Offener Kern, geschlossenes Herz?

Seite 2: Die erste Freie-Software-Firma

Inhaltsverzeichnis

Die Idee einer Firma, die freie Software verkauft, ist schon alt. John Gilmore, David Vinayak Wallace und Michael Tiemann (jetzt Vorstandsvorsitzender der OSI) starteten bereits 1989 – zwei Jahre bevor Linus Torvalds sein neues Betriebssystem Linux auf comp.os.minix ankündigte und neun jahre vor der Gründung der Open Source Initiative (OSI) – mit Cygnus Support (später Cygnus Solutions) die erste Firma, die sich der Verbreitung und Unterstützung freier Software widmete. Laut John Gilmore trug das erste T-Shirt von Cygnus die Aufschrift "We make free software affordable" ("Wir machen freie Software bezahlbar").

Cygnus wurde zu einem wichtigen Contributor für das GNU-Projekt und für Linux. Die Firma wurde später reichlich belohnt für den radikalen (und in den Augen vieler unintuitiven) Schritt, Software, die ausschließlich unter freien Lizenzen stand, zu vermarkten: 1999 übernahm Red Hat Cygnus, inzwischen eine Firma mit mehr als 120 Beschäftigten und jährlichen Einkünften von zwanzig Millionen US-Dollar, für über 600 Millionen Dollar. Diejenigen, die seit der Anfangszeit dabei waren, wurden durch die Übernahme zu Millionären.

"Auf den ersten Blick", schrieb Tiemann über seine erste Begegnung mit freier Software, "liest sich das GNU Manifest wie eine sozialistische Streitschrift. Ich sah aber etwas anderes, nämlich einen getarnten Business Plan. Die Grundidee war einfach: Open Source würde die Bemühungen von Programmierern überall auf der Welt vereinen; und Firmen, die kommerzielle Dienstleistungen (Anpassungen, Verbesserungen, Bug-Fixes, Support) dazu anbieten, könnten sich die Kostenvorteile zunutze machen."

In dem gleichen Artikel fährt Tiemann fort: "Anfangs argumentierte ich wie Stallman und hob die Vorzüge von Open Source hervor. Ich erzählte Interessenten dann, wie die Freiheit, Software gemeinsam weiterzuentwickeln, zu mehr Innovation bei geringeren Kosten führt. Und immer bekam die ich gleiche Antwort: Eine tolle Idee, aber sie wird nicht funktionieren. Denn niemand wird für freie Software bezahlen. Nach zwei Jahren, in denen ich meine Argumentation verfeinerte und immer mit diesem Einwand konfrontiert wurde, hatte ich meine zweite Einsicht: Wenn alle meinen, die Idee sei toll, dann ist sie es vermutlich auch. Und wenn niemand glaubt, dass es klappt, dann habe ich keine Konkurrenz!".

Cygnus wurde zu einem wichtigen Support-Dienstleister für eine ganze Reihe von Open-Source-Anwendungen in den verschiedensten Branchen. Zu den größeren Kunden gehörten Intel, AMD, 3Com und Adobe. Gilmore dazu: "Letztendlich bekamen wir doch Millionen-Verträge, etwa den Auftrag von Sony für die Entwicklung von Compilern und Emulatoren für die Playstation. Damit konnten Spiele-Enwickler schon ein Jahr, bevor die Hardware verfügbar war, mit ihrer Arbeit anfangen."

Es ist nicht schwierig zu erkennen, worin der Reiz liegt, ein Geschäft rund um Open Source aufzubauen. Andrew Lampett, Business Development Director bei dem BI-Anbieter JasperSoft, legt in seiner Definition von Open Core dar, wie Hersteller von dem lebendigen Ökosystem rund um Open-Source-Software profitieren können. Das Problem besteht darin, Einkommensquellen zu erschließen.

Kunden bezahlen nur dann für Wartung, Unterstützung oder Schulung, wenn sie den Nutzen dieser Dienstleistungen für sich erkennnen. Bei Open Source findet ein Anwender mit einem Problem aber häufig den direkten Weg zu dem zuständigen Entwickler und bekommt so schnell (und kostenlos) die benötigte Unterstützung. Wenn der kostenpflichtige Support eines Open-Source-Anbieters nicht gut genug ist (oder ein Unternehmen über die nötigen Ressourcen verfügt), kann die Software zudem kostenlos heruntergeladen und eingesetzt werden.

JBoss nennt Download-Zahlen im Millionenbereich. Zwar führt nur ein Bruchteil davon zu zahlenden Kunden, aber freie Downloads sorgen immerhin für Gratiswerbung, bringen künftige Entwickler und potenzielle Kunden und regen zu Feedback an. Und auf lange Sicht ist es günstiger, JBoss dafür zu bezahlen, die Software zu pflegen, als einen Spezialisten anzuheuern, die diese Aufgabe übernimmt.

Die Tage von Gates und Ellison, als Software der Weg zu unermesslichem Reichtum bedeuten konnte, sind – vielleicht für immer – vorbei. Nicht nur durch den Einfluss freier Software, sondern weil das Entwicklungstempo in der IT so hoch liegt, dass der Langzeitwert von Software praktisch bei Null liegt. Das Highlight vom vergangen Jahr ist schnell zum Alltagsprodukt geworden oder überholt.

Eine echte Open-Source-Firma wird ihr Ökosystem pflegen und dadurch relativ niedrige Kosten haben. So ergeben sich Möglichkeiten für eine konkurrenzfähige Preisstrategie. Der Preis für diesen Vorteil: Das Unternehmen muss die Open -Source-Prinzipien einhalten. Das ist Vertrauenssache.