Neurocosmetics: Hype um neuartige Cremes, die aufs Gehirn wirken

In den USA ist ein neuer Trend im Kosmetikregal angekommen: Hautpflegeprodukte sollen neuroaktiv sein. Forscher sind skeptisch – und warnen.

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Glücklich durch Kosmetik?

Glücklich durch Kosmetik?

(Bild: Christo / Shutterstock)

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Ein Serum, das die Stimmung aufhellt? Eine Gesichtsmaske, die den Träger erholsamer schlafen lässt? Oder wie wäre es mit einem ätherischen Öl, dass die Erzeugung von Endorphinen im Gehirn anregt? All diese Produkte gehören zu einer neuen Hype-Kategorie namens Neurocosmetics, die insbesondere in den USA immer mehr Käufer findet – dort, wo Produkte zudem oft einfacher zugelassen werden (oder erst gar keine Zulassung benötigen), als in der Europäischen Union.

Die Grundidee dabei ist, dass die Haut mit ihren rund 1,8 Quadratmetern Fläche nicht nur das größte Organ des Körpers ist, sondern sie sich auch hervorragend eignet, um Wirkstoffen einzubringen. Die Medizin weiß das seit vielen Jahren. So erhalten Schmerzpatienten lang wirkende Opioide über Pflaster verabreicht – oder Raucher auf Entzug ihr Nikotin. Die Haut schützt uns, ist aber auch durchlässig. Und das wollen Start-ups aus dem Bereich Neurocosmetics für sich nutzen.

Das Start-up Murad behauptet beispielsweise, dass die Hautpflegeroutine auch dazu dienen könne, die Gehirnfunktion zu verbessern. Außerdem könnten ständige Entzündungen der Haut, denen die Produkte entgegenwirken sollen, Erkrankungen wie Alzheimer, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen beeinflussen. "Ihr Körper besteht aus miteinander verbundenen Systemen, was bedeutet, dass sich die Pflege eines Systems positiv auf den gesamten Körper auswirkt."

Hautpflegeprodukte seien eine "Schutzschicht". "Gleichzeitig sendet die Hautpflege auch beruhigende Botschaften an Ihr Nerven-, Immun- und Hormonsystem." Alles sei in der heutigen Ära "Neuro", meinte die Soziologin Amina Mire von der Carleton University gegenüber dem Magazin "The Atlantic", das sich kürzlich mit dem Trend beschäftigt hat. Eine Firma namens CAP Beauty hat einen "Serotoner" im Angebot, der einen Vorläuferstoff von Serotonin enthalten soll, um einen "fröhlicher aussehenden" Hautton zu erzeugen.

Das Unternehmen Selfmade wiederum kombiniert Feuchtigkeitscreme mit einem paartherapeutischen Buch, um "besser mit sich selbst zurechtzukommen" und "negative Erfahrungen besser zu verarbeiten". Dessen Chefin meint, dass die Produkte zwar nicht unbedingt lang anhaltende psychologische Effekte haben, doch zumindest bei Problemen mit dem Selbstbild. Was allerdings auch jegliche andere Form von Kosmetik oder Schminke haben kann, ohne dass sie das "Neuro"-Label trägt.

Ein weiteres Problem bei all diesen Werbebotschaften: Sie sind nicht oder nur mit geringer wissenschaftlicher Evidenz belegt. Die meisten Versuche werden entweder an Tieren oder Zellkulturen durchgeführt. Es sei etwas anderes, eine Substanz auf eine Zelle aufzubringen als auf die Haut, die eben nicht alle Stoffe durchlässt, so die Kosmetikchemikerin Kelly Dobos gegenüber The Atlantic. Zudem würden deutlich höhere Konzentrationen aufgebracht, als die man beim Menschen verwenden würde. Das sei nicht realistisch. Hinzu kommt, dass man quasi jedem typischen Kosmetikinhaltsstoff ein "Neuro" aufsetzen kann, sei es die bekannte Hyaluronsäure, Vitamine wie E oder C oder Retinol.

"Einiges davon ist eine Folge von allem, das heutzutage mit psychischer Gesundheit zu tun haben soll", so die Neurowissenschaftlerin Claudia Aguirre gegenüber dem Magazin Allure. Natürlich könnte eine gute Hautpflege dazu führen, dass man sich besser fühlt. "Sie müssen nur wissen, dass sie Ihr Gehirn nicht wirklich verändern." Denn dafür benötigten die entsprechenden Produkte sicherlich auch eine medizinische Zulassung, samt Verordnung – was sie im Kosmetikregal schlichtweg nicht haben, selbst wenn man in der Apotheke kauft. Junge Menschen könnten zudem beginnen, Hautprobleme, die mit ihrer Entwicklung einhergehen und eigentlich ganz normal sind, mit psychischen Problemen zu korrelieren, nach dem Motto: Problemhaut trifft auf Problemgehirn. Das gilt es unbedingt zu vermeiden, sagen Psychologen. Selbstverwirklichung, wie auch immer sie durchgeführt wird, verkauft sich natürlich gut. Und neu ist der Trend auch nicht: Seit Jahren schon vermarkten Firmen etwa CBD-Öl, als ob es psychotrope Eigenschaften hätte – und auf die Haut auftragen kann man es auch.

(bsc)