Online-Spiele, die die Welt verändern

Seite 2: Online-Spiele, die die Welt verändern

Inhaltsverzeichnis

Wie die früheren Briefromane gibt ein ARG niemals zu, dass es künstlich ist. Eine der Hauptregeln des Spiels ist es, dass man es als Realität wahrnimmt und niemand hinter den Vorhang schaut. Die Puppenspieler im Hintergrund geben sich erst am Ende zu erkennen.

Die frühen Briefromane machten aus Lesern Möchtegerndetektive oder Amateurpsychologen. Geschehnisse in der Geschichte mussten aus verschiedenen Fragmenten, die sich manchmal widersprachen, zusammengesetzt werden. Schon bald entstanden Gruppentreffen, bei denen die Leser ihre Notizen über Personen und Situationen miteinander austauschten. Bei ARGs wird ebenfalls viel debattiert, es kommt zu einer kollektiven Interpretation der Ereignisse. Dabei leben wir in einer Gesellschaft, die erst damit beginnt, mit dem zu experimentieren, was der Cyber-Theoretiker Pierre Levy "kollektive Intelligenz" nennt.

Das ist nichts komplett Neues - in früheren Formen von kollektiver Intelligenz haben Leute gemeinsam imaginäre Gesellschaften gegründet und Beziehungen geschaffen, die sich auch in der echten Welt fortsetzten. Auch andere Geheimnis-Jagden nach dem ARG-Muster hat es schon gegeben: Bücher, deren Reiz darin lag, dass sie Hinweise auf Objekte irgendwo in der realen Welt enthielten. ARGs aber gehen einen Schritt weiter. Sie sind so gestaltet, dass sie nur dann gelöst werden können, wenn die Mitspieler in großer Zahl ihre Köpfe zusammenstecken.

Viele der frühen Romanciers (etwa Charles Dickens) verfassten ihre Werke in Serien-Form. So konnten sie Reaktionen des Publikums in den weiteren Folgen berücksichtigen. Auch die Leute hinter einem ARG reagieren auf die Spieler. Manchmal müssen sie ein Rätsel leichter machen, viel öfter aber schwerer. Einer viel erzählten Anekdote zufolge lösten die Spieler bei "The Beast" eine Rätsel-Serie, die einen ganzen Monat lang halten sollte, innerhalb eines einzigen Tages.

McGonigal beschreibt eine Reihe von Strategien, wie sie und die anderen Spiel-Designer bei ilovebees sicherstellten, dass ein Rätsel nicht von Einzelpersonen oder isolierten Gruppen gelöst werden kann: Bestimmte Informationsfragmente werden per Zufall unter den Spielern verstreut, die dann ihre Einzelteile kombinieren müssen, um das Rätsel zu lösen. Das Spiel erforderte manchmal die Beherrschung wenig verbreiteter Sprachen, vergessener Codes oder anderer esoterischer Dinge, so dass kein einzelner Spieler das komplette nötige Fachwissen haben konnte. Andere Aufgaben wurden so gestaltet, dass die notwendigen Aktionen niemals von einer einzelnen Person gleichzeitig ausgeführt werden konnten. Aus den Teams wurden "Smart Mobs", die mit Handys und anderen Technologien zur mobilen Kommunikation verbunden waren.

ARGs sind aber mehr als High-Tech-Schnitzeljagden. Ein gutes ARG verändert die Art, wie ein Teilnehmer über seine reale wie virtuelle Umgebung denkt. "Die richtig aufwendigen Spiele machen den Spieler misstrauischer und aufmerksamer - auch im täglichen Leben", schreibt McGonigal in einem Essay, das sie im Internet publiziert hat. "Ein gutes ARG lässt Spiel-Muster in Bereichen erkennen, die mit dem Spiel nichts zu tun haben; diese Muster zeigen dann, wo die Gelegenheit zum Eingreifen besteht."

Die frühen Briefromane riefen Kritiker auf den Plan, die befürchteten, dass die Leser Wahrheit nicht mehr von Fantasie unterscheiden könnten und sich zu sehr auf die Probleme fiktionaler Personen konzentrieren würden. Heute ist es nicht anderds: ARG-Kritiker warnen davor, dass die Spieler nicht mehr aus der Scheinwelt herausfinden könnten. McGonigal und andere entgegnen, dass solche Kritiker den Spielern keinen Gefallen tun. Diese täten doch nur, was Leser oder Theaterbesucher schon immer getan hätten - sich freiwillig für eine Zeitlang in eine fiktionale Welt begeben. "Bei uns gibt es Killerroboter und Häuser mit Emotionen", sagt Steward, "wie kann man das mit der Realität verwechseln?"