ÖPNV: Fahre und teile

Seite 2: Akteure vor Ort einbinden

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Genau auf diese Zielgruppe hat sich das Berliner Start-up door2door spezialisiert. Anders als CleverShuttle will es Ridesharing nicht in Eigenregie betreiben, sondern in erster Linie Verkehrsverbünden eine IT-Plattform zur Verfügung stellt. Über diese Plattform können die Betreiber dann Parameter wie die maximal erlaubten Umwege selbst einstellen. Lediglich in Berlin betreibt door2door unter dem Namen allygator einen eigenen Service mit 10 bis 30 Wagen, die nur am Freitagabend fahren – als Schaufenster und Experimentierfeld. Da er nicht gewinnorientiert arbeitet, kommt er ohne Genehmigung aus.

"Es ist ganz entscheidend, die existierenden Akteure vor Ort einzubinden", sagt Mitgründer und COO Tom Kirschbaum. "Wenn die Behörden sehen, dass man den ÖPNV nicht kannibalisiert, sind sie bereit, die Klauseln weit auszulegen." Den Anfang macht die 7500-Einwohner-Stadt Freyung im Bayerischen Wald. Ab September sollen dort acht Kleinbusse per App herbeigerufen werden können. Betreiber ist die Stadt selbst, die Aufträge an lokale Bus- oder Taxiunternehmen vergibt. "Hier ist es mittelfristig die Idee, auch den Landkreis einzubeziehen, zum Beispiel für den Weg in die Disco", sagt Kirschbaum. Damit will door2door beweisen, dass Ridesharing auch im dünn besiedelten Raum funktioniert. Laut Kirschbaum haben bereits 40 ländliche Regionen ihr Interesse angemeldet.

Im Herbst soll sich das Modell auch in einer Großstadt beweisen. Die Duisburger Verkehrsgesellschaft will mit fünf bis zehn Kleinbussen die Innenstadt inklusive Uni-Viertel bedienen. Die Testphase ist bis Ende 2019 angelegt, Pionier des Konzepts war Helsinki. Fahrgäste konnten dort 15 staatliche "Kutsuplus"-Minibusse per App anfordern, um sich von Tür zu Tür bringen zu lassen. Allerdings wurde der Pilotversuch 2016 nach drei Jahren wieder eingestellt. Es waren zu wenig Busse in einem zu großen Gebiet unterwegs, was zu langen Wartezeiten führte.

Wird es in Duisburg ähnliche Probleme geben? "Wir kennen das Projekt in Helsinki sehr gut und können eine Menge davon lernen", sagt Kirschbaum. "Es hat den Weg in die richtige Richtung gezeigt, aber nicht alles richtig gemacht." Dank der eigenen Erfahrungen mit allygator sei man in der Lage, das Verhältnis zwischen Flotte und Größe des Gebiets genau zu modellieren. Um die Wartezeiten kurz zu halten, sind während der Testphase zunächst sowohl das Gebiet als auch die Betriebszeiten begrenzt.

Die meisten solcher Ridesharing-Projekte laufen unter einer Experimentierklausel des PBefG, die auf drei bis vier Jahre befristete Versuchsprojekte erlaubt. Doch was ist danach? Kirschbaum ist zuversichtlich, dass sich die Regulierung bis zum Auslaufen der jetzigen Versuche lockern wird: "Ich gehe nicht davon aus, dass wir einen völlig liberalen Markt haben werden – aber ich bin fest davon überzeugt, dass der Gesetzgeber mehr Flexibilität erlauben wird."

Verkehrsforscher Knie ist da nicht so optimistisch: "Wir haben eine ganz große Verteidigungslobby, vor allem die Taxiverbände und der öffentliche Nahverkehr." Die Kommunen spielen dabei eine Doppelrolle: Sie sind oft Eigentümer ihrer Verkehrsbetriebe und gleichzeitig für die Genehmigung neuer Dienste verantwortlich. Entsprechend zögerlich reagieren sie oft. Knie: "Die Experimentierklausel findet im Prinzip nicht statt. Die Kommunen haben Angst, dass der Geist nicht mehr in die Flasche kommt, wenn sie ihn erst befreit haben."

Ob diese Angst berechtigt ist, lässt sich mangels Daten bisher nicht abschließend klären. Die Erkenntnisse aus New York dürften sich nur begrenzt auf andere Städte oder gar auf ländliche Gegenden übertragen lassen. Eine Studie der American Public Transit Association kommt aber zum Schluss: "Shared Modes ersetzen eher Pkw-Fahrten als Fahrten mit dem ÖPNV."

Das International Transport Forum (ITF) warnt allerdings: Flexible Sharing-Dienste können schlechte öffentliche Verkehrsangebote auf die Dauer nicht retten. Der Hamburger Verkehrsforscher Andreas Kossak sekundiert: "Ob die Nahverkehrswirtschaft davon profitiert oder eher kannibalisiert wird, hängt von der Positionierung der Angebote ab."

Noch komplizierter wird die Lage dadurch, dass immer mehr unterschiedliche Akteure in den Markt drängen. In Portugal hat laut Kirschbaum ein Mautbetreiber sein Interesse an der door2door-Software bekundet, ebenso wie Audi. Konzernmutter Volkswagen hat Anfang Juni die Plattform des finnischen Kutsuplus-Projekts übernommen.

Die neue Tochterfirma Moia will damit einen eigenen Ridesharing-Service aufziehen. Gemeinsam mit der Hamburger Hochbahn soll es 2018 mit 200 Elektro-Shuttles losgehen. Mitte Juli stieg die Daimler-Tochter EvoBus mit einer Minderheitsbeteiligung bei CleverShuttle ein. Konkurrent Ford hat 2016 in den USA den Ridesharing-Dienst Chariot gekauft. BMW ist Partner beim französischen Start-up Hupp, das Fahrten zum Arbeitsplatz bündelt. Auch das Taxigewerbe zieht nach: Der deutsche Taxi- und Mietwagenverband will im Herbst eine eigene App zum Ridesharing launchen.

Diese Vielfalt kann einen sinnvollen Wettstreit um die beste Lösung bedeuten. Um ihn zu befördern, empfiehlt das ITF den Kommunen, ihre Rolle zu überdenken: Sie sollen sich vom Betreiber und Regulierer zum Besteller wandeln, der Transportaufträge vergibt. Geschieht dies nach einheitlichen Maßgaben wie der durchschnittlichen Wartezeit, kristallisieren sich die besten Anbieter heraus. Als positives Beispiel nennt das ITF die IT-Plattform FlexDanmark. Mehrere dänische Verkehrsbetriebe haben sie gemeinsam geschaffen, um Angebot und Nachfrage nach Transportdienstleistungen zu bündeln.

Die Kommunen schreiben ihren Bedarf aus, und Taxi- und Busunternehmen bieten um den Zuschlag. Dadurch werden die vorhandenen Kapazitäten besser ausgenutzt, und die Preise sinken. 2015 konnte die Plattform knapp fünfeinhalb Millionen Fahrten vermitteln.

Mehr Regulierung ist für InnoZ-Forscher Andreas Knie jedenfalls keine Lösung: Das Personenbeförderungsgesetz  habe vor allem dazu beigetragen, Branchen wie das Taxigewerke "kaputtzuregulieren". Knie: "Alle unternehmerischen Elemente, mit denen man sich differenzieren kann, unterliegen der Kontrolle. Wer glaubt, dass die Regulierung ihn schützt, wird verlieren." (grh)