Nachhaltigkeit: Warum wiederaufbereitete Smartphones boomen

Immer mehr Kunden entscheiden sich für ein wiederaufbereitetes Smartphone vom Händler – das ist günstiger und umweltfreundlicher als der Neukauf.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
, Bild: Thorsten Hübner

(Bild: Thorsten Hübner)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die goldenen Zeiten sind im Smartphonemarkt schon länger vorbei. Nachdem die Verkäufe bis 2016 steil angestiegen waren, ging es danach wieder bergab. Allerdings ist nur der Markt für Neugeräte geschrumpft – der Second-Hand-Markt wuchs stetig weiter.

Mehr zu gebrauchten Smartphones

2020 war der Kontrast besonders deutlich: Laut der Marktforschungsfirma IDC sank der Absatz von Neugeräten im ersten Coronajahr um 6 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der von gewerblichen Anbietern verkauften Gebrauchtsmartphones um 9 Prozent.

Auch in Europa feiern Second-Hand-Anbieter Rekorde. Rebuy hat 2021 nach eigenen Angaben 180.000 wiederaufbereitete Smartphones verkauft, fast doppelt so viele wie 2016. "Wir könnten noch deutlich mehr verkaufen, der Flaschenhals ist klar der Ankauf", sagt Rebuy-Chef Philipp Gattner im Gespräch mit c’t. Das Unternehmen aus Berlin arbeitet seit 2019 profitabel und beschäftigt heute 550 Mitarbeiter.

"Wir könnten noch deutlich mehr Smartphones verkaufen, der Flaschenhals ist der Ankauf", sagt Rebuy-Chef Philipp Gattner.

Der Konkurrent Swappie ist noch schneller groß geworden: Er wurde erst 2016 gegründet, hat aber schon mehr als 1100 Angestellte. Das Start-up aus Helsinki bereitet ausschließlich iPhones wieder auf und flutet YouTube mit Influencer-Werbespots.

Einen steilen Start hingelegt haben auch Onlinemarktplätze für Second-Hand-Elektronik wie Backmarket aus Paris und Refurbed aus Wien. Backmarket beschäftigt schon 650 Angestellte und ist aus der Sicht seiner Kapitalgeber 5,1 Milliarden Euro wert. Anders als Swappie und Rebuy bereiten Backmarket und Refurbed nicht selbst auf, sondern vermitteln nur zwischen Käufern und kleineren Wiederaufbereitern aus ganz Europa – das skaliert schneller, als wenn man selbst Smartphones testet, reinigt und repariert.

Für den Erfolg der Second-Handy-Branche gibt es zahlreiche Gründe. Eine Rolle spielt zum Beispiel der aktuelle Chipmangel: Manche Neugeräte waren 2021 kaum lieferbar, was Gebrauchtanbietern einen Vorteil verschaffte.

Doch es gibt auch langfristige Trends, die den Gebrauchtmarkt anschieben. Der vielleicht wichtigste ist, dass der technische Fortschritt sich bei Smartphones verlangsamt hat – zumindest aus Sicht der Kunden. Fünf Jahre alte Modelle wie das Samsung Galaxy S8 ruckeln auch bei heutigen Apps kaum und bieten alle Funktionen, die Normalnutzer sich wünschen. Ob zwei, drei oder vier Kameras im Gehäuse stecken, ist vielen Kunden schnuppe.

Gleichzeitig haben die Hersteller ihre Preise aber nach oben geschraubt. Im Schnitt geben Verbraucher in Deutschland heute 500 Euro für ein neues Handy aus, 150 Euro mehr als vor fünf Jahren. High-End-Modelle kosten gut und gern das Doppelte. Doch warum so viel ausgeben, wenn das ähnlich gute Vorvorjahresmodell mit ein paar Kratzern für die Hälfte zu haben ist?

Hinzu kommt, dass hochwertige Android-Smartphones länger mit Updates versorgt werden als noch vor einigen Jahren. Früher war meistens nach zwei Jahren Schluss, heute verspricht zum Beispiel Samsung, teure Modelle mindestens vier Jahre lang zu versorgen. Apple frischt die Software seiner Smartphones traditionell fünf, sechs Jahre lang regelmäßig auf.

Die Wiederaufbereiter profitieren nicht nur von der Strategie der Hersteller. Sie haben auch selbst einiges dafür getan, den Gebrauchtmarkt aus der Schmuddelecke zu holen. Zum Beispiel bieten Rebuy und Swappie ihren Kunden eine Dreijahresgarantie, während Hersteller auf Neugeräte üblicherweise nur ein oder zwei Jahre geben. Mehr über Garantie und Gewährleistung bei Gebrauchtgeräten lesen Sie in dem Artikel "Gebrauchte statt neue Smartphones: Fünf gebrauchte Handys im Praxistest" (Test).

Die Dreijahresgarantie ist auch deshalb möglich, weil die Wiederaufbereiter ihre Ware mit hohem Aufwand testen. Alle großen Anbieter versprechen zudem, dass der Akku mindestens 80 Prozent der Originalkapazität bietet. Falls das Gerät aus irgendeinem Grund doch nicht gefällt, können Kunden es in den ersten Wochen einfach zurückschicken. Anders als beim Kauf von privat geht man bei gewerblichen Anbietern kaum ein Risiko ein.

Muss der Akku oder das Display getauscht werden, verwenden die Anbieter nach eigenen Angaben soweit möglich Originalteile oder wiederaufbereitete Originalteile, zum Beispiel Apple-Displays mit ausgetauschtem Deckglas. Da Originalteile mitunter nicht erhältlich sind, müssen sie aber auch auf Nachbauten zurückgreifen. Alle Teile würden intensiv getestet, betonen Rebuy und Swappie gegenüber c’t.

Obendrein werben die Wiederaufbereiter mit dem Argument, dass der Gebrauchtkauf der Umwelt helfe. Da ist durchaus etwas dran: Ein Smartphone ist umso umweltfreundlicher, je länger es genutzt wird, denn der Großteil der Emissionen entsteht durch die Produktion.

Die Umweltorganisation Germanwatch fordert deshalb die Bundesregierung auf, den Markt für gebrauchte Elektronik mit einer geringeren Mehrwertsteuer zu fördern. Das sollte insbesondere für Geräte gelten, die schon zwei oder drei Jahre alt sind, sagt Johanna Sydow, Ressourcenexpertin bei Germanwatch. Schließlich helfe nicht jeder Gebrauchtkauf dem Klima. Wer sich alle paar Monate ein neues Modell aus zweiter Hand zulegt, heize indirekt die Nachfrage nach Neugeräten an.

Die EU-Kommission plant bereits andere Maßnahmen, die den Gebrauchtmarkt ebenfalls fördern würden: Sie will Hersteller verpflichten, mindestens fünf Jahre lang Ersatzteile und Softwareupdates zu liefern. Sollten diese Regeln wie geplant 2023 in Kraft treten, dürften Neugeräte noch teurer werden und Gebrauchtgeräte noch attraktiver.

Laut einer Bitkom-Umfrage haben nur 13 Prozent der Deutschen schon einmal ein wiederaufbereitetes Smartphone oder Notebook gekauft - aber 50 Prozent könnten sich das vorstellen. Und die Marktforscher von IDC rechnen damit, dass 2024 weltweit 350 Millionen wiederaufbereitete Smartphones verkauft werden, etwa 125 Millionen mehr als 2020. Das ist zwar noch weit entfernt von den etwa 1,4 Milliarden Neugeräten pro Jahr. Backmarket-Chef Thibaud Hug de Larauze glaubt aber, dass der Gebrauchtmarkt langfristig mindestens gleichziehen kann. "Wir machen uns dafür bereit, mit dem 1,5 Billionen Dollar schweren Markt für Neugeräte auf Augenhöhe zu gehen", sagt er. Bei Autos kaufe die Mehrheit schließlich auch Gebrauchtware.

Wiederaufbereiter wie Rebuy und Swappie kaufen gebrauchte Smartphones, testen sie, reparieren sie bei Bedarf und verkaufen sie danach wieder. Die Einschätzung des Gerätezustands – die Firmen sprechen vom "Grading" – ist dabei zentral: Werden Mängel übersehen, etwa ein defektes Mikrofon, hat das Retouren oder Reklamationen zur Folge.

Bei Rebuy in Falkensee bei Berlin konnte c’t den Grading-Prozess verfolgen. Das Unternehmen hat dort im Jahr 2021 eine hochautomatisierte Teststraße für iPhones aufgebaut. Nach dem Auspacken prüfen Mitarbeiter zunächst, ob die Geräte für die automatisierten Tests geeignet sind. Zu den Ausschlusskriterien zählen starke Beschädigungen wie aufgeblähte Akkus oder gebrochene Displays. Liegt kein solches Problem vor, werden die Geräte via Kabel an ein Testsystem gestöpselt, das Gerätedaten aus dem Mainboard ausliest und den Akku auflädt. Die Software stellt auch fest, ob das iPhone noch mit einem iCloud-Account verbunden ist und deshalb nicht verkauft werden kann. In diesem Fall erhält der Besitzer automatisch eine Mail mit der Bitte, die Sperre aufzuheben.

Danach reinigen Mitarbeiter die Smartphones, damit zum Beispiel Staubknäuel in Buchsen nicht die Testergebnisse verfälschen – eine zweite Reinigung folgt später. Das eigentliche Grading läuft weitgehend automatisch: Ein Roboterarm nimmt die Geräte vom Fließband und legt sie in eine etwa 60.000 Euro teure Maschine des US-Herstellers Futuredial, die Funktionen und Komponenten testet, etwa Kameras, Display, Sensoren, Buchsen, Bluetooth, Mikrofon und Lautsprecher. "Die Maschine spuckt 280 Messwerte pro Gerät aus, die Kunst liegt aber in der Bewertung der Daten", sagt Rebuy-Chef Philipp Gattner.

Rebuy setzt zum automatisierten Testen von gebrauchten Smartphones Maschinen von Futuredial ein, die etwa 60.000 Euro pro Stück kosten.

Auch die Einschätzung des optischen Zustands läuft automatisiert. Ein weiterer Apparat macht zwei Dutzend hochauflösende Fotos vom Gerät, eine Software errechnet daraus eine Zustandsbewertung. Auch dabei sei Erfahrung wichtig, betont Gattner. "Wie ein Kratzer bewertet wird, hängt zum Beispiel davon ab, an welcher Stelle des Gehäuses er sich befindet."

Die Restkapazität des Akkus lässt sich in der Regel aus einem Chip auslesen. Doch darauf verlasse man sich nicht, sagt Gattner. Man prüfe die Angabe auch mit einem eigenen Akkutest auf Plausibilität.

Künftig will Rebuy auch Android-Smartphones über die Teststraße schicken. Um die Maschinen "anzulernen", seien etwa 200 Exemplare eines Modells nötig, sagt Gattner. Als Hauptvorteil der Automatisierung sieht er nicht die Geschwindigkeit oder die Kostenersparnis, sondern die Verlässlichkeit der Daten: "Bei menschlichen Testern schwanken die Ergebnisse, weil die Augen müde werden und die Aufmerksamkeit nachlässt."

(cwo)