Missing Link: Wie die DSGVO wirkt – schmutzige Tricks und Macht der Stärkeren

Seite 3: 101 Beschwerden eingereicht

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Bei der von Max Schrems gegründeten Organisation NOYB (My Privacy is None of Your Business), die durch Beschwerden und Klagen für die Umsetzung der DSGVO kämpft, beobachte man „diesen Trend gerade im Rahmen eines Projekts. Rechtlich ist das nicht direkt ein Problem, weil man ohnehin eine gültige Einwilligung bräuchte“, sagt Schrems.

Bezüglich des Zugangs der Unternehmen „spricht es natürlich Bände, wenn man Nutzern Cookies mit allen technischen Tricks unterjubeln will, sogar wenn diese sie blocken. Besonders grotesk ist, dass man dann gleichzeitig argumentiert, die Nutzer hätten eindeutig eingewilligt", kritisiert der Bezwinger des Safe-Harbour-Abkommens und des Privacy Shield.

Wegen der fortgesetzten Nutzung von Google Analytics und auch Facebook Connect hat Schrems mit NOYB zur Sicherheit bereits 101 Beschwerden gegen Unternehmen in 30 Ländern in EU- und EWR-Mitgliedsstaaten eingereicht. Zwar sei der rechtliche Aufwand, einen US-Dienstleister legal zu machen, schon mit dem Urteil gegen das Safe-Harbour-Abkommen gestiegen und habe eine Bewegung in Richtung europäische Dienstleister ausgelöst. Doch die zunehmende Monopolbildung anerkennt auch Schrems als Gegenpol zu dieser Entwicklung. „Diese Bewegungen können sich dann auch wieder aufheben“, so Schrems' Hoffnung.

Die Umsetzung der DSGVO durch die Datenschutzbehörden ist laut Bechtold die eine offene Baustelle. In gewisser Weise hoffen die Wissenschaftler, dass die zunehmende Anzahl an Studien zu den aktuellen Entwicklungen, einschließlich der Fehlentwicklungen, auch wichtige Datenpunkte für die Aufsicht liefern. Was die Aufsicht den Forschern voraus haben könnte, wäre ein besserer Zugang zu Daten direkt aus den Unternehmen. „Natürlich würden wir uns freuen, wenn wir Daten von Google hätten“, schmunzelt Bechtold. Salz hofft, dass über die Aufsicht der Zugriff auch für die Forscher realisiert werden könnte.

Als wichtigsten Punkt bei der bisherigen Aufarbeitung der DSGVO-Effekte stellen Bechtold und Peukert, aber auch Gal die starke Verbindung zwischen Datenschutzrecht und Kartellrecht heraus. Es werde immer schwieriger, die beiden als getrennte Rechtsgebiete zu begreifen, schreiben die Züricher Wissenschaftler.

Einerseits wisse man aus der Literatur, dass Netzwerkeffekte, fehlender Wettbewerb bei Geschäftsbedingungen und Datenschutzrichtlinien sowie die begrenzte Wirksamkeit der Zustimmung der Nutzer im Datenschutzrecht dazu führen könnten, dass Firmen ihre marktbeherrschende Stellung „durch großzügige Auslegung verstärken“, schreiben sie. Andererseits habe man mit der Momentaufnahme zu den Effekten nach Umsetzung der DSGVO belegt, „dass Gesetze, die auf einen verstärkten Schutz der Privatsphäre abzielen, gleichzeitig den Wettbewerb in verwandten Technologiemärkten verringern.“

Die Effekte wirken in beide Richtungen. Datenschutzgesetze wirken auf den Wettbewerb. Kartellrechtliche Entscheidungen können erheblichen Einfluss auf den Datenschutz nehmen. Juristisch gesehen sei das ein Paradigmenwechsel, der erst langsam vollzogen werde.

Die Vorstellung, dass die Wettbewerbsaufsicht sich um den Datenschutz zu kümmern hat, ist Neuland für Kartellwächter und noch mehr für die Gerichte, wie zuletzt die Urteile gegen die Intervention des Bundeskartellamts gegen Facebook wegen der Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung bei der Auswertung von WhatsApp und Instagram-Nutzerdaten. Der BGH hat im Sommer den Kartellwächtern erst einmal Recht gegeben.

Hätten die Kartellbehörden nicht ein Jahrzehnt gewartet, bevor sie den Datenmonopolisten Einhalt geboten hätten, wer weiß, wie der Wettbewerb und der Schutz persönlicher Daten heute aussähen. So sieht das auch der Bericht des Wettbewerbsausschusses des US Repräsentantenhauses, der vor wenigen Tagen einen 450 Seiten starken Bericht zum Aufstieg der großen Plattformen und dem Versagen der Wettbewerbsaufsicht vorlegte.

Eine Liste der 500 Unternehmen, die Facebook, Google, Amazon und Microsoft seit 1998 aufgekauft haben, führt viele potentielle Wettbewerber in allen Bereichen an, von Instagram bis zum Kartenanbieter Waze. Google habe sich mit DoubleClick, AdMeld und AdMob marktbeherrschende Stellungen entlang seiner Wertschöpfungskette gesichert, schreiben die Abgeordneten. Anzahl der verwehrten Aufkäufe: null.

Die spannende Frage, ob sich das Ruder diesseits und jenseits des Atlantiks noch herumreißen lässt und ob dazu der Datenschutz oder das Wettbewerbsrecht besser geeignet sind, mag keiner der Wissenschaftler so recht beantworten. Salz bemerkt vorsichtig, dass das Wettbewerbsrecht möglicherweise direkter ist als der Umweg über das von der EU gewählte Datenschutzrecht. Mit Blick auf die Wirksamkeit des Kartellrechts meint Bechtold, dass Mechanismen wie eine Beweislastumkehr in den Verfahren erwogen werden sollten.

Shoshana Zuboff, die auf den Bühnen der Welt der Kapitalisierung menschlicher Erlebnisse und menschlicher Aufmerksamkeit den Kampf angesagt hat, gibt sich zuversichtlich. Erst noch die Wahl überstehen, sagte sie kürzlich, wegen deren Beeinflussungsszenarien die Plattformen übrigens in den USA vor allem ins Visier der Politik kamen. Und dann dem Überwachungskapitalismus den Garaus machen.

[Update 11.10.2020 11:59 Uhr:] Aussage von Stefan Bechtold in Absatz 30 präzisiert.

(tiw)