Missing Link: Welcome to Planet B - Ars Electronica, ein Festival in Bewegung

Seite 3: Cyberarts – die Welt der Medienkunst

Inhaltsverzeichnis

Die CyberArts-Ausstellung mit der zugehörigen Preisverleihung der Goldenen Nicas gehört zu den Kernbestandteilen des Festivals. 2338 Einreichungen aus 88 Ländern für vier Kategorien waren es diesmal, die im Vorfeld von den Jurys begutachtet und bewertet werden mussten. Eigentlich sind es sieben Kategorien, aber sechs davon wechseln in Dreiergruppen von Jahr zu Jahr, damit der Umfang des Festivals nicht aus dem Ruder läuft. Lediglich die U19-Kategorie für Kinder und Jugendliche bleibt im jährlichen Rhythmus.

Die drei Kategorien Animation, Interactive Art und Digital Communities scheinen, wenn man ihre Definition liest, zunächst deutlich getrennt. Doch wenn man die Werke betrachtet, merkt man, wie schwierig die Abgrenzung im Einzelfall ist. Die Künstler selbst, mit ihrem Wunsch, eigene Wege zu beschreiten, Grenzen zu überschreiten und unbekannte Territorien zu finden und zu erforschen, scheinen es manchmal darauf anzulegen, die Kategoriengrenzen aufzuweichen.

Jürgen Hagler

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Deshalb sei es auch durchaus üblich, dass eine Jury beschließt, ein Werk an die Juroren einer anderen Kategorie weiterzuleiten, erklärt Jürgen Hagler, der freundliche Leiter des Animation-Bereichs innerhalb des Festivals. Im Hauptberuf ist er Professor und leitet das Department Digitale Medien an der Fachhochschule Hagenberg. Die Fluidität sei Programm und gewünscht. Nur so merke man, wenn die einmal gewählten Kategorien nicht mehr passen. Mehrmals schon wurden Kategorien geschlossen, andere gegründet oder bestehende inhaltlich erweitert. So passt sich das Festival der Entwicklung der Künste an, sicherlich ein Grund für die lange Erfolgsgeschichte des Festivals.

Schaut man oberflächlich auf die Computer-Animation, scheint es sich lediglich um eine Reihe mehr oder weniger interessanter Kurzfilme zu handeln, die visuell manchmal erstaunlich primitiv gestaltet sind. Doch perfekte Illusion ist spätestens seit Firmen wie Pixar für die Filmindustrie Animationen mit realen Aufnahmen mischen, kein Raum mehr für künstlerische Entfaltung. Hagler untersucht seit Jahren mit dem begleitenden Symposium "Expanded Animation", in welche Richtung sich das Medium weiterentwickelt.

Neben den virtuellen Welten sind die Computerspiele ein ganz offensichtliches Erweiterungsfeld für die Computer-Animation. Man kann sich ohnehin wundern, warum Computerspiele keine eigene Kategorie bei der Ars sind, schließlich bilden sie ein riesiges künstlerisches Universum mit einer gigantischen Wirtschaftsmacht im Hintergrund. Fast jeder junge Mensch verfällt ihnen – teils mehrere Stunden am Tag; jedenfalls zu lange, merkten einige der befragten Jugendlichen selbstkritisch an. Nicht wenige Werke in der CyberArts-Ausstellung sind entweder Videogames oder hijacken sie, um daraus eigene Produktionen zu generieren.

Die Goldene Nica zeichnet ein Werk aus, dass sich ursprünglich für die Kategorie Interactive Art beworben hatte. Rashaad Newsome (US) hat mit "Being" ein virtuelles Wesen erschaffen, das als Queer-Figur erotisch tanzt und mit genderneutraler Stimme mit den Betrachtern spricht. Version 1.0 diente als Ausstellungsführer und interagiert KI-gesteuert mit Museumsbesuchern. Version 1.5 ist noch nicht fertig und soll schwarzen Mitbürgern in den USA helfen, Traumata durch rassistische Mikroaggressionen zu verarbeiten. Version 2.0, die ausgezeichnet wurde, unterrichtet ihr Publikum in Vogue-Dance, einer Tanzform, die sich aus stark übertriebenen Bewegungen von Models auf dem Laufsteg speist. Newsome sieht ihre Wurzeln in der Harlem Renaissance der 1920er-Jahre, in der Schwarze begannen, ihre eigene Tanzkultur wiederzuentdecken und weiterzuentwickeln.

Der Klappentext zum Exponat liest sich wie Fachchinesisch, wenn man nicht tief in die Diskussionen um Rassismus-, Gender- und Queer-Theorie eingetaucht ist. Man muss aber keineswegs all diesen Ideen folgen, insbesondere angesichts der hiesigen, teils hitzigen Debatte und absurden Übersteigerungen, wie das Streichen von Karl Mays Winnetou in etlichen Medien, um die Eleganz von Beings Tanz und die therapeutischen Empfehlungen, die mit den Bewegungen einhergehen und die Selbststärke fördern, zu goutieren. Queerness als Kultur ist wie Hip-Hop vielfältig und produktiv.

Andere Werke, wie die melancholische Geschichte eines gestürzten Mannes mit dem Titel "Absence" von Marc Hericher (FR), sind weiterhin auf der Suche nach neuen visuellen Ausdrucksformen. An dem Kurzfilm "When fox and rabbit say goodnight" von Finn Stevenhagen (NL/GB) lässt sehr schön erkennen, wie eine als primitiv erachtete Machart zum Stilmittel wird. Der Film erzählt berührend von der Suche eines Jungen nach Anerkennung und Liebe. Die Figuren sind als grobe 3D-Modelle realisiert und wirken wie mit stumpfem Messer aus Holz geschnitzt. Diese Stilwahl unterstreicht das Unfertige und Raue im Charakter des Protagonisten.

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Ein eigenes dreitägiges Symposium im Rahmen der Ars ist ein Hinweis darauf, dass sich diese Kategorie von den anderen unterscheidet. Vermutlich liegt es daran, dass hinter der Künstlergemeinde eine Community von Technikern steht, die selbst auf vielfältigste Weise mit dem Medium experimentiert. Und dahinter wiederum eine ganze Industrie, die auf Innovation angewiesen ist.