Mit Bäumen das Klima retten? So einfach ist es nicht

Große Aufforstungen haben auch Nachteile für das Klima. Eine neue Modellstudie weist auf die vielfältigen und vertrackten Effekte hin.

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Frühling, Sonne, Wald

(Bild: Peshkova / shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Wenn die Menschheit nur ausreichend Bäume pflanzen würde, brauchten sie ihren Lebensstil nicht zu gravierend zu verändern – zumindest in den reichen Ländern. Das jedenfalls suggerieren zahlreiche Umweltorganisationen und Flugreise-Kompensationsanbieter, darunter einst sogar das Umweltprogramm der UN (UNEP) mit seiner 2007 gestarteten Milliarden-Bäume-Kampagne.

Aber die Klimawissenschaft ist immer wieder für Überraschungen gut. Forschung bleibt nie stehen und revidiert auch mal altes, für sicher gehaltenes Wissen.

So könnten groß angelegte Aufforstungsprojekte die Energiebilanz der Erde genauso tiefgreifend verändern, wie es die immer noch fortschreitenden, weltweiten Abholzungen tun. Immerhin verlor die Erde zwischen 2010 und 2020 jährlich 4,7 Millionen Hektar Wald. Seit 1990 fielen Bäume auf 178 Millionen Hektar den Sägen zum Opfer – eine Fläche so groß wie Australien. Diesen Verlust wollen Umweltschützer, Politiker und zahlreiche Schulklassen weltweit mit Aufforstungskampagnen wieder ausbügeln. Bisher ermutigte die Wissenschaft sie sogar darin.

So berechneten im Juli 2019 Forscher des Crowther Lab der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, dass weltweit 900 Millionen Hektar Anbaufläche für Wiederaufforstungen verfügbar seien. Diese inzwischen oft kritisierte Studie ging davon aus, dass sich ein Viertel des gesamten atmosphärischen Kohlenstoffs in diesen Gebieten in Bäumen speichern ließe.

Doch sie übersahen, dass Wälder auch die Energiebilanz der Erde verändern, was sich wiederum auf die weltweiten atmosphärischen und sogar die ozeanischen Zirkulationsmuster auswirkt. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Modellstudie von Klimaforschern um Raphael Portmann von Agrosope, der schweizerischen Bundesanstalt für Landwirtschaft, und seinen Kollegen vom Institut für Atmosphären- und Klimawissenschaften der ETH.

"Angesichts der Tatsache, dass in einer umstrittenen Studie die Aufforstung in globalem Maßstab zur Abschwächung des Klimawandels befürwortet wurde und derzeit konkrete Pläne verfolgt werden, ist es wichtig, die möglichen Nebenwirkungen großflächiger Veränderungen der Waldbedeckung auf die Zirkulation und auf entfernte Wettermuster zu quantifizieren", warnen die Autoren der Modellstudie. Sie beziehen sich dabei vor allem auf die neuere Milliarden-Bäume-Kampagne der umstrittenen Plant-for-the-Planet-Stiftung, die das Projekt 2011 von der UNEP erbte.

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Das Modell, das Portmann und seine Kollegen verwendeten, ist vorerst nur ein erster Schritt, mit dem sie sich den komplizierten Wechselwirkungen zwischen großen Wäldern, Atmosphäre und Ozeanen anzunähern versuchen.

Als Ausgangspunkt nahmen sie eine vorindustrielle Waldbedeckung von etwa 30 Prozent der Landfläche an. In einem idealisierten Aufforstungsszenario wandelten sie Grasland, Ackerland, Sträucher und Städte in Wälder um, was zu einer Waldbedeckung von 80 Prozent führte. Umgekehrt bedeckte im idealisierten Entwaldungsszenario nur noch Gras die feste Erde.

Damit zeigten die Forscher, dass großflächige Aufforstungen die Zirkulationsmuster der Atmosphäre, Meeresströmungen und die Tiefdruckrinne um den Äquator stärken, schwächen oder verschieben. In deren Folge änderten sich beim Aufforstungsszenario genauso wie beim Entwaldungsszenario weltweit die regionalen Niederschlags-, Temperatur-, Wolkenbedeckungs- und Windmuster.

Beispielsweise ist die Albedo, die Rückstrahlung des Sonnenlichts, über Wäldern geringer als über Grasland, die Verdunstung durch das Blätterdach ist höher und die Rauigkeit der Landoberfläche ist größer.

"Dies führt zu Veränderungen in entfernten Klimamustern, die über die bekannten lokalen und globalen thermodynamischen Effekte hinausgehen", schreiben die Forscher. "Sie können den kühlenden oder wärmenden Effekten der Kohlenstoffspeicherung teilweise entgegenwirken." Allein durch die schwächere Albedo könnte der eigentlich erhoffte globale Temperatur-Milderungseffekt großflächiger Aufforstungen zunichte gemacht werden.

So war die globale Jahresmitteltemperatur in der Simulation mit großflächigen Wäldern um 0,5 Grad Celsius höher als in der vorindustriellen Ausgangslage. Die meisten Teile der nördlichen außertropischen Gebiete und der Sahelzone erwärmten sich sogar um mehr als ein Grad, in einigen Regionen sogar um mehr als zwei Grad. Die Folgen: In weiten Teilen der mittleren Breiten und der Subtropen könnte es mehr Hitzetage von über 30 Grad gegeben haben, während Teile der tropischen Landmassen, insbesondere in Afrika, abkühlen und deutlich weniger Hitzetage bekommen hätten.

Ganz anders bei waldlosen Graslandschaften. Hier kommt das Modell auf eine Abkühlung von 1,6 Grad, wobei es in den hohen Breitengraden sogar vier Grad sein konnten.

"Zu den ferngesteuerten Änderungen der Meeresoberflächentemperatur gehört auch eine starke Abkühlung des Nordatlantiks im Aufforstungsszenario und seine Erwärmung im Entwaldungsszenario", schreiben die Autoren. Wird der Nordatlantik kühler, schwächelt auch das Golfstromsystem, die Fernheizung Europas. Der Rat der Wissenschaftler: Groß angelegte Aufforstungsinitiativen sollten unbedingt die globalen Auswirkungen auf das Klima auch in Regionen berücksichtigen, die weit von den bewaldeten Gebieten entfernt sind.

Die Klimaforscher sind sich über die Grenzen ihres noch einfachen Rechenmodells durchaus klar: "Es wichtig zu betonen, dass unsere Studie nicht als generelles Argument gegen die Aufforstung verwendet werden darf", betonen sie. "Die Vorteile, wie Luftqualität, Biodiversität, Ernährung, lokale Abkühlung und Beschattung, Schutz der Wasserressourcen oder Erholung, sind offensichtlich, und die Aufforstung in den Tropen ist eindeutig vorteilhaft."

(jle)