokal nicht mit Geschwindigkeiten bewegen, die relativistische Effekte wie Zeitdilatation mit sich bringen würden, ist der Begriff der "Jetztzeit" wohldefiniert, denn irgendwie müsste der Messzeitpunkt mit dem am anderen Ende des Maßbands synchronisiert sein (man müsste das Weltall überall zur selben Zeit einfrieren).

Wenn man zum Urknall im gesamten Weltall Uhren gestartet hätte, könnte man anhand von diesen festlegen, wann genau eine Messung der Distanz zweier Objekte stattfinden soll. Da das Einfrieren des Universums nur schwierig zu bewerkstelligen ist und es im Übrigen auch an hinreichend langen Maßbändern mangelt, können wir die Eigendistanz nicht direkt messen, sondern nur aus den anderen Entfernungsmaßen ableiten. In Eigendistanz gemessen beträgt der Radius des beobachtbaren Universums 46,1 Milliarden Lichtjahre und der Hubble-Radius 14,5 Milliarden Lichtjahre.

Wenn wir wissen, wie groß die Entfernung zu einem Objekt heute ist, wollen wir vielleicht auch wissen, wie groß sie zu einer früheren Zeit war (etwa, bei welcher Entfernung von uns das Licht eines Objektes am Hubble-Radius auf den Weg geschickt werden musste, damit es uns heute erreicht). Dazu kann man praktischerweise die Rotverschiebung z verwenden, welche derjenige Messwert ist, der bei der kosmologischen Entfernungsmessung üblicherweise als Erstes bestimmt wird, da er sich aus dem Spektrum einer Galaxie sofort ablesen lässt. z ist definiert als die Differenz zwischen der beobachteten Wellenlänge des Lichts und der ursprünglichen Wellenlänge, dividiert durch die ursprüngliche Wellenlänge. Beispiel: die türkisfarbene Balmer-Hβ-Linie hat eine Wellenlänge von 486 nm. Wenn sie bei einer Wellenlänge von 729 nm beobachtet wird, beträgt die Rotverschiebung (729 nm - 486 nm)/486 nm = 0,5. 1+z gibt dann praktischerweise an, um welchen Faktor die Wellenlänge angewachsen ist, hier also um den Faktor 1,5. Da das Anwachsen der Wellenlänge durch ein genau entsprechendes Anwachsen des Raums verursacht wurde, folgt, dass die Eigendistanz zur Zeit der Aussendung des Lichts um den Faktor 1/(1+z) kleiner war (im obigen Beispiel: 2/3). Dieser Wert hat einen eigenen Namen und heißt Skalenfaktor, abgekürzt mit a.

a(t), also a zur Zeit t, gibt an, wie groß eine durch die Raumexpansion wachsende Eigendistanz zum Weltalter t relativ zur heutigen Eigendistanz gewesen war oder sein wird. Für das heutige Weltalter T ist a(T)=1, denn lokale Objekte haben eine Rotverschiebung von z(T)=0, also ist a(T) = 1/(1+z(T)) = 1/(1+0) = 1. Der Skalenfaktor und sein einfacher Zusammenhang mit der Rotverschiebung z ist sehr praktisch, da aus z immer sofort folgt, wie klein das Universum war, als das beobachtete Licht ausgesendet wurde. Die oben genannte fernste Galaxie GN-z11? z=11, also 1/12 der heutigen Größe. Der Hubble-Radius? z=1,48 also 1/2,48 der heutigen Entfernung 14,5 Milliarden LJ = 5,85 Milliarden LJ. Die kosmische Hintergrundstrahlung? z=1089, also 1/1090. Wie man sieht, wächst die Rotverschiebung sehr schnell an, wenn wir rückwärts in der Zeit dem Urknall entgegen gehen. Beim Urknall selbst wird z(0) unendlich und demgemäß a(0)=0 – macht Sinn.

Manchmal ist es sinnvoll, die Raumexpansion aus der Entfernung herauszurechnen, etwa wenn man den Anteil der Eigenbewegung (Pekuliarbewegung) einer Galaxie betrachten will, oder die Entwicklung eines bestimmten Ensembles von Galaxien, dann dividiert man die Eigendistanz zu einem beliebigen Weltalter t einfach durch a(t) und kommt so immer auf den Wert, den die Eigendistanz heute hat. Dieses Entfernungsmaß heißt sinnigerweise "mitbewegte Entfernung". Sie entspricht der Entfernung, mit einem Maßband gemessen, das mit der Raumexpansion mitwächst. Man findet diese Größe (comoving distance) im Kosmologierechner angegeben, während man die Eigendistanz (proper distance) dort vergebens sucht. Aber da auch z ausgegeben wird, wissen wir ja jetzt, wie man damit auf die Eigendistanz kommt (proper distance = a(t) · comoving distance = 1/(z+1) · comoving distance).

Um den empirischen Zusammenhang zwischen z und der Eigendistanz zu bestimmen, musste man zunächst ein von z unabhängiges Entfernungsmaß zur Kalibrierung verwenden. Wir haben in dieser Reihe bereits gelernt, dass dazu Supernovae vom Typ Ia als Standardkerzen bekannter Leuchtkraft verwendet wurden, deren Helligkeiten man im Supernova Cosmology Project und High-z SN Search Projekt bei verschiedenen Rotverschiebungen gemessen hat. Helligkeiten werden in der Astronomie in Größenklassen (lat. magnitudine) gemessen, wobei die hellsten Sterne am Himmel (Wega, Capella, Arktur) rund 0. Größenklasse (0m) haben (Sirius ist noch etwas heller, -1,6m), die schwächsten mit bloßem Auge erkennbaren 6m. Jede Stufe ist um etwa den Faktor 2,5 (genau: 100,4=2,51188…) dunkler als die nächst kleinere, das heißt ungewohnter Weise sind kleine Werte heller, große Werte dunkler. 5 Größenklassen machen einen Helligkeitsunterschied von exakt 105·0,4 = 102 = 100 aus, 10 Größenklassen von exakt 104 = 10.000 usw. Die schwächsten Supernovae, die in fernen Galaxien nachgewiesen wurden, haben Größenklassen von mehr als 25m – Milliarden Mal schwächer als die mit bloßem Auge sichtbaren.

Die Leuchtkraft von Sternen wird üblicherweise statt in SI-Einheiten wie Watt (die auch unsichtbare Strahlung erfassen würde) oder Candela ebenfalls in Form von Größenklassen angegeben, und zwar als Helligkeit in einer Referenzentfernung von 10 pc (32,6 Lichtjahre, was in der Größenordnung der nächsten Sterne liegt), bezeichnet als "absolute Helligkeit". Die absolute Helligkeit unserer Sonne beträgt beispielsweise 4,86m, das entspricht etwa der scheinbaren Helligkeit der Sterne im Siebengestirn (Plejaden), die tatsächlich mit 135 pc viel weiter entfernt und damit absolut viel heller als die Sonne sind. Typ-Ia-Supernovae haben absolute Helligkeiten von ungefähr -19m, das ist 24m oder ein paar Milliarden Mal leuchtkräftiger als die Sonne. Eine Typ Ia-Supernova in 10 pc Entfernung wäre so hell wie 300 Vollmonde, aber nur 1/1000 so hell wie unsere Sonne am Tageshimmel.

Die übliche, auf kurze Entfernungen angewandte Formel bestimmt die Entfernung aus der Differenz von absoluter und scheinbarer Helligkeit. Ist der Stern zum Beispiel 5m dunkler (Faktor 100) als seine absolute Helligkeit, so ist er 10-mal weiter als 10 pc entfernt, also 100 pc. Ein Helligkeitsunterschied von 10 Größenklassen entspricht der hundertfachen Entfernung etc. Verwendet man diese Formel bei kosmologischen Entfernungen, erhält man die Leuchtkraftentfernung. Diese wächst gegenüber der Eigendistanz bei zunehmendem z sehr schnell an, und zwar um den Faktor (1+z)². Dies liegt daran, dass einerseits die Verlängerung der Lichtwellenlängen durch die Rotverschiebung die Intensität des Lichts um den Faktor 1/(1+z) abschwächt. Andererseits erreichen den Beobachter aber auch weniger Photonen pro Sekunde, denn die Rotverschiebung ist auch eine Zeitdilatation: nicht nur Lichtwellenlängen, sondern auch die Abstände von Photonen entlang der Sichtlinie werden um 1+z verlängert, das bedeutet etwa, dass uns aus einer Rotverschiebung von z=1 nur noch halb so viele Photonen pro Sekunde erreichen.

Wenn wir dort eine Uhr ticken sehen könnten, liefe sie halb so schnell wie bei uns. In gewisser Weise sind die Wellen der Photonen tatsächlich Uhren: Cäsium-Atomuhren beruhen etwa darauf, die Wellen der Strahlung von Cäsium-Atomen zu zählen. Die Verkleinerung der Photonenrate sorgt also nochmals für einen Faktor 1/(1+z). Da die Helligkeit um 1/(1+z)² schwächer erscheint, erscheint die Leuchtkraftentfernung also um den Faktor 1+z größer als die Eigendistanz. Und wie wir gesehen haben, wächst z mit der Entfernung sehr schnell. Die kosmische Hintergrundstrahlung, die 45,2 Milliarden Lichtjahre in Eigendistanz entfernt ist, hat bei z=1089 eine Leuchtkraftentfernung von 49,3 Billionen Lichtjahren. Dass Objekte bei großer Rotverschiebung so viel dunkler erscheinen und ihr Licht weit ins Infrarote verschoben ist, hin zu Wellenlängen, die unsere Atmosphäre nicht passieren lässt, ist eine Hauptmotivation für das James-Webb-Weltraumteleskop. Sein 6,5 Meter durchmessender, ausklappbarer Segmentspiegel hat die 6¼ -fache Lichtsammelfläche des Hubble-Weltraumteleskops und es hat Sensoren für Wellenlängen bis zu 28000 nm – das sichtbare Licht liegt zwischen 400 und 750 nm und Hubble kann nur bis 2500 nm "sehen".

In einigen Fällen kennt man die Ausdehnung eines Objekts und kann die Entfernung triangulieren, wie zum Beispiel bei den Strukturen in der kosmischen Hintergrundstrahlung, deren Ausdehnung berechnet werden kann. Sie durchmaßen etwa 450.000 Lichtjahre. Am Himmel erscheinen sie etwa 0,6° groß. Demnach sollte die Hintergrundstrahlung nur 41,5 Millionen Lichtjahre entfernt sein – dies ist ihre Winkeldurchmesserentfernung. Der Wert ergibt sich aus der Eigendistanz dividiert durch 1+z. Der Grund für diese bizarr kleine Zahl ist, dass das Universum zur Zeit der Entstehung der Hintergrundstrahlung nur einen Skalenfaktor von 1/1090 hatte – es war knapp elfhundert Mal kleiner als heute.

Angenommen, das Universum wäre nicht gewachsen, sondern die Hintergrundstrahlung käme einfach von einer Kugel mit einem Radius von 45,2 Milliarden Lichtjahren, der Eigendistanz der Hintergrundstrahlung. Dann würde ein 360° messender Umkreis einen Umfang von 2π·45,2 = 284 Milliarden Lichtjahren haben, das macht 789 Millionen Lichtjahre pro Winkelgrad. Da jedoch das Universum 1090-mal kleiner war, betrug der tatsächliche Umfang nur 284/1090 Milliarden = 260,55 Millionen Lichtjahre, das sind ca. 724.000 Lichtjahre pro Grad. Folglich scheint die triangulierte Hintergrundstrahlung 1+z=1090 Mal näher zu sein, als ihre tatsächliche Eigendistanz. Allgemein erscheinen uns Objekte bei der Rotverschiebung z um den Faktor 1+z vergrößert.

Im nahen Weltraum erscheinen Objekte mit zunehmender Entfernung immer kleiner. 1+z wächst zunächst nur langsam. Bei einer Entfernung von rund 15,2 Milliarden Lichtjahren (z=1,59 / Lichtlaufzeit 9,751 Milliarden Jahre) wächst 1+z jedoch genauso schnell, wie der Winkeldurchmesser eines Objekts in einem Universum ohne Expansion entfernungsbedingt schrumpfen würde, und so stagniert der Winkeldurchmesser zunächst (siehe nächstes Bild, "Angular diameter"). Dann wächst 1+z immer schneller, um am Horizont des beobachtbaren Universums gegen unendlich zu streben (der Blick auf die über den gesamten Himmel verschmierte Punktsingularität ist uns jedoch durch die Hintergrundstrahlung versperrt). Daher beginnen Objekte jenseits z=1,59 mit zunehmender Entfernung wieder größer zu werden, so als ob sie uns näher wären. Aus diesem Grund haben sie bei einer Eigendistanz von 15,2 Milliarden Lichtjahren ihre größte Winkeldurchmesserentfernung von 5,87 Milliarden Lichtjahren.

Wie wir gesehen haben, gibt es also in einem expandierenden Universum nicht die eine Entfernung, die unabhängig von der Messmethode immer gleich groß ist. Je nachdem, welche Methode man anwendet, muss man Korrekturen anwenden. Die Umrechnung zwischen Eigendistanz, mitbewegter Entfernung, Leuchtkraftentfernung und Winkeldurchmesserentfernung ist über a und z einfach. Die Beziehung zwischen z und der Lichtlaufzeitentfernung beziehungsweise der mitbewegten Entfernung bedarf der näherungsweisen Lösung eines Integrals, in das die Materiedichte und die Dichte der Dunklen Energie mit eingehen. Zum Glück gibt es den Kosmologierechner von Edward L. "Ned" Wright, der die Berechnung erledigt.

Vergleich verschiedener kosmologischer Entfernungsmaße über die kosmologische Rotverschiebung z (waagerechte Achse) in doppelt-logarithmischer Skalierung. Im Artikeltext sind die Leuchtkraftentfernung (luminosity), die mitbewegte Entfernung (LOS comoving; LOS steht für Line of Sight, also entlang der Sichtlinie, radial vom Beobachter weg), die Lichtlaufzeit (Lookback time) und die Winkeldurchmesserentfernung (Angular diameter) erläutert.
Bei z=1,6 erreicht die Winkeldurchmesserentfernung ihren größten Wert, d.h. Objekte bei höheren z erscheinen größer und damit näher. Die Lichtlaufzeitentfernung konvergiert für z–>∞ gegen das Weltalter, die mitbewegte Entfernung gegen einen ungefähr dreimal so großen Wert.
Die Leuchtkraftentfernung wächst am stärksten, da Rotverschiebung und Zeitdilatation für eine starke Abnahme der Helligkeit sorgen, die eine große Entfernung vortäuschen. "Naive Hubble" ist im Text nicht besprochen - dieses Maß gibt die Entfernung nach dem Hubble-Lemaître-Gesetz an, welches annimmt, dass die Entfernung linear mit der Rotverschiebung wächst. Die Rotverschiebung z wird jedoch unendlich groß, wenn der Skalenfaktor a=1/(z+1) im frühen Universum gegen 0 fällt.

(Bild: Wesino, Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Zu guter Letzt noch ein wichtiger Aspekt: eingangs hatte ich erklärt, dass uns auch Licht von jenseits des Hubble-Radius erreichen kann, weil der Hubble-Lemaître-Parameter mit der Zeit fällt. Die Dunkle Energie sorgt jedoch dafür, dass er nicht beliebig weit fallen kann, denn das Vakuum selbst expandiert mit einer – wie es bisher aussieht – festen Rate von ca. H = 57 km/s pro Mpc. Dieser Wert des Hubble-Parameters wird – vorausgesetzt, die Dunkle Energie ist eine Konstante und keine Quintessenz – niemals unterschritten werden. Damit kann uns Licht jenseits einer Entfernung von c/H∞ = 5,27 Gpc = 17,2 Milliarden Lichtjahren nicht mehr erreichen, weil der Raum über diese Entfernung in alle Ewigkeit mit mehr als Lichtgeschwindigkeit wachsen wird. Kein Lichtstrahl kann damit jemals Schritt halten. Dies ist der Wert, gegen den der Hubble-Radius strebt. Es ist der kosmologische Ereignishorizont, der uns die Sicht auf die Galaxien dahinter auf ewig versperren wird.

Das mutet seltsam an, schließlich ist das beobachtbare Universum doch viel größer als dieser Radius. Das hieße ja, wir können Galaxien sehen, die sich bereits hinter dem Horizont befinden. Richtig, sie befinden sich heute hinter dem kosmologischen Ereignishorizont, aber das Licht, das wir heute von ihnen empfangen, stammt aus einer Zeit, als sie noch innerhalb dieses Horizonts weilten. Das folgende Schaubild macht es deutlich.

Schematische Darstellungen der Expansion des Universums in Eigendistanz (proper distance, oben) und mitbewegter Entfernung (comoving distance, unten). Die x-Achse zeigt den Radius um den Beobachter in Milliarden Lichtjahren (Glyr), die y-Achse die Zeit in Milliarden Jahren (Gyr, links) bzw. den Skalenfaktor relativ zur heutigen Ausdehnung (scalefactor, rechts).
Gestrichelte Linien sind die Weltlinien von lokal ruhenden Galaxien, die in Eigendistanz aufgrund der Expansion auseinander laufen, in mitbewegter Entfernung jedoch äquidistant (im gleichen Abstand) bleiben. Das nach-außen-Krümmen der Weltlinien im oberen Bild zeigt die beschleunigte Expansion des Universums durch die Dunkle Energie.
Der Partikelhorizont (particle horizon) markiert die Entfernung, die sich mit asymptotischer Lichtgeschwindigkeit zur Zeit des Urknalls vom Beobachter entfernende Teilchen erreicht haben könnten. Von ihnen dringt das fernste Licht zu uns, welches eine Lichtlaufzeit des jeweiligen Weltalters hat. Daher markieren sie den Außenradius des beobachtbaren Universums. Der Partikelhorizont wächst, also auch das beobachtbare Universum; die Weltlinien seiner heutigen Abmessungen sind grau unterlegt.
Jedoch schrumpft der Ereignishorizont (gelb unterlegt). Der Ereignishorizont zu einem bestimmten Weltalter ist der Radius, aus dem uns zukünftig noch Licht aus der Jetztzeit erreichen kann. Kurz nach dem Urknall war das gesamte beobachtbare Universum innerhalb des Ereignishorizonts, aber heute sind schon 2/3 davon hinter den Horizont expandiert und ihr heute ausgesendetes Licht wird uns niemals mehr erreichen. Im unteren Bild wird besonders deutlich, dass die Zahl der Galaxien innerhalb des Ereignishorizonts immer kleiner wird und sein Radius gegen 0 strebt. Zwar erreicht uns zu jeder Zeit älteres Licht dieser Galaxien mit zunehmender Rotverschiebung, die jedoch langfristig so groß wird, dass die Galaxien in der Dunkelheit verblassen werden.

(Bild: Charley Lineweaver, Vihan Patel.Animierte Versionen der Graphiken, die zusätzlich den Hubble-Radius und den Lichtweg von Objekten zu uns darstellen, die sich zur jeweiligen Zeit am Partikelhorizont befinden, hat Yukterez (Simon Tyran, Wien) erstellt.)

Die beiden Grafiken zeigen die Ausdehnung des beobachtbaren Universums in Eigendistanz (proper distance, oben), also "Maßbandentfernung", und in mitbewegter Entfernung (comoving distance, unten), gemessen mit einem Maßband, das genauso schnell wächst, wie das Universum expandiert. Es ist also zweimal dasselbe Bild: oben mit einem festen Maßstab gemessen, der die Expansion offensichtlich macht, und unten mit einem Maßstab, der die Expansion ausklammert und einen Bereich mit einem festen Ensemble von Galaxien betrachtet, nämlich demjenigen, welches wir heute beobachten können (und den zugehörigen Bereich der Hintergrundstrahlung). Die x-Achse zeigt den Radius in Milliarden Lichtjahren an, die y-Achse die Zeit in Milliarden Jahren (rechte y-Achse: Skalenfaktor). Wir befinden uns heute bei einem Weltalter von ca. 14 Milliarden Jahren (Skalenfaktor 1), wo die schwarze waagerechte Linie den Durchmesser des heutigen beobachtbaren Universums anzeigt.

Die gepunkteten Linien sind die sogenannten Weltlinien von Orten in verschiedenen Entfernungen, die sich aufgrund der Hubble-Lemaître-Expansion von uns (am Radius 0) entfernen. Sie könnten die Orte unterschiedlich weit entfernter Galaxien sein. Der grau unterlegte Bereich ist unser heutiges beobachtbares Universum, welches im oberen Bild mit der Hubble-Lemaître-Expansion wächst - logisch, denn die darin enthaltenen Galaxien entfernen sich ja von uns. Man sieht, dass sich die Weltlinien im oberen Bereich der Grafik zunehmend nach außen krümmen: durch die Dunkle Energie bleibt die Geschwindigkeit der Galaxien nicht konstant, wie es angenähert über große Teile des bisherigen Weltalters war, sondern sie nimmt zu, die Expansion beschleunigt sich.

Im unteren Bild hat das beobachtbare Universum einen festen Radius von 46 Milliarden Lichtjahren – auch logisch, wenn die Hubble-Lemaître-Expansion ausgeklammert wird, ruhen die Galaxien relativ zu uns, und es ist ein festes Ensemble.

Das bedeutet aber nicht, dass dies schon immer so war und auf Ewigkeiten so bleibt. Wie weit wir zu jeder Zeit tatsächlich sehen können, legt der Partikelhorizont (particle horizon) fest. Er markiert den Radius, an dem sich zum jeweiligen Weltalter die fernsten Objekte ("Partikel") befinden, deren Licht uns gerade zu dieser Zeit erreicht. Wie man sieht, schneidet der Partikelhorizont die Weltlinien der ruhenden Galaxien nach außen hin – die gedachten Partikel bewegen sich nämlich mit (nahezu) Lichtgeschwindigkeit von uns weg, seit sie mit uns zu Beginn des Universums den gleichen Ort teilten. Folglich wächst der Partikelhorizont schneller als das expandierende, heutige beobachtbare Universum selbst. Zur heutigen Zeit schneidet er genau Weltlinien am Radius des beobachtbaren Universums – weil dieses genau so definiert ist, dass es den Bereich erfasst, der alle Objekte enthält, von denen uns noch Licht aus früheren Zeiten bis hin zum Urknall erreichen kann. Es ist begrenzt durch die größtmögliche Lichtlaufzeit zum heutigen Weltalter (Lichtlaufzeit 13,8 Milliarden Jahre). Der entsprechende Radius zu jedem Weltalter ist der jeweilige Partikelhorizont.

Logischerweise war der Bereich innerhalb des Partikelhorizonts zu früheren Weltaltern kleiner, weil ja die größtmögliche Lichtlaufzeit seit dem Urknall kürzer war. Das gilt auch in mitbewegter Entfernung (unteres Bild). Zum Beispiel belief sich bei einem Weltalter von 4 Milliarden Jahren/Skalenfaktor 0,4 der Radius des beobachtbaren Universums auf nur gute 30 Milliarden Lichtjahre in mitbewegter Entfernung; folglich sahen wir früher weniger Galaxien als heute. In der Zukunft wird er dementsprechend beständig größer werden, wir sehen also immer ferne Galaxien, und auch der kosmische Mikrowellenhintergrund wird aus immer größerer Distanz zu uns her leuchten. Objekte am Partikelhorizont werden wir dabei immer nur zu Beginn des Universums sehen, zunehmend stärker rotverschoben, denn ihr Licht wird stetig länger zu uns benötigen und die Wellenlängen des Lichts sind zunehmend längere Zeit der Raumexpansion ausgesetzt. Irgendwann werden die Objekte allmählich als extrem lange Radiowellen am Himmel verblassen.

Der gelb unterlegte Bereich markiert die Zone innerhalb des Ereignishorizonts (event horizon) der im oberen Bild gegen 17,2 Milliarden Lichtjahre Eigendistanz strebt. Dieser ist als derjenige Bereich definiert, aus dem uns heute ausgesendetes Licht zukünftig noch erreichen kann. Wie man im unteren Bild sieht, lagen alle Galaxien des beobachtbaren Universums zur Zeit 0 innerhalb des Horizonts, sodass wir sie heute noch sehen können. 2/3 von ihnen haben ihn mittlerweile verlassen, was bedeutet, dass Licht, welches sie heute ausstrahlen, uns nicht mehr erreichen wird. Im oberen Bild entweichen die Weltlinien zunehmend näherer Objekte mit fortschreitender Zeit immer mehr dem Horizont, im unteren verengt sich entsprechend der Horizont, langfristig gegen 0. Das heißt, dass alle Galaxien, die an der Raumexpansion teilnehmen, irgendwann unseren Horizont verlassen werden. Nur Objekte der lokalen Gruppe, die aneinander gebunden sind, bleiben in Sichtweite. Für alle anderen gibt es ein maximales Alter, zu dem wir sie zuletzt sehen werden, an dem das letzte Photon sich auf den Weg zu uns macht und nach unendlicher Zeit mit unendlicher Rotverschiebung bei uns eintrifft.

Selbst wenn die Sterne ewig leuchten würden, würde die Dunkle Energie am Ende dafür sorgen, dass der Himmel dunkel wird – bis auf ein paar Galaxien in der lokalen Gruppe, die wegen ihrer wechselseitigen Schwerkraft an der Expansion nicht teilnehmen oder sich sogar mit der Milchstraße und der Andromedagalaxie zu einer Riesengalaxie vereinigen werden. Die Dunkle Energie dreht uns langfristig das Licht ab - wie passend!

Wir leben in einer speziellen, vorübergehenden Phase des Universums. Kosmologen von Intelligenzen in ferner Zukunft werden sich schwer tun, die Hintergrundstrahlung noch aufzuspüren, kosmologische Rotverschiebungen zu messen, das Hubble-Lemaître-Gesetz herzuleiten und die Expansion des Universums überhaupt zu entdecken. Für sie wird die lokale Gruppe ein isoliertes Kleinod in einer unendlichen Leere sein, und sie werden sich wundern, wie sie entstehen konnte.

Bis dahin wird es jedoch längst keine Erde und Sonne mehr geben, die Milchstraße wird völlig anders aussehen und ganz sicher werden diese Kosmologen keine Menschen sein. Was im Universum bis dahin passiert, werden wir zum Ende dieser Reihe betrachten – vorher allerdings versuchen zu klären, was Zeit überhaupt ist.

Quellen:

(mho)