Navi fĂĽr Drinnen
Unter idealen Bedingungen ist die Ortung per Bluetooth bis auf weniger als einen Meter genau, deutlich präziser als per WLAN. Allerdings ist ihre Reichweite auch geringer. Während eine WLAN-Basisstation für etwa 100 Quadratmeter reicht, ist bei BLE etwa ein Sender pro 70 Quadratmeter nötig, schätzt Marcus Handte, Gründer des Bonner Start-ups LocosLabs.
Allein für die Halle 2 der Hannover-Messe wären also rund 250 BLE-Funkfeuer nötig, für einen Bahnhof etwa 800. Die Investition geht in die Hunderttausende, zudem müssen bei den Sendern regelmäßig die Batterien ausgetauscht werden. LocosLab hat sich einen Trick einfallen lassen, um den Aufwand zu reduzieren: Es steckt normale Bluetooth-Sticks in die USB-Buchsen handelsüblicher WLAN-Basisstation. Wer also schon ein WLAN-Netz besitzt, kann BLE huckepack darauf aufsetzen und sich unter anderem den Batteriewechsel ersparen.
Der Ingolstädter Dienstleister Infsoft setzt ebenfalls auf eine Kombination von WLAN und Bluetooth. Er zählt unter anderem den Flughafen Frankfurt, die Messe München und die Deutsche Bahn zu seinen Kunden. Wo besondere Genauigkeit gefragt ist, installiert er zusätzliche Beacons und misst die entstandene Funklandschaft genau ein. Diese Daten lädt die App direkt bei der Installation mit herunter, danach funktioniert die Orientierung ohne weiter Serverabfrage. So wird eine anonyme Navigation möglich.
Großen Wert auf Anonymität legen auch die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen (IIS) in Nürnberg. Ihr System namens Awiloc basiert auf WLAN-Fingerprinting. Auch hier lädt das Smartphone die nötigen Referenzdaten herunter und verarbeitet sie lokal. Die Datenmenge ist laut Technologieexpertin Karin Loidl vergleichsweise gering: Die Funklandschaft einer ganzen Innenstadt macht etwa einen Megabyte aus. Mit vier bis fünf WLAN-Basisstationen in Reichweite schafft das System eine Genauigkeit von drei bis vier Metern, bei einer höheren Dichte oder speziellen Antennen auch mehr.
Wie Awiloc in der Praxis funktioniert, probiere ich im Nixdorf-Computermuseum in Paderborn aus. Leider gibt es hier keine App, stattdessen muss ich mir für zwei Euro ein HTC-Smartphone mit vorinstalliertem Multimedia-Guide ausleihen. Die Dame hinter der Theke warnt mich noch – die Geräte seien ziemlich unzuverlässig. Und tatsächlich: Der erste Guide streikt schon nach wenigen Metern, erst ein Austauschmodell hält alle 22 Stationen durch.
Von jeder Station aus leitet mich eine freundliche Frauenstimme zur nächsten. Sie gibt Anweisungen wie: "Gehen Sie vom Podest runter und halten sich dann links. An der großen Vitrine hören Sie wieder von mir." Auf dem Display erscheint gleichzeitig ein Foto der Vitrine, garniert mit einem dicken Pfeil. An den Zwischenzielen sollte ich eigentlich die nächsten Hinweise bekommen. Das klappt nicht immer: Manchmal meldet sich die Stimme fünf Meter zu früh, manchmal gar nicht. Abgesehen davon funktioniert die bebilderte Schnitzeljagd jedoch recht reibungslos.
Eine klassische Kartendarstellung mit meiner Position vermisse ich nicht. Marc Schelewsky, Fachgebietsleiter für mediengestützte Mobilität bei der Berliner Forschungsfirma Innoz, sieht das ähnlich: "Beim Autofahren hat man sich an Karten gewöhnt, aber in Gebäuden orientiert man sich anders." Bilder und Ansagen als Wegweiser hätten den Vorteil, "dass nicht massenhaft Leute mit dem Kopf über dem Smartphone durch einen überfüllten Bahnhof gehen und sich gegenseitig die Köpfe einrennen."
Auch die Gründer der Navvis GmbH, einem Spin-off der TU München, setzen auf die Navigation per Bild – allerdings in einem weit fundamentaleren Sinne. Sie haben einen Trolley für Laserscanner und Rundum-Kameras gebaut, den sie wie einen Einkaufswagen durch die Gänge schieben können. Dabei erzeugen sie ein 3D-Modell des Gebäudes. Dessen Daten landen komprimiert in einer digitalen Bibliothek, die vom Handy heruntergeladen wird. Für die etwa 6000 Quadratmeter des Innenstadt-Campus der TU München macht das etwa sechs Megabyte aus. Filmt die Handykamera nun einen bestimmten Gang, erkennt eine Software auf dem Smartphone, wo sich der Nutzer befindet und in welche Richtung er schaut. So können beispielsweise Wegweiser oder Richtungspfeile direkt ins LiveBild eingeblendet werden.
Nur: Wer möchte schon jedes Mal eine neue App installieren, um sich in einem unbekannten Gebäude zurechtzufinden? Die Ituma GmbH mit Sitz in Solingen setzt deshalb auf ein Ortungssystem, das ohne Apps funktioniert. Es basiert auf WLAN-Trilateration, die Navigation erfolgt ebenfalls über Bilder. Ein Kunde muss sich lediglich mit dem WLAN verbinden, die Nutzungsbedingungen akzeptieren und den Browser öffnen. Dann allerdings kann der Händler jeden Schritt nachverfolgen. In diesem Jahr gehen laut Ituma-Geschäftsführer Simon Marg zwei bis drei große Einzelhändler mit dem Ituma-System online, es wird beworben durch Anreizprogramme oder Gutscheine. Die Berliner 1000 Hands AG hat mit ähnlicher Technik bereits im vergangenen Jahr einen Berliner Kaiser's-Supermarkt ausgestattet.
Fazit: Es gibt Ortungstechniken, die anonym sind, und welche, die ohne eigene Apps auskommen – aber nicht beides gleichzeitig. Es zeichnet sich ab, dass Kunden sie kaum werden nutzen können, ohne zur Zielscheibe für Werbung zu werden. Selbst Leuten, die mit Indoor-Ortung ihr Geld verdienen, wird das zu viel. "Es kann nicht sein, dass dauernd das Handy bimmelt, wenn ich einen Laden betrete", meint Ituma-Geschäftsführer Marg. Die Anbieter sollten sich stattdessen überzeugende Angebote einfallen lassen, um ihren Kunden die Ortung schmackhaft zu machen. "Das darf keine reine Werbung sein, sondern ein Kanal, der den Kunden Mehrwert bietet. Wenn Nutzer ein Einkaufszentrum betreten, suchen sie ja keinen Ort, sondern bestimmte Produkte oder Dienstleistungen."
Marktforscher Himmelreich ergänzt: "Für die Akzeptanz wird es entscheidend sein, dass Unternehmen dem Kunden erstens verständlich klarmachen, welche Daten er preisgibt, und ihm zweitens echte Relevanz und Begeisterung bieten", so Himmelreich. "Das wird nicht allen gelingen, sodass es sicherlich zu Fällen kommen wird, die den Kunden nerven." Dieser schaltet dann WLAN und Bluetooth ab und nimmt lieber Irrwege in Kauf. Die allerdings werbefrei. (grh)