Online-Wahlkampf in Pandemie-Zeiten: Politiker tapsen durch soziale Medien

Pandemie-bedingt werden Wahlkämpfe 2021 noch digitaler ausfallen als gewohnt. Sind Politiker dafür gerüstet, droht eine Verzerrung oder entscheiden Handlungen?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Soziale Medien / Soziale Netzwerke / Social Media

(Bild: Lenka Horavova / Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Dr. Christian Schwarzenegger
Inhaltsverzeichnis

Einen normalen Wahlkampf wird es in diesem Jahr nicht geben. Damit reiht sich auch das Wahlwerben der Parteien um die künftige Vorherrschaft im Bundestag und die Kanzlerinnenschaft in die vielen Dinge ein, die es aktuell nicht in gewohnter Form geben kann. Eventuell ist der Wahlkampf dabei jenes Stück Normalität, auf das man mit dem geringsten Verlustschmerz verzichten kann. Aber ganz ohne politisches Getöse, rhetorisches Säbelrasseln und tollkühne Zukunftsversprechen wird das Jahr trotzdem nicht vorübergehen, auch wenn Bratwurst, Freibier und Stimmungsreden als Stilmittel der Mobilisierung ausfallen. Als Alternative bleiben das Netz und die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. Was lässt das für den langsam Fahrt aufnehmenden Vorwahlsommer erwarten? Eine Überlegung in Schlaglichtern.

Da wir schon bei der Bratwurst waren: Der Wahlkampf wird wohl kein Leckerbissen. Ein berufener Zeuge dafür, dass die Erwartungen an die Qualität des digitalen Wahlkampfs nicht zu hochgesteckt werden sollten, ist vermutlich unfreiwillig Thüringens Ministerpräsident. Dieser hatte erfrischend freigiebig von seinen misslichen Erfahrungen mit Videokonferenzen berichtet, indem er im Frühstücksfernsehen kundtat, sechs Stunden vergeblich gewartet zu haben, ob die MitdiskutantInnen in der Ministerpräsidentenkonferenz aus der 15-minütigen Pause wohl wieder zurückkehren werden. Internet ist auch Jahre nach dem legendären Merkelwort vielfach immer noch ‚Neuland‘ und für Teile der Politik in einem Maße terra incognita, wie es sich der zum Distant Learning vergatterte Erstsemester oder Unterstufenschüler nicht erlauben dürfte. Sei es, weil der nächste Termin früher drückt, das Geschwisterkind auch mal an den Rechner muss oder die heimische Internetverbindung nicht solange stabil bleibt.

Ein Gastbeitrag von Christian Schwarzenegger

Dr. Christian Schwarzenegger forscht zu Medien- und Öffentlichkeitswandel an der Universität Augsburg, derzeit auch als Gastprofessor in Salzburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört der Wandel alltäglicher Kommunikationspraktiken angesichts der Digitalisierung.

Wahlkampf digital in Deutschland. Das wird ein bisschen wie das Äquivalent der Klassenfahrt aus der Provinz in die große Stadt – mit viel Überzeugung und Selbstvertrauen, aber zur Fremdscham jener, die sich dort sonst rumtreiben und da zuhause sind. Digitales Landungsklatschen inbegriffen.

In sechs Stunden ließe sich auch eine Menge debattieren und sorgfältig abwägen, wohin das Land steuern soll. Wird uns ein Wahlkampf, der noch stärker auf das Digitale setzen muss, eine vielschichtige inhaltliche Debatte mit gut durchdachten Argumenten bringen? Das Ideal der deliberativen Öffentlichkeit – also des rationalen abwiegenden Diskurses, in dem alle Positionen zu Gehör kommen und sich die beste Lösung durchsetzt, rein dem Zwang des besseren Arguments verpflichtet, wie das bei dem Soziologen Jürgen Habermas heißt – wurde in den frühen Tagen des Internets noch als kurz vor seiner Verwirklichung angesehen.

Heute wissen wir, dass man oft nicht weiter von einem vernunftgeleiteten Diskurs entfernt sein könnte als in einer Online-Diskussion. Stattdessen beobachten wir stark von Affekten getriebene und auf Affektbewirtschaftung, also die Bedienung und das Schüren von emotionsgeladenen Impulsen gerichtete Kommunikation. Unterschiedliche Meinungsbilder stehen sich dann bisweilen zumindest vermeintlich unversöhnlich nicht nur polarisiert gegenüber. Sofern sie nicht ohnehin auf getrennten Plattformen formuliert werden, können sie sich auch durch große Einigkeit nach Innen bestärken und gegenüber Einwürfen von außen immunisieren. Gerade während eines Wahlkampfs, den der ehemalige Bürgermeister Wiens Michael Häupl (schon vor Social Media!) einmal eine „Zeit fokussierter Unintelligenz“ nannte, wird da nicht ausgerechnet der große Umschwung zu erwarten sein.

Die Medialisierung der Politik, also die Anpassung der politischen Kommunikation an die Erfordernisse ihrer medialen Transportierbarkeit (Zuspitzung, Kürze, Prägnanz, Shareability) kann hier sogar noch einen weiteren Schub erfahren. Für langes Reden und üppiges Räsonieren ist die meist schnelle und oft stakkatohafte Onlinekommunikation nicht unbedingt ausgelegt oder das Publikum nicht mehr – Zoom Fatigue lässt grüßen – hinreichend geduldig. Damit droht schlimmstenfalls eine Wahlauseinandersetzung, deren Komplexitäts- und Themengehalt über „Kann Sie’s denn doch?“ und „Kann er’s wirklich nicht?“ nur minimal hinausreichen könnte.

Allerdings kommt für Wahlwerbende aller Couleur unter diesen Bedingungen eine besondere Komponente mit hinzu: Wenn Wahlauftritte und Wahlbotschaften auf Social Media geteilt, gestreamed oder verfasst werden, dann ist man dabei nicht unter sich mit seinen Parteigängerinnen, mit Gleichgesinnten und solchen, die es werden sollen. Stattdessen steht man unter Beobachtung durch und inmitten von einem Resonanz-starken Umfeld. Kommentare und Reaktionen arbeiten mit an der Botschaft, können sie bestärken oder negieren, manchmal auch platzen lassen und der Lächerlichkeit preisgeben. Sie werden damit aber auch ein Teil der inszenierten Wahl-Choreographie. Wer auf Social Media Plattformen oder in Onlinekommentaren nach repräsentativen Abbildern des Meinungsklimas sucht, ist ohnedies schlecht beraten; das wird im Wahlkampf noch vermehrt gelten, wenn viel Energie auf das Bereitstellen von digitalen Claqueuren wie auch abstrafenden Daumensenkern verwendet werden wird.

Das ist aber nicht nur für WählerInnen problematisch, die sich online einen Eindruck von der Stimmungslage verschaffen möchten, sondern auch für die politischen Akteure selbst. Diesen kann durch die fehlenden Möglichkeiten des Kontakts vor Ort – das sprichwörtliche Klinkenputzen bei Wählerinnen und Wählern – vielleicht noch mehr als sonst wichtige Resonanz aus der Bevölkerung, abhandenkommen. Gerade von jenen, die sich nicht auf Social Media tummeln und nicht permanent online sind, aber in großen Zahlen zur Wahl gehen.

Die fehlende Möglichkeit zum Bad in der Menschenmenge wird nicht nur das Virus unfroh stimmen, sondern kann zu einer Schwierigkeit für Kandidatinnen werden. Auch für solche, die eigentlich nicht für mitreißende und charismatische Auftritte bekannt sind. Wer blass und unbeholfen wirkt, der kommt über einen digitalen Screen nicht unbedingt besser weg. Aber schon manche tapsige Persönlichkeit konnte nach einem Wahlkampf-Event, das mit Eye of The Tiger eingepeitscht wurde und nach bierseligen Reden irgendwann bei We are the Champions endete, als echte Alternative für höchste Ämter erscheinen. Kollektiverlebnisse vernebeln nicht nur bisweilen die Urteilskraft, sie können auch verzücken und mobilisieren.

Einen kurzen Moment der Hoffnung, darauf mit langen drögen Reden vielleicht doch ein aufnahmewilliges und leicht zu verzückendes Ohr zu finden, brachte Anfang des Jahres der heftige aber kurze Hype um Clubhouse mit sich. Allerdings zeigte sich schnell, dass sowohl das auf Distinktion setzende Zugangskonzept als auch das Nischensdasein der Plattform wenig geeignet sein dürfte, um über dieselben – dort natürlich nur zu Recherchezwecken verkehrenden – JournalistInnen oder jene digitalen Pioniergruppen und vermeintlichen Vorreiter, die man ohnedies schon aus der Twitter-Bubble kennt und dort (nicht) zu schätzen weiß, hinaus WählerInnen zu erreichen. Ein alternatives Publikum erreicht man dort kaum und journalistische Beiträge über „Clubhouse im Wahlkampf“ sind spätetens im Februar verebbt.

Stichwort alternativ. In der kommenden Wahlauseinandersetzung wird auch das Umfeld der oft selbst ernannten alternativen Medien und der sogenannten alternativen Sozialen Medien im Blick zu behalten sein. Unter letztere würde etwa der Messenger-Dienst Telegram fallen, der seit vergangenem Jahr viel Aufmerksamkeit gefunden hat. Diese war – anders als in anderen Ländern, in denen er gerade auch als Plattform sicherer widerständiger Kommunikation von Oppositionsgruppen demokratiepolitisch positiv aufgefallen ist – vor allem bezüglich seiner Rolle bei der Verbreitung von Verschwörungsmythen und Falschinformationen rund um die Covid-19-Pandemie Thema geworden.

Durch die Resonanz, die Aktivitäten von prominenten Aushängeschildern wie Xavier Naidoo, Attila Hildmann und Michael Wendler verursachte, popularisiert, ist Telegram zu einem Aushängeschild für Kommunikation geworden, die anderswo zunehmend von Social Media Plattformen verbannt oder zumindest als „fragwürdiger Inhalt“ markiert wird. Also auch eine Art widerständige Gegenöffentlichkeit gegen ein Unterdrücker-Regime – nur halt mehr eine eingebildete.

Die kritisch distanzierte Haltung mit der die deutsche Medienöffentlichkeit gegenüber Diensten wie Telegram berichtet, kann trotzdem als einseitig überschießend gesehen werden: eine willkommene Drohkulisse einer Kommunikation, die Journalismus und seine kritische Kontrollfunktion umgeht und daher böse zu sein hat. Zu einem Faktor im Wahlkampf kann der Kanal neben seiner Funktion als Sammelbecken für Corona-Unzufriedene und Querdenker auch deshalb werden, weil die Aktivitäten der AfD auf Telegram in der jüngsten Zeit als deutlich zunehmend beschrieben werden. Das ist als kommunikative Umgehungsstrategie plausibel und zugleich als Versuch anzusehen, ein nicht nur inhaltliches Naheverhältnis zu Menschen aufzubauen, die an den Auswirkungen der Pandemie verzweifelt oder von den Schutzmaßnahmen gefrustet in „systemkritischen“ Gruppen zusammengekommen sind. Ob sich dort wirklich große Mobilisierungserfolge erzielen lassen werden, bleibt aber dennoch eher zweifelhaft.

Das größte Problem für den digitalen Wahlkampf liegt aber wahrscheinlich gar nicht darin begründet, was dort konkret an Maßnahmen, Aktivitäten und (un)kreativen Lösungen für Herausforderungen digitaler Kommunikation zu finden sein wird. Wie tapsig manche auf ungewohntem Terrain auftreten oder wie geschmeidig sie im Netz navigieren. Der eigentliche Ballast für die wahlwerbenden Parteien rührt daher, dass die Politik und die Folgen von Politik augenblicklich sehr konkret im Alltagsleben der Menschen zu spüren sind und seit über einem Jahr politische Versprechen, deren Belastbarkeit und Halbwertszeit in Dauerschleife in die Lebensführung eingreifen und online heftig debattiert werden. Fast egal, ob das aktuelle Glaubensbekenntnis „No Covid“ oder „Alles aufmachen“ lautet.

Politik ist durch die Pandemie zu etwas geworden, das sich nicht mehr vorstellen lässt, als das was irgendwo in Berlin passiert und mit uns vor Ort allenfalls abstrakt zu tun hat. Der wichtigste Faktor im Wahlkampf wird demnach vielleicht nicht das, was für die Zeit nach der Wahl versprochen wird, sondern das, was vor der Wahl konkret passiert – wie schleppend oder wie erfolgreich verläuft die Pandemiebekämpfung, wie viel Normalität ermöglichen die Impffortschritte und welche Lösungen gibt es für diejenigen, die es schwer getroffen hat und die Hilfe brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Nicht nur gesundheitlich. Aktuelle Pleiten und auch kurzfristige Erfolge können Zukunftsthemen entscheidend überlagern.

Kommende Woche Freitag lesen Sie einen Beitrag zu den juristischen Hintergründen von politischer Werbung.

(emw)