Missing Link: Wie die DSGVO wirkt – schmutzige Tricks und Macht der Stärkeren

Seite 2: Gewinner und Verlierer

Inhaltsverzeichnis

Tobias Salz, Wirtschaftswissenschaftler am MIT in Boston, hat beobachtet, dass es eine klare Zweiteilung der Nutzerpopulation gibt. Etwa 10 Prozent weniger Nutzer seien nach Einführung der DSGVO für eine Online-Reiseplattform nicht mehr sichtbar gewesen, deren Daten er untersuchen konnte. Sie hätten von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, kein Opt-in für Cookies zu geben und seien damit aus dem Pool der Werbeziele herausgefallen, die der Anbieter gegenüber Reiseanbietern verkaufen kann.

Der Effekt war laut der Untersuchung von Salz und dessen Kollegen allerdings auch, dass der Datensatz mit den Werbezielen „sauberer“ geworden sei. Denn die Verweigerer schützten sich vor Inkrafttreten der DSGVO durch Cookie-Blocker oder ähnliche technische Tools. Sie erschienen daher oft nicht als wiederkehrende, sondern unterschiedliche Personen.

Dieses Publikum nennt Salz „die Gewinner“ der DSGVO, weil sie die neue Möglichkeit nutzten, abzutauchen. Aber auch die Online-Reiseplattform, deren Zugriffs- und Verkaufsdaten er unter Wahrung der Anonymität des Unternehmens analysieren durfte, profitierte in gewisser Weise. Durch den Wegfall der verwässerten Daten würden die Datensätze der verbliebenen 90 Prozent an Besuchern besser, die Vorhersagen ihrer Kaufentscheidungen zielgenauer. Und noch einen bemerkenswerten Befund machte Salz: Die Preise, die die werbetreibenden Kunden der Plattform für den jeweiligen Plattformbesucher zu zahlen bereit waren, lagen höher.

Über die Interpretation dieses Befundes können die Wissenschaftler vorerst nur spekulieren, unterstreicht Salz. Möglich, dass die höhere Qualität der Datensätze eine Rolle spielt; möglich, dass einfach das vorhandene Werbebudget verpulvert wird.

Einen anderen großen Gewinner der ersten Monate unter dem DSGVO-Regime gibt es auch noch: Die ohnehin schon enormen Marktanteile von Google sind fast sprunghaft angestiegen. Bechtold und Peukert kalkulieren auf der Basis ihrer Daten, dass Google im Bereich Analytics 7,2 Prozent zulegt, und im Bereich Werbenetzwerke 5,4 Prozent – „in zwei Märkten“, wie die Forscher in einem neueren Papier anmerken, „in denen sie vor der DSGVO mit Marktanteilen von 25,8 Prozent bzw. 38,4 Prozent bereits am stärksten vertreten waren.“ Abgesehen von Google hätten andererseits nur Unternehmen zugelegt, die DSGVO-Compliance-Dienstleistungen angeboten hätten. Marktanteile anderer Unternehmen, sogar von Facebook, gehen demgegenüber zurück oder bleiben unverändert.

Gewinner und Verlierer von Marktanteilen nach der DSGVO.

(Bild: Peukert et al)

Beim Befund des Konzentrationseffekts und auch den Begründungen sind sich Wissenschaftler verschiedener Universitäten durchaus einig. Die israelische Juristin und amtierende Präsidentin der Academic Society for Competition Law, Michal Gal, widerspricht in einem hauptsächlich auf Interviews und Umfragen fußenden Beitrag zur Debatte klar der EU-Kommission. Die hatte in Gestalt von Kommissarin Vera Jourova den Bedenken bezüglich eines Konzentrationseffekts der DSGVO entschieden widersprochen. Die heutige Datenlage spreche eine andere Sprache, so Gals Bilanz. Die DSGVO habe neben den positiven Effekten für Nutzer zwei schädliche Nebenwirkungen: Sie schränke den Wettbewerb ein, sorge für mehr Marktkonzentration und begünstige die Großen.

Gründe dafür sind laut Bechtold nicht zuletzt, dass für große Player die Kosten des Compliance-Managements und notwendiger Anpassungen an das sich verändernde Regime des Datenschutzes besser zu bewerkstelligen sind. Allein bei einem Unternehmen wie Microsoft, so berichtet er, seien an die 1000 Ingenieure damit befasst, sich um die Einhaltung des Datenschutzes zu kümmern.

70 Arten, um sich Daten trotz DSGVO legal zu beschaffen.

(Bild: Gal et al)

Die Verschiebung von Marktanteilen Richtung Google ist logisch, nicht nur wegen einer großen Rechtsabteilung, sondern weil das Unternehmen, wie Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff nicht müde wird zu predigen, auf dem vielleicht größten Datenbergen sitzt. 20 Jahre lange hat man die Daten fast unbehindert, konzentriert und methodisch gesammelt.

Gal unterstreicht, dass die Position der großen Datenkonzerne durch die jetzt schärferen Bestimmungen durch DSGVO und möglicherweise künftige Datenschutzgesetze in anderen Ländern die Hürden für Marktneulinge höher stecken. Noch ein Vorteil für Google.

Zugleich eliminiere Google zwar „in einer transparenten Zurschaustellung seiner Monopolmacht“ Third-Party-Cookies bei seinen Diensten, bemerkt sarkastisch Tech-Investor Roger McNamee. Seine eigenen First-Party-Cookies behalte man aber natürlich, sagt er.

Auch auf andere Weise stellen sich Google und dessen Kunden auf die DSGVO ein. Laut Peukert dränge sich aus den analysierten HTTP/HTTPS-Daten der Verdacht auf, dass hinter manchem First-Party-Cookie der Google-Unternehmenskundschaft tatsächlich der Dienstleister Google selbst stehe. Mehrere große Plattformen hatten sich bereits 2017 auf solche Tricks verlegt, nachdem Apples Anti-Tracking-Richtlinie in Kraft getreten war.