Nachhaltigkeit: Wie die Industrie Reparaturen sabotiert

Seite 2: Volle Punktzahl für das Fairphone 3

Inhaltsverzeichnis

Die französische Einstufung beruht auf der Qualität der Dokumentation, den Möglichkeiten zur Demontage sowie Preis und Verfügbarkeit von Ersatzteilen. Die Verrechnung verschiedener Kriterien hat mitunter allerdings absurde Konsequenzen: „So können Produkte, für die nach zwei Jahren schon keine Ersatzteile mehr zur Verfügung stehen, die ansonsten aber recht einfach und gut reparierbar wären, einen hohen Reparatur-Index erhalten“, moniert der Runde Tisch Reparatur e.V. Und netzpolitik.org ist aufgefallen, dass das auf einfache Reparierbarkeit ausgelegte Fairphone schlechter abschneidet als ein Smartphone von Samsung, weil der kleinere Hersteller nicht so schnell Ersatzteile liefern könne. Beim Reparaturportal iFixit, das einen eigenen Index entwickelt hat, bekommt das Fairphone 3 hingegen die vollen zehn Punkte.

(Bild: Flaticon.com)

Die gerne unter dem „Recht auf Reparatur“ zusammengefassten Maßnahmen der EU umfassen eine ganze Reihe von Gesetzen: Die neue Warenkaufrichtlinie wird gerade in deutsches Recht umgesetzt und schreibt etwa vor, dass Hersteller Angaben über zukünftige Softwareupdates machen. Zudem muss zunächst die Reparatur eines defekten Geräts versucht werden, bevor Kunden Geld zurückfordern können.

Die Ökodesign-Richtlinie zielte bisher vor allem auf den Energieverbrauch von Geräten. Seit März 2021 macht sie auch Vorgaben zur Reparierbarkeit. Je nach Produktgruppe müssen Hersteller sieben bis zehn Jahre nach Verkaufsende Ersatzteile zur Verfügung stellen. Die Teile müssen innerhalb von 15 Arbeitstagen geliefert werden und mit normalen Werkzeugen ausgetauscht werden können. Dies gilt für Kühlgeräte, Waschmaschinen, Trockner, Geschirrspüler, Monitore, Fernseher, Lampen, externe Netzteile, Elektromotoren, Trafos und Schweißgeräte.

Sowohl das EU-Parlament als auch der EU-Umweltministerrat haben sich kürzlich dafür ausgesprochen, die Regeln weiter zu verschärfen. Die Parlamentarier forderten unter anderem, die Ökodesign-Richtlinie auch auf Produkte ohne Energiebezug zu erweitern. Zudem soll ein digitaler Produktpass Auskunft über die Reparierbarkeit geben. Im Laufe dieses Jahres will die EU-Kommission eigene Gesetzesvorschläge zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft vorlegen. Auch in rund 20 US-Bundesstaaten gibt es Gesetzesentwürfe, die Verbrauchern ein umfassendes Recht durch unabhängige Werkstätten einräumen sollen.

(Bild: Flaticon.com)

Wozu eigentlich ein „Recht auf Reparatur“? Es gibt doch kein Verbot. In der Praxis schon, argumentiert Franz Streibl, Vorstandsmitglied des Runden Tisch Reparatur, „denn jeder Hersteller ,moderiert‘ Reparaturen seiner Produkte durch den Zugang zu Ersatzteilen nach eigenem Gutdünken.“

Ein Beispiel dafür erwähnt Detlef Vangerow, Gründer der Vangerow GmbH, in seinem Blog: Der Displaytausch eines Samsung Galaxy S10 koste bei Samsung 208,23 Euro, der freie Kundendienst bezahle für ein Original-Display 191,47 Euro. „Für eine vollständige Reparatur fehlen hier aber noch Klebefolien und die Arbeitszeit“, so Vangerow.

Die seit Anfang März geltende überarbeitete Ökodesign-Richtlinie macht nun erstmals Vorgaben für die Ersatzteilversorgung. „Die Maßnahmen entwickeln sich in die richtige Richtung, doch die Pläne gehen längst noch nicht weit genug“, sagt Claudia Schipper vom Repair Café International. „Es geht vornehmlich um größere, teurere Geräte. Im Repair Café begegnen uns aber vor allem Produkte wie Kaffeemaschinen, Toaster, Lampen, Audio-/Video-Geräte.“

Oder ist eine lange Ersatzteilversorgung ein ökologisches Eigentor? „Eine Verpflichtung, eine Vielfalt von Ersatzteilen für lange Jahre auf Vorrat zu produzieren und einzulagern, dürfte mehr Müll erzeugen als vermeiden“, meint Achim Berg, Vorsitzender des Branchenverbandes Bitkom.

Alexander Klein, Professor für Integriertes Produktionsmanagement an der Hochschule Rhein-Waal, widerspricht: „Es geht ja nicht darum, 200.000 Staubsaugermotoren auf Lager zu legen, sondern darum, sie mit flexiblen Fabriken dann zu produzieren, wenn man sie braucht.“

Eine andere Lösung schlagen die Nachhaltigkeitsforscher Erik Poppe und Eduard Wagner vor: „Um die Umweltlast der Ersatzteil-Bevorratung zu senken, können Hersteller zum Beispiel auch Komponenten aus Rücknahmesystemen als Ersatzteil zurückgewinnen. Das nennt sich ,Kannibalisieren‘ und ist im Pkw-Bereich völlig normal.“ Hierzulande steht dem allerdings eine rechtliche Hürde entgegen, so Anton Berwald vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM: „Das ist in Deutschland verboten.“

Oft sind es auch ausbleibende Software-Updates, die funktionierende Hardware zu Elektroschrott machen. Die neue Warenkaufrichtlinie soll Hersteller zu gewissen Aktualisierungs- und Supportfristen verpflichten. Der Referentenentwurf spricht allerdings nur vage von einer „erwarteten Nutzungsdauer“. Der Runde Tisch Reparatur fordert, die Ersatzteilversorgung stärker an der wünschenswerten und technisch möglichen Lebensdauer zu orientieren. In einer Stellungnahme zur Ökodesign-Richtlinie fordert er etwa acht Jahre Unterstützung von Smartphone-Betriebssystemen sowie die Freigabe des Quellcodes nach dieser Frist.

(Bild: Flaticon.com)

Verschraubte Gehäuse sind leichter zu öffnen als verklebte – logisch. Das erleichtert nicht nur die Reparatur, sondern auch das Recycling. Meist sind die Geräte dadurch allerdings auch weniger staub- und wasserdicht, wendet der Bitkom ein. Das wiederum könne zu häufigeren Schäden und damit zu mehr Elektroschrott führen, also sei auch eine Verklebung ein Schritt zu mehr Nachhaltigkeit. „Beide Strategien lassen sich im Hinblick auf Ressourcenschonung verteidigen“, meint Fraunhofer-Experte Anton Berwald.

Dass reparaturfreundliches Design sehr wohl möglich ist, zeigt etwa das modulare Fairphone: Der niederländische Hersteller hat im vergangenen Sommer ein verbessertes Kameramodul für sein Modell 3 herausgebracht. Nach demselben Prinzip will das kalifornische Start-up Framework in diesem Sommer ein Laptop auf den Markt bringen, bei dem sich die wichtigsten Komponenten für spätere Upgrades oder Reparaturen austauschen lassen.