Polarlicht-Prognosen: Wann es sich lohnt, nach Norden zu schauen

Webseiten kündigen oft Polarlichter in Deutschland an. Doch wie realistisch sind diese Prognosen? Wir erklären, wann man wirklich damit rechnen kann.

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Aurora Borealis

Während man in Island regelmäßig Nordlichter bewundern darf, ist es in Deutschland eher die Ausnahme.

(Bild: mapimarf/Shutterstock.com / Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Polarlichter sind faszinierend. Doch während sie in nördlichen Regionen wie Skandinavien oder Alaska häufiger zu beobachten sind, sieht man sie in Deutschland nur selten, wie beispielsweise im Mai dieses Jahres. Vom 7. bis 11. August gab es eine Serie von Sonneneruptionen und koronalen Masseauswürfen (CME, Coronal Mass Ejection), die einen rekordverdächtigen geomagnetischen Sturm der höchsten Stufe G5 (mehr dazu unten) ausgelöst hat. Die Folge waren nicht nur unzählige hübsche Fotos in Sozialen Netzen, sondern auch technische Herausforderungen. So mussten Satelliten ihre Umlaufbahnen korrigieren, um nicht die Kontrolle zu verlieren, wie es Intelsat im Jahr 2022 passiert ist.

Seitdem versprechen diverse Webseiten in regelmäßigen Abständen erneut die Chance, Polarlichter in Deutschland zu sehen. Doch selbst wenn die Sonne derzeit in einem Aktivitätsmaximum ihres elfjährigen Zyklus ist, darf man hierzulande nur unter bestimmten Bedingungen mit dem Naturschauspiel rechnen. Gerade jetzt stehen die Chancen dafür tatsächlich recht gut, auch wenn man die Polarlichter meist nur fotografisch zu Gesicht bekommt. So konnte man am Montag in den Morgen- und Abendstunden nicht nur am Cap Arkona, in Hooksiel oder in Vechta Nordlichter fotografieren, sondern auch in Hannover erahnen:

Polarlichter entstehen, wenn geladene Teilchen im Sonnenwind auf die Erdatmosphäre treffen. Diese Teilchen werden vom Erdmagnetfeld abgelenkt und schlagen in einem Ring um die magnetischen Pole in die obere Atmosphäre ein. Dort regen sie Sauerstoff- und Stickstoffatome zum Leuchten an, was die charakteristischen grünen und roten Farbtöne der Polarlichter erzeugt.

Kp-Index – die planetarische Kennziffer

Der Kp-Index

Der Kp-Index (planetarische Kennziffer) ist ein Maß für die Stärke von Störungen im Erdmagnetfeld. Er wird alle drei Stunden aus Messungen weltweit verteilter Magnetometer berechnet. Der Index wurde 1949 von Julius Bartels am geophysikalischen Institut in Potsdam (heute GeoForschungsZentrum, GFZ) entwickelt:

  • Kp 0-3: ruhig
  • Kp 4: aktiv
  • Kp 5: kleinerer Sturm
  • Kp 6-7: größerer Sturm
  • Kp 8-9: schwerer Sturm

Je höher der Kp-Index ist, desto weiter dehnt sich die Polarlichtzone (auch Auroraoval) um den geomagnetischen Nordpol aus. Auch wenn dieser nicht am geografischen Nordpol liegt, kann man vereinfacht sagen: Je höher der Kp-Index, desto weiter südlich können Polarlichter auftreten.

Zuverlässige Daten und Vorhersagen des Kp-Index findet man beispielsweise auf der Webseite des GFZ und beim Space Weather Prediction Center der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA)

Die Häufigkeit von Nordlichtern in verschiedenen Regionen der Welt hängt eng mit der Position des Magnetpols zusammen, der sich nicht am geografischen Nordpol befindet. Tatsächlich liegt der Magnetpol derzeit bei etwa 85,75° nördlicher Breite und 144,46° westlicher Länge. Kanada und auch die Vereinigten Staaten befinden sich in Bezug auf den Magnetpol weiter nördlich, als ihre geografische Lage vermuten lässt, Deutschland hingegen weiter südlich. Darum bekommt man die faszinierenden Lichterscheinungen in Nordamerika öfter zu sehen als in Mitteleuropa.

Die NOAA-Skala zur Klassifizierung von Sonnenstürmen​

Sonnenstürme werden nach ihren Auswirkungen auf der Erde in drei Kategorien eingeteilt:

  • R-Skala: Radiostörungen durch Röntgenblitze
  • S-Skala: Strahlungseffekte durch energiereiche Teilchen
  • G-Skala: Geomagnetische Effekte durch Plasmawolken

Jede Skala reicht von 1 (schwach) bis 5 (extrem). Für Polarlichter in Deutschland ist vor allem ein hoher G-Wert entscheidend:

G1 ("geringfügig") • Kp = 5 • Häufigkeit: 1700 pro Sonnenzyklus

G2 ("mäßig") • Kp = 6 • 600 pro Sonnenzyklus

G3 ("stark") • Kp = 7 • 200 pro Sonnenzyklus

G4 ("schwerwiegend") • Kp = 8 • 100 pro Sonnenzyklus

G5 ("extrem") • Kp = 9 • 4 pro Sonnenzyklus

Zur Erinnerung: Ein Sonnenzyklus dauert elf Jahre. Mit zunehmender Stärke geomagnetischer Stürme werden immer mehr elektrische Geräte in Mitleidenschaft gezogen.

Damit Polarlichter bis nach Deutschland vordringen können, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen:

1. Hohe Sonnenaktivität: Die Sonne muss besonders aktiv sein und große Mengen geladener Teilchen ausstoßen.

2. Starker geomagnetischer Sturm: Die ausgestoßenen Teilchen müssen so zahlreich und energiereich sein, dass sie einen heftigen geomagnetischer Sturm auslösen.

3. Ausdehnung der Polarlichtzone ("Auroraoval"): Normalerweise sind Polarlichter nur in hohen nördlichen Breiten sichtbar. Damit man Polarlichter auch südlicher sieht, muss sie sich aufgrund eines geomagnetischen Sturms ausdehnen.

4. Klarer Nachthimmel: Vor Ort müssen die Wetterbedingungen günstig sein, der Himmel wolkenlos.

5. Wenig Licht: Der Beobachtungsort sollte möglichst weit weg von störenden künstlichen Lichtquellen liegen, und auch natürliches Licht muss schwach sein.

Konkret können auch visuell sichtbare Polarlichter in Deutschland ab einem geomagnetischen Sturm der Stärke G3 auf der fünfstufigen Skala der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) auftreten. Das entspricht einem Kp-Index von 7.

Der Kp-Index steht in direktem Zusammenhang mit der geomagnetischen Breite, bis zu der Polarlichter sichtbar sein können. Je höher der Kp-Wert, desto weiter südlich können Polarlichter beobachtet werden. Für Deutschland bedeutet dies in etwa:

Bei einem G3-Sturm können Nordlichter bis zu einer geomagnetischen Breite (nicht verwechseln mit geografischer Breite!) von etwa 50° sichtbar sein. Allerdings sind sie dann meist nur fotografisch als schwacher grünlicher oder violetter Vorhang am nördlichen Horizont zu erkennen. Für deutlichere Sichtungen bis in die Mitte Deutschlands ist in der Regel ein G4-Sturm (Kp 8 bis 9) erforderlich. Solche starken Stürme sind jedoch selten und treten im Mittel nur etwa 100 Mal in einem elfjährigen Sonnenzyklus auf. Stürme der Stärke G5 wie im Mai 2024 treten außergewöhnlich selten auf, dann können Polarlichter sogar bis nach Süddeutschland und darüber hinaus sichtbar sein.

Das heißt aber nicht, dass man es unmöglich ist, Polarlichter auch bei schwächeren geomagnetischen Stürmen Polarlichter zu fotografieren, so wie bei dem der Stärke G1 in der Nacht vom 12. auf 13. August. Dann ist man jedoch auf andere begünstigende Parameter angewiesen, wie die Ausrichtung des interplanetaren Magnetfeldes.

Wissenschaftler nutzen Beobachtungen der Sonne und Messungen des Sonnenwindes, um kurzfristige Vorhersagen zu treffen. Interessierte finden aktuelle Daten und Vorhersagen auf den Seiten des Space Weather Prediction Center der NOAA, wo der aktuelle Kp-Index und Warnungen vor geomagnetischen Stürmen veröffentlicht werden. Aber selbst wenn heftige Stürme auftreten, dauern sie oft nur wenige Stunden. Es kann also durchaus sein, dass am Nachmittag gute Bedingungen für Polarlichter herrschen, der geomagnetische Sturm gegen Abend aber nachlässt und man trotzdem umsonst draußen steht. Dass der Sturm die ganze Nacht anhält, ist extrem selten. Deshalb sind solche Ereignisse meist nur in bestimmten Regionen zu sehen.

Vorhersage der planetarischen Kennziffer durch das GFZ: Auch wenn der Kp-Index am Nachmittag hoch ist, garantiert dies keine Nordlichter am Abend.

(Bild: GFZ Deutsches GeoForschungsZentrum (CC BY 4.0))

Auch wenn die Vorhersage von Polarlichtern ein komplexes Unterfangen ist, das von vielen Faktoren abhängt, lässt sich zusammenfassen: Ab einer Stärke von G3 kann man bei optimalen Wetterbedingungen zumindest fotografisch Polarlichter über Norddeutschland sehen. Für Sichtungen weiter südlich muss es schon ein G4-Sturm (Kp 8 bis 9) oder eine sehr lange Belichtungszeit sein. Erst bei G5-Stürmen kann man auch in Süddeutschland und Österreich auf Polarlichter hoffen.

(Bild: Aktuelle Vorhersagen mit grafischer Darstellung der Polarlichtzonen-Ausdehnung liefert das Space Weather Prediction Center des NOAA.)

Bei günstigen Bedingungen empfiehlt es sich, in den Nachtstunden nach Norden zu schauen, wobei die besten Chancen oft in der zweiten Nachthälfte kurz vor der Dämmerung bestehen. Am besten verlassen Sie sich nicht nur auf Ihre Augen, sondern setzen eine Kamera oder ein Smartphone mit Stativ ein, weil diese bei langer Belichtung Nordlichter viel besser "sehen" kann als das menschliche Auge. Bei guten Bedingen gelingen dann mitunter spektakuläre Aufnahmen:

Update

Verdeutlichung, dass die in der vergangenen Nacht beobachteten Nordlichter nicht mit bloßem Auge, sondern fotografisch erkennbar waren. Die abgeleitete Daumenregel (sichtbar ab G3) soll dazu dienen, Enttäuschungen zu vermeiden. Bei glücklicher Fügung kann man das Lichtspektakel auch bei schwächeren Magnetstürmen in unseren Breitengraden fotografieren.

(vza)