Attributionsforschung: Ursache extremer Hitze "eindeutig Klimaerwärmung"

Der Klimawandel ist ein Game Changer: Hitzewellen werden mit Sicherheit das neue Normal, wie die Zuordnungswissenschaft inzwischen nachweisen kann.

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Ein Waldbrand auf Sizilien.

(Bild: Alessio Tricani / Shutterstock.com)

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Von
  • Hanns-J. Neubert

Im Januar 2003 setzte sich Myles Allen in Oxford hin und schrieb einen Kommentar an das Wissenschaftsmagazin "Nature". Das Hochwasser der Themse stand 30 Zentimeter vor seiner Küchentür und stieg immer weiter. Im Radio erklärte jemand vom britischen Wetterdienst, dass die Überschwemmungen in Südengland mit steigender Erderhitzung zunehmen könnten, dass es aber unmöglich sei, dieses spezielle Hochwasser auf die zunehmenden Emissionen von Treibhausgasen zurückzuführen.

Allen, heute Professor für Geosystemwissenschaften an der Universität Oxford, trieb die Frage um, wer eigentlich für die Schäden haftet und ob es jemals möglich sein würde, jemanden wegen konkreter Klimaschäden zu verklagen. Da sich Politiker nicht um solche Fragen kümmerten, dachte er an unpolitische Mechanismen zur Umverteilung der Kosten des Klimawandels, die vor Gerichten standhalten könnten. "Zunächst muss jedoch die Wissenschaft tätig werden", schrieb er.

Noch im selben Jahr gründete er ClimatePrediction.Net, das inzwischen weltweit größte Klimamodellexperiment, ein echtes Citizen Science Projekt. Tausende von Freiwilligen stellen dafür die Rechenzeit ihrer Privatcomputer online zur Verfügung. Das Ziel: untersuchen, ob und wie sich reale Schäden durch Wetterextreme auf die Erderwärmung zurückzuführen lassen. Allen gilt damit als einer der Begründer der Attribution Science, der Attributionsforschung bzw. der Zuordnungswissenschaft.

Doch wie verbindet man Wetter mit Klima? Schließlich ist Wetter ein sehr schnell vorübergehender, ziemlich chaotischer Übergangszustand der Atmosphäre, während Klima quasi das Durchschnittswetter über lange Zeiträume ist. Vereinfacht gesagt vergleichen die Attributionsforscher mit Modellsimulationen das Klima mit und ohne anthropogenen Einfluss, also mit der atmosphärischen CO2-Konzentration nach und vor der industriellen Revolution. Zusätzlich fließt aus Beobachtungsdaten die Analyse von Extremwerten ein, wie oft sich also besonders heftige Wetterereignisse wiederholen.

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Sebastian Sippel vom Institut für Klima und Atmosphäre der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) wird genauer: "In der Klimaforschung werden Trends in Klimavariablen – wie Temperatur oder Niederschlag – als eine Kombination von interner Variabilität und extern angetriebenen Veränderungen gesehen." Interne Variabilität ist die Wechselwirkungen innerhalb des Systems, beispielsweise zwischen Ozean und Atmosphäre oder die Muster von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Zu den externen Wirkungen zählt alles, was die Energiebilanz der Erde von 'außen' verändert. Dazu gehören menschengemachte Emissionen genauso, wie Vulkanausbrüche oder die Sonnenintensität.

Inzwischen ist eine Methode hinzugekommen, die Forscher als 'Storyline' bezeichnen. Linda van Garderen vom Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht wendete sie beispielhaft für die Analyse des europäischen Hitzesommers 2003 und der Hitzewelle 2010 über Westrussland an. Dabei simulierte sie das Wettergeschehen so nach, wie es tatsächlich passiert war, variierte dabei aber die CO2-Konzentration. Aus den Unterschieden der Simulationen konnte sie direkt auf die Intensitätsänderung der Extremereignisse schließen. "Wir versuchen mit Storylines nicht, eine mögliche Zukunft vorherzusagen, sondern wir simulieren, wie das konkrete extreme Wetterereignis in einer Welt ohne CO2-Anstieg ausgesehen hätte", schrieb sie.

Ein einzelnes extremes Ereignis ist aber erstmal nur eine Manifestation von Wetter, das theoretisch unter vielen anderen Klimabedingungen auftreten kann. "Was sich aber ändert, ist die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen, wie Hitze- und Niederschlagsextremen", erläutert Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig die Ergebnisse der Zuordnungsmodelle. Manche Ereignisse aber, wie das Überschreiten von 40 Grad Anfang Juli in England, sind jedoch so extrem, dass sie ohne den Klimawandel schlichtweg unmöglich sind. "In solchen Fällen ist es besser, sich vorzustellen, dass die Hitzewelle auch ohne Klimawandel gekommen wäre, aber eben zwei bis drei Grad kühler ausgefallen wäre." Wärmephasen, die heute zur Hitzewelle werden, wären danach ohne Klimawandel erträglich und moderat.

"Bei Hitzeextremen ist der Einfluss des Klimawandels sehr klar und wir können mittlerweile sagen, dass quasi jede Hitzewelle durch den Klimawandel in ihrer Intensität verstärkt wurde", sagt Jakob Zscheischler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Der Zusammenhang sei hierbei recht einfach: "Ein Verschieben der Temperaturverteilung hin zu wärmeren Temperaturen führt zu häufigeren und intensiveren Hitzewellen. Dementsprechend werden Kältewellen seltener." Auch für Starkregen ist klar: Eine wärmere Atmosphäre nimmt mehr Wasser auf, das dann irgendwo als Sturzregen niedergeht.

"Teilweise finden wir ein um den Faktor 10 bis 100 erhöhtes Risiko für die heißesten Ereignisse", beziffert Haustein die Bedrohung. "In Europa wird die Anzahl der Hitzewellen in den kommenden Jahrzehnten weiter drastisch zunehmen." Davon sind besonders die Mittelmeerländer betroffen, weil dort weniger Regen fällt und sich lang dauernde Dürreperioden ausbreiten.

Weniger deutlich lässt sich bei Dürren und Stürmen die Auswirkung der Klimaerwärmung ausmachen, weil allein schon die natürlichen Schwankungen ohne Erwärmung recht extrem sind. "Einerseits speichert die wärmere Atmosphäre mehr Wasser, was im globalen Mittel zu erhöhtem Niederschlag führt. Auf der anderen Seite entziehen warme Temperaturen dem Boden mehr Wasser durch Verdunstung, was in vielen Regionen häufiger zu trockenen Böden führt", beschreibt Zscheischler die Schwierigkeiten bei der Zuordnung.

Für Friederike Otto, ebenfalls Mitbegründerin der Zuordnungsforschung und Forscherin am Institut für Klimawandel des Imperial College London klar: "Der Klimawandel ist ein absoluter Game Changer: Das, was früher seltene Ereignisse waren, sind jetzt gewöhnliche Sommer."

(jle)