Missing Link: Welcome to Planet B - Ars Electronica, ein Festival in Bewegung

In diesem Jahr fand die Ars Electronica nach der Pandemie-Pause wieder in persona statt – ein Rundgang über das elektronische Kunst-Festival in Österreich.

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(Bild: ArtemisDiana/Shutterstock)

Lesezeit: 29 Min.
Von
  • Johannes Schacht
Inhaltsverzeichnis

Nach zwei pandemiedominierten Jahren trat das Festival Ars Electronica in diesem Jahr mit 71.000 Besuchern und 953 Künstlern, Wissenschaftler und Studenten aus 76 Ländern fast wieder im alten Glanz und alter Fülle auf. Auch Linz schien die Coronaängste abgeschüttelt zu haben, selbst in der Straßenbahn sah man nur sehr vereinzelt ein maskenbewehrtes Antlitz. Was die Pandemie dem Festival hinterlassen hat, ist nicht nur negativ, im Gegenteil. Die Gründung der "Gardens" im Jahr 2020 stellt sich als kluger Schachzug heraus.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Damals, als das Festival als Vor-Ort-Veranstaltung ausfiel, regten die Veranstalter kleinere Festivals rund um den Globus an. 120 Städte beteiligten sich und einige der lokalen Organisationen begannen zu blühen. Auf dem diesjährigen Festival ist eine eigene Ausstellung diesen Garden-Kooperationen gewidmet, vierzehn Gartenpartner aus Städten wie Novi Sad, Taipei, Auckland, Utrecht, stellen Kunstprojekte aus ihrem Umfeld vor.

Die Gardens sind nur eine von vielen Gruppen, die in das Festival integriert sind. Die bedeutendste ist wohl die S+T+ARTS-Initiative der EU-Kommission (Science + Technology + Arts), die bei Lichte betrachtet, ein Festival im Festival ist, mit eigenen Preisen, eigener Ausstellung und eigener Konferenz. Es ist sicherlich die intellektuelle und organisatorische Kraft des Festivals, die die EU von Gedanken an eine Konkurrenzveranstaltung abhält. Von der Vielzahl der Einzelinitiativen, die von der ARS gebündelt werden, können nur die wichtigsten benannt werden. So die Kunstuniversität am Linzer Hauptplatz, die in diesem Jahr ihrerseits angehende Künstler aus fast dreißig Ländern in ihren Räumen präsentiert. Oder das Lentos-Museum, das Auszüge aus der Sammlung der Stiftung Cifo (cisneros fontanals art foundation) zeigt und damit der Medienkunst Südamerikas eine Bühne bietet.

Natürlich auch das OK, das offene Kulturhaus Oberösterreich, das Einblick in die Anfänge der Interactive-Art gewährt. Oder die Festival-Universität mit 200 Studenten aus 70 Ländern, die CyberArts-Ausstellung (Preisträger der Goldenen Nica), das create your world-Experimentfestival für junge Besucher, die verschiedenen Ausstellungen im Ars Electronica Center oder, oder, oder – vielfältig und verwirrend wie eh und je präsentiert sich das diesjährige Ars Electronica Festival. Nicht vergessen werden darf die Johannes Kepler Universität, auf deren Campus seit einigen Jahren das Festival stattfindet.

Bei allem Wandel wird das Festivalschiff von einer sehr konstanten Crew durch die bewegte Zeit gesteuert. Allen voran Gerfried Stocker, der, zuerst als künstlerischer Leiter und später als Geschäftsführer, mit seinem Netzwerk und seinen Ideen das Festival mit langen Leinen auf Kurs hält. Immer wieder kommt er auf die Ursprungsidee zurück, nämlich Kunst, Technologie (oder wahlweise Wissenschaft) zusammenzubringen und aus dieser Synergie Perspektiven für die Gesellschaft aufzuzeigen. Jungen Menschen gilt es immer wieder aufs Neue, diese Idee nahezubringen, betont er.

Gerfried Stocker

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht )

Das Festival ist dabei, sich zu einer Plattform zu entwickeln, stellt er sachlich fest und markiert damit einen strukturellen Wandel. Daneben gibt es einen inhaltlichen. Man kann in der über vierzigjährigen Geschichte der Ars drei Phasen unterscheiden. In den ersten Jahren dominierte die Freude am Ausprobieren und Erobern des digitalen Raums. Es folgte die Auseinandersetzung mit den Folgen der neuen Technologien, insbesondere im Angesicht der Erkenntnis, wie schnell "Big Business" die Ideen der sich eher als Rebellen verstehenden Pioniere aufgriff und in profitable Geschäftsmodelle münzte. Die dritte Phase ist eher aktionistisch und vom Wunsch geprägt, die Gesellschaft zu verändern.

Das diesjährige Festivalmotto adressiert das Megathema unserer Zeit. Bei allen Krisen der letzten Jahre, die sich in immer schnellerem Tempo ablösen, ist die Frage der Nachhaltigkeit die große Konstante, gewissermaßen, die nachhaltigste. Auch wenn man nicht jede schrille Panikmache von Klimaaktivisten goutiert, sollte man das Thema ernst nehmen. Doch wo liegt die Lösung? Nicht in der Technik, deutet das Programmheft an, sondern im Menschen. Wir müssen uns ändern.

Christel Baur

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht )

Das meint auch Christel Baur, die die Themenausstellung "Studio(dys)Topia - At the Peak of Humankind" kuratiert hat. Doch die Idee, dass die Lösung in kaltem Wasser und Waschlappen liege, weist sie zurück. Vielmehr bringt sie den ökologischen Fußabdruck ins Spiel und erzählt, wie sich die Festivalorganisation bemüht, ihren Fußabdruck zu minimieren. Es ist ihr bewusst, dass Verträge mit Dienstleistern der Ars, die diese verpflichten, nachhaltig zu wirtschaften, in keinem Fall den CO₂-Ausstoß kompensieren können, den Anreise und Unterbringung von Tausenden Festivalteilnehmern und -gästen verursachen. Sie ist sich aber sicher, dass der Effekt des Festivals, letztendlich diesen "Klimaschaden" kompensiert. Sonst würde sie aussteigen, betont sie.

Mit dem Motto "At the Peak of Humankind" tun sich die Veranstaltung etwas schwer. Nach dem Peak geht es naturgemäß bergab und eine negative Botschaft soll vom Festival keinesfalls ausgehen. Man hält sich besser an die sehr schön gewählte Planet-B-Idee: Wir versetzen uns in die Zukunft, in der die Klimakrise überwunden ist und fragen retrospektiv, wie es dazu kam. Ein produktiver Wechsel der Perspektive.

ARS ELECTRONICA 2022 – Festival for Art, Technology & Society

(Bild: ARS)

Die Politiker, die ihre Plattform bei der Eröffnungszeremonie bekommen und alle Ebenen des Machtapparats präsentieren, von der Stadträtin bis zum Bundespräsidenten, nutzen die Bühne auch, um ihre Erfolge bei der Bekämpfung des Klimawandels hervorzukehren. Nicht jeder im Publikum scheint mit den Aussagen einverstanden zu sein, was sich an vereinzelten Buhrufen zeigt. Aber insgesamt wirkt die Beziehung zwischen Politik und Festival abgeklärt, man braucht sich und profitiert voneinander, jeder auf seine Weise.

Gerfried Stocker agiert jenseits der Bühne und orchestriert am Mischpult persönlich den multimedialen Ablauf der Musik- und Videoperformances, in die die Ansprachen eingebettet sind. Die zwei Geschichten von Stefan Zweig über die Weltumseglung Maggelans und die Verlegung des ersten Unterseekabels von Europa in die neue Welt durch Cyrus W. Field blicken zurück in eine Zeit, als technischer Fortschritt noch nicht dystopisch konnotiert war.