Missing Link: Zwangsmaßnahme Digitalisierung – kein Platz für alte Menschen?

Seite 2: Werkzeuge, die du beherrschst

Inhaltsverzeichnis

Es ist ja auch wirklich faszinierend, wie die technische Entwicklung in atemberaubendem Tempo ständig neue Möglichkeiten schafft. Ob man das jedoch als Bereicherung oder eher als Einschränkung und Belästigung erlebt, hängt unter anderem vom eigenen Lebensalter ab. Mit 16 interessierst du dich eher für neue Werkzeuge, mit denen du das vor dir liegende Leben gestalten kannst. Mit 60 dagegen rückt mehr und mehr die Frage in den Vordergrund, wie du mit den Werkzeugen, die du beherrschst, dein Leben ordentlich und befriedigend zu Ende bringst.

So schien mir denn auch die Frau mit den Smartphone-Problemen im Supermarkt mehr Jahre hinter sich als vor sich zu haben, ebenso wie die Kassiererin übrigens, die verständnisvoll bemerkte, dass sie auch "so ein Ding“ zu Hause habe, aber nicht viel damit anzufangen wisse. Zweifellos gibt es ebenso Senioren, die sich begeistert mit technischen Neuheiten beschäftigen. Aber ist es ratsam, sie zum Maßstab zu nehmen?

Bislang war es einer der Vorzüge des Alters, endlich die Tretmühle hinter sich zu lassen und freier über die eigene Zeit verfügen zu können. Doch die Digitalisierung gefährdet jetzt auch dieses letzte Refugium. Entsprechende Signale häufen sich und kommen nicht mehr nur von Anbietern entsprechender Technologien, die natürlich schon lange die "demografische Krise“ als Verkaufsargument entdeckt haben. Nein, inzwischen sprechen auch Leiter von Pflegeeinrichtungen und Seniorenheimen davon, dass es keinen Anspruch darauf gebe, im Alter nichts mehr dazulernen zu müssen. Zuletzt merkte ich auf, als bei einer Tagung zum Thema "Digitalisierung und der Mensch“ im Februar dieses Jahres Thomas Flotow, Geschäftsführer von Pflegen & Wohnen Hamburg, erklärte, dass jetzt die 68er-Generation vor den Türen der Pflegeheime stünde, und feststellte: "Sie werden die Digitalisierung akzeptieren (müssen).“

Ist das so? Muss ich davon ausgehen, auch im letzten Drittel meines Lebens die immer wertvoller werdende Zeit mit der Bedienung immer wieder neuer Geräte vergeuden zu müssen? Die Politik könnte gegensteuern. Meine bisherigen Erfahrungen mit Schäuble und den Finanzbehörden, die den Steuerzahlern die Kosten für die Digitalisierung aufzwingen, sich aber mit Händen und Füßen sträuben, den fürs Homeoffice erforderlichen Mietanteil als abzugsfähig anzuerkennen, stimmen mich nicht gerade zuversichtlich.

Und die Steuereintreiber, die ja traditionsgemäß ohne Wörter wie "bitte“ oder "danke“ auskommen, sind in dieser Angelegenheit nur die Vorreiter. Ein Artikel von Stefan Krempl über den aktuellen Altersbericht des Familienministeriums ließ jetzt bei mir die Alarmglocken läuten. Da wurde Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mit den Worten zitiert, dass das Potenzial der Digitalisierung für ältere Menschen "noch viel stärker“ ausgeschöpft werden müsse. Die Alten, so der Tenor des Artikels, nutzten digitale Medien noch viel zu wenig. Es brauche unterstützende Maßnahmen, damit es mehr würden.

Immerhin, im Altersbericht selbst finden sich dann auch Sätze wie dieser: "Die Kommission appelliert an alle älteren Menschen, sich dem digitalen Wandel nicht zu verschließen. Allerdings sollte Menschen zugestanden werden, nichts Neues mehr lernen zu müssen, wenn sie dies nicht wollen.“ Und: "Generell müssen ältere Menschen auch weiterhin grundsätzlich das Recht haben, digitale Technologien nicht zu nutzen beziehungsweise der Anwendung von Technik im Einzelfall zu widersprechen.“ Es fehlen allerdings nähere Ausführungen dazu, wie dieses Recht und zugleich gesellschaftliche Teilhabe gewährleistet werden sollen.