Nach dem Report ist vor dem Report
Die gegenwärtigen Klimamodelle sollen im nächsten IPCC-Bericht 2012 noch deutlich verfeinert werden. Langfristiges Ziel der Klimaforscher ist ein Erdsystemmodell, das die Möglichkeiten der Wettervorhersage auf das Klima anwendet.
- Niels Boeing
Die Diagnose des jüngsten IPCC-Teilberichts, der am vergangenen Freitag in Paris vorgestellt wurde, fällt eindeutig aus: Der derzeit zu beobachtende Klimawandel ist „sehr wahrscheinlich“ vom Menschen durch seine zusätzlichen Treibhausgasemissionen verursacht worden. Diese zwei unscheinbaren Wörter markieren den Höhepunkt eines seit Jahren andauernden Ringens um immer bessere Modelle des Erdklimas, in dem immer größere Datenmengen durch Rechnerparks gejagt worden sind. Noch im zweiten Bericht von 1996 hatten die Modellrechnungen nicht mehr hergegeben, als einen „spürbaren Einfluss“ des Menschen auf das Klima zu konstatieren. Es folgten harte, zum Teil juristische Auseinandersetzungen mit Industrielobbyisten und einigen skeptischen Wissenschaftlern, zuletzt um die berühmte „Hockeyschlägerkurve“ zum Temperaturverlauf der vergangenen tausend Jahre. Jetzt scheint die Botschaft auch bei den letzten Zweiflern angekommen zu sein, wie die Reaktionen aus Politik und Industrie weltweit zeigen.
Doch wer glaubt, dass die internationale Klimaforschergemeinde damit ihre Mission erfüllt sieht, irrt. Sie hat ein viel ehrgeizigeres Ziel im Blick. „Wir wollen die Klimaforschung dahin weiterentwickeln, wo die Wetteranalyse bereits ist: von Projektionen von möglichen Veränderungen zu Vorhersagen“, sagt Guy Brasseur vom National Center for Atmospheric Research der USA. Die Klimaforschung soll sich langfristig zu einem Dienstleister wie die Wetterdienste entwickeln – nur eben im globalen Maßstab.
Bis dahin ist noch viel zu tun. Auch wenn der vierte IPCC-Teilbericht mit einer beeindruckenden Fülle an Details aufwarten kann, sind viele Klimaprozesse noch nicht richtig verstanden, die Modelle noch zu grob. „Wir müssen den Tropen mehr Beachtung schenken“, sagt Brasseur, „das sind die Antriebsmaschinen des Klimasystems.“ Bislang sind die Möglichkeiten, die Bildung von Hurrikans oder die großen Konvektionsströme feuchtwarmer Luft zu simulieren, noch zu beschränkt, weil die Klimamodelle in Äquatornähe nur eine räumliche Auflösung von 200 Kilometern haben.
In der Arktis, für die die jetzigen IPCC-Projektionen die stärkste Erwärmung kommen sehen, können die Modelle die Dynamik der Eisschilde in Grönland und auf dem Nordpolarmeer noch nicht genau genug wiedergeben. Doch gerade vom Abbröckeln oder Abtauen des Grönlandeises wird abhängen, wie stark der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert tatsächlich steigt. Der Beitrag der Antarktis wird von Klimaforschern hingegen als geringfügig eingeschätzt, weil der dortige Eispanzer ziemlich stabil ist und im Inneren sogar wächst.
Ein weiteres Problem: „Wolken werden bislang nicht gut in den Modellen erfasst“, so Brasseur. Die würden nur als Parameter in den Gleichungen berücksichtigt, nicht aber ihre Bildung mitberechnet. „Wir müssen besser verstehen, wie das Kohlendioxid von den Ozeanen und der Vegetation auf den Kontinenten aufgenommen wird, wenn sich das Klima verändert.“ Bisherige Modelle, in denen Klima und Kohlenstoffkreislauf gekoppelt sind, würden eine zu geringe Aufnahme von Kohlenstoff ergeben. Von der tatsächlichen CO2-Aufnahme hängt wiederum ab, wie stark sich der pH-Wert des Wassers ändert, wie sauer die Meere also werden. Ein Versauerung hätte zur Folge, dass Schalentiere nicht ausreichend Kalk in ihren Panzern einlagern können, diese also hart genug werden – was für die marinen Nahrungsketten wichtig ist.
Die Ozeane geben den Forschern noch weitere Rätsel auf. „Beschleunigt sich die Erwärmung der Ozeane? Diese Frage können wir zurzeit noch nicht beantworten“, sagt Jürgen Willebrand vom IFM-Geomar in Kiel. Wichtig ist auch der sich verändernde Salzgehalt der verschiedenen Meere. Immerhin könnten die Forscher jetzt zeigen, dass er mit Veränderungen im Transport von Wasserdampf aus den Ozeanen in die Atmosphäre gekoppelt ist. Die empirischen Messdaten aus den Weltmeeren seien aber für detallierte Ozeanmodelle immer noch zu schlecht. So ist das Messnetz in südlichen Breiten nach wie vor ziemlich ausgedünnt.
Ebenfalls unklar: Wie groß sind die weltweiten Vorkommen des eisartigen Methanhydrats auf dem Meeresgrund? „Wir haben keine Abschätzung der Gesamtmenge“, sagt Willenbrand, deshalb sei diese Größe in die IPCC-Modellen bislang noch gar nicht aufgenommen worden. Sollten Methanhydrate aber aufgrund einer Erwärmung im größeren Stil auftauen, würde die Konzentration des äußerst treibhauswirksamen Methans in der Atmosphäre deutlich zunehmen. „Dann könnten wir auch eine Kopplung von Klima und Methangehalt bekommen“, sagt Guy Brasseur.
Die größte Herausforderung wird aber sein, die Gleichungssysteme für Veränderungen in Atmosphäre, Ozeane, Eismassen und Biosphäre in einem vollständigen Erdsystemmodell miteinander zu verbinden und gleichzeitig die räumliche Auflösung der Berechnungen zu steigern – also die Berechnungspunkte viel dichter als in einem Abstand von 200 Kilometer zu verteilen. Ginge man nur in dem derzeit eingesetzten globalen Modell auf 50 Kilometer herunter, bräuchte man eine hundertfach stärkere Rechenleistung, so Brasseur. Das bedeutet: Die Klimaforschung wird bald Hochleistungsrechner benötigen, wie sie bislang vor allem von Teilchen- und Kernphysikern genutzt werden. Davon ist der Computercluster des Deutschen Klimarechenzentrums in Hamburg inzwischen ein gutes Stück entfernt, der anders als noch vor fünf Jahren nicht mehr unter den Top 500 Supercomputern auftaucht.
Die derzeitigen Klimamodelle haben noch eine weitere Beschränkung: Etwaige Emissionsverminderungen aufgrund umgesetzter Klimaschutzmaßnahmen sind in den Szenarien, aus denen die Klimaforscher künftige Treibhausgasemissionen beziehen, noch gar nicht enthalten. Die werden vor allem von Ökonomen aufgrund einer vermuteten wirtschaftlichen und technischen Entwicklung berechnet und als ein Input in die Modelle gegeben.
Die Bedeutung dieser und anderer Informationen, die nicht rein physikalischer Natur sind, wird künftig zunehmen. Denn es werde nicht mehr allein darum gehen können, wie sich die globale Durchschnittstemperatur entwickelt, sagt Guy Brasseur. Regionale Auswirkungen, etwa für Landwirtschaft oder Fischerei, würden immer wichtiger. Der fünfte IPCC-Bericht ist für 2012 vorgesehen. „Dann soll zum ersten Mal die vollständige Biogeochemie berücksichtigt werden, die auch von der Landnutzung abhängt“, so Brasseur. „Am Ende muss ein Klimabeobachtungsdienst entstehen, in dem Natur- und Sozialwissenschaften zusammen Informationen einbringen.“
Was wird im IPCC-Modell berechnet?
Das gegenwärtige IPCC-Modell, wie es etwa am vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg für den aktuellen Bericht berechnet worden ist, ist von einem Erdsystemmodell noch ein gutes Stück entfernt. Das Basismodell enthält zunächst drei Teilmodelle für Atmosphäre, Landoberflächen und Ozeane. Input sind eingestrahlte Sonnenenergie sowie Konzentrationen der wichtigsten Treibhausgase und Aerosole, deren Konzentrationen von verschiedenen Szenarien für die globale wirtschaftliche Aktivität der nächsten Jahrzehnte oder von Vulkanausbrüchen abhängen. Während sich die Entwicklung Größen für das Gitternetz berechnen lässt, kann der Transport von Impuls, Energie und Wasser durch das Erdsystem bisher nicht lokal aufgelöst werden. Er muss deshalb in den Gleichungen „parametrisiert“ werden.
Auf diesem Basismodell setzen dann zwei erweiterte Modelle auf. Im einen werden weitere Aerosole als Input hinzugenommen. Dazu gehören vom Menschen verursachte Rußpartikel, aber auch „marines Dimethylsulfid“, das ein Stoffwechselprodukt des Phytoplanktons in den Ozeanen ist. Ebenfalls berücksichtigt wird Mineralstaub, der aus der Atmosphäre in die Meere gelangt.
Im zweiten Modell werden hingegen vom Menschen verursachte Emissionen von CO2 als Input hinzugezogen. Berechnet werden dann der Austausch von CO2 zwischen Atmosphäre, Erdboden, Vegetation und Ozeanen sowie die Speicherung des im CO2 enthaltenen Kohlenstoffs in Meeren und Vegetation.
(nbo)