Mit dem Auto sieht man besser

Auf dem Weg zur Unfallfreiheit soll das elektronische Auge Autofahrern Rundumblick liefern, Personen erkennen und Notbremsungen einleiten.

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Von
  • Denis Dilba

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 11/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Auf dem Weg zur Unfallfreiheit soll das elektronische Auge Autofahrern Rundumblick liefern, Personen erkennen und Notbremsungen einleiten.

Ein Test: Drehen wir mit dem Auto auf einem regennassen Parkplatz eine flotte Runde ohne elektronische Fahrdynamikregelung. "Sie werden sicherlich schlingern und arge Probleme bekommen, die Spur zu halten", sagt Dirk Rossberg, Leiter der Abteilung Assistenzsysteme Fahrerarbeitsplatz bei BMW. Er würde das zwar nicht empfehlen, aber eindrucksvoller könne man heutzutage den Sicherheitsgewinn im Automobil durch moderne Technik kaum zeigen.

Das Problem: Solche Anti-Schleuder-Systeme helfen immer erst dann, wenn der Fahrer schon mitten in der meist eigens herbeigeführten kritischen Fahrsituation steckt. Wichtig wäre es deshalb, dass der Fahrer erst gar nicht in die Situation kommt, in der er abrupt bremsen oder ausweichen muss. Nicht nur BMW, sondern praktisch alle namhaften Automobilhersteller und -zulieferer arbeiten daher fieberhaft daran, dem Automobil und damit dem Fahrer mithilfe von Kameratechnik Schritt für Schritt einen 360-Grad-Rundumblick zu verschaffen.

"Kamerabasierte Fahrerassistenzsysteme sind ganz klar stark im Aufwind", sagt Stefan Hahn, Leiter der Forschung und Vorentwicklung für Bildverarbeitung bei Daimler. So helfen die elektronischen Augen schon heute in vielen Oberklasselimousinen wie der E-Klasse oder dem aktuellen 7er-BMW serienmäßig beim Einparken, Spurhalten und dem Einhalten des richtigen Abstands zum Vordermann.

Schon heute gibt es ein großes Potenzial für Kameratechnik im Automobil. "Aber die wahre Königsklasse sind solche Geräte, die Personen und Fahrzeuge zuverlässig erkennen können – vor allem solche, die sich quer zur eigenen Fahrtrichtung bewegen", sagt Thorsten Ringbeck, Director Business Development von PMD Technologies. Er denke da insbesondere an Kinder oder Spaziergänger, die unvermittelt auf die Straße laufen, oder unübersichtliche Kreuzungen. PMD Technologies, gemeinsame Tochterfirma von Audi Electronics Venture und ifm electronic, einem baden-württembergischen Spezialisten für Sensortechnik in der Automation, arbeitet derzeit an einer 3-D-Kamera, die diese Aufgabe in Zukunft mit deutlich weniger Rechenaufwand und somit schneller als bisher meistern könnte.

Wichtigstes Element dieser "Time of Flight"-Kamera ist der Photomischdetektor, kurz PMD, ein optoelektronischer CMOS-Halbleiterchip. Er funktioniert ähnlich wie ein Radar, wenn auch nicht mit Radiowellen: Zunächst wird die Umgebung mit Licht einer geeigneten Wellenlänge beleuchtet. Dafür werden in den PMD-Technologies-Versuchsfahrzeugen Leuchtdioden (LED) in der Frontschürze verwendet, die in vielen Autos bereits als Tagfahrlicht eingesetzt werden. Treffen die Strahlen der LED auf ein Objekt, werden sie reflektiert. Der Sensor der Kamera detektiert diese Lichtpulse und ermittelt, wie viel Zeit das Licht vom Auto zum Objekt und zurück benötigt. Störendes Sonnenlicht wird durch eine Filterautomatik unterdrückt.

Aus der ermittelten Laufzeit wird die genaue Entfernung des jeweiligen Objektes im Strahlengang errechnet und die Distanz jedes Pixels zum Auto beziehungsweise zum Bildsensor farblich dargestellt. Die Farbe Rot etwa steht für Nähe, Blau für weitere Entfernung. "Die PMD-Technologie ermöglicht so die dreidimensionale Erfassung der Umgebung um das Fahrzeug in Echtzeit mit nur einer einzigen Optik und extrem wenig Rechenaufwand", sagt Ringbeck. Während herkömmliche 2-D-Kameras auf etwa eine halbe Million Bildpunkte kommen, ist die Auflösung der 3-D-Kamera derzeit auf rund 40000 Pixel begrenzt. Das sei laut Ringbeck jedoch ausreichend. Das Gute: Die gesamte Elektronik findet auf nur einem Chip Platz, der sich in einem etablierten Halbleiter-Fertigungsprozess kostengünstig herstellen lässt. Eine PMD-Kamera wird bei typischen Auto-Stückzahlen nur rund 100 Euro kosten und etwa 2013 serienreif sein.

Das System klassifiziert ein Objekt dann als Person, wenn die Abmessungen, Umrisse und Bewegungsmuster einem Menschen entsprechen. Die Basis dafür bildet eine Datenbank. "Auf diese Weise kann sogar die Bewegungsrichtung einer Person erkannt werden", sagt Ringbeck. Die Kamera unterscheidet, ob sich ein Fußgänger parallel zur Fahrtrichtung bewegt und keine Gefahr darstellt oder ob er sich in den Fahrkorridor bewegt. In dem letzteren Fall warnt sie den Fahrer über eine Anzeige in einem Display in der Mittelkonsole des Fahrzeugs.

Der Nachteil: Die Reichweite für die PMD-Personenerkennung beträgt derzeit nur rund 20 Meter. Ab 50 Meter erkennt das Verfahren zwar zuverlässig sich bewegende Objekte, kann aber noch nicht genau ausmachen, ob es sich dabei um eine Person handelt. In jedem Fall warnt es den Fahrer akustisch. "Innerhalb von 20 Metern hingegen gewährleiste das PMD-System eine fast 100-prozentige Erkennungsrate von Personen", sagt Ringbeck. Und das unterscheide es von allen anderen Systemen. "Die wenigen Millisekunden vor dem Crash reichen zumindest aus, um eine Notbremsung einzuleiten." Damit der Fahrer bei aktiven Eingriffen des Systems nicht grundlos gefährdet wird, muss es jedoch erstens eindeutig erkennen, dass der Crash anders unvermeidbar wäre, und zweitens, dass sich tatsächlich eine Person vor dem Wagen befindet.

Das PMD-Verfahren ist nicht das erste, das dem Automobil einen vorausschauenden 3-D-Blick erlaubt. Bereits auf der Internationalen Automobil-Ausstellung 2004 hat das Team von Daimler-Forscher Hahn eine Stereo-Kamera-Methode vorgestellt. Hierbei kann aus den Daten von zwei in einem bestimmten Abstand zueinander angebrachten 2-D-Kameras ebenfalls die Entfernung von Objekten im Fahrkorridor berechnet werden. Im Testfahrzeug funktioniere alles schon sehr gut, so Hahn. Doch bisher benötige man für die Rechenleistung einen relativ teuren Pentium-Chip. "Um das Verfahren auf einem preisgünstigen handelsüblichen Steuergerät laufen zu lassen, müssen wir uns noch etwas einfallen lassen." In frühestens zwei Jahren könnte das System in der Premiumklasse in Serie gehen.

Alle Experten sind sich einig, dass die Erkennungsrate noch zuverlässiger werden muss. "Wir erfassen Personen schon auf rund 100 Meter, und das zu 95 Prozent", sagt Hahn. Aber das reiche nicht aus. Um die 95 auf 100 Prozent zu steigern, arbeitet Daimler in der 2008 gestarteten Forschungsallianz Propedes (Predictive Pedestrian Protection at Night) gemeinsam mit Bosch und dem Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS). Die Teams wollen die Verbesserung vor allem erreichen, indem sie mehrere unabhängig voneinander gemessene Sensordaten zusammenrechnen.

"Dafür brauchen wir jedoch eine komplexere Software und deshalb wieder mehr Rechnerleistung", sagt Hahn. Es liegt also noch viel Arbeit auf dem Weg zum unfallfreien Fahren. "Erst wenn wir bei der Interpretation des Umfeldgeschehens zu 100 Prozent richtig liegen", sagt Hahn, "dürfen wir darüber nachdenken, elektronischen Assistenten schwerwiegende Entscheidungen wie autonome Vollbremsung oder gar Lenkeingriffe zu überlassen." (bsc)