Probleme in Arztpraxen: NFC-Gesundheitskarten legen Kartenleser lahm

Eigentlich sollte die Digitalisierung die Arbeit der Ärzte beschleunigen. Doch seit einiger Zeit kommt es in Praxen zu Systemabstürzen. Wir haben nachgeforscht.

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, Thomas Kuhlenbeck

(Bild: Thomas Kuhlenbeck)

Lesezeit: 14 Min.
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Klaus M. freute sich sehr, als er von seiner Krankenkasse eine neue Gesundheitskarte bekam. Dank eingebauter NFC-Antenne sollte sie das Einchecken in der Praxis noch einfacher machen und Wartezeiten verkürzen. Bei seinem Hausarzt angekommen, staunte er jedoch nicht schlecht: Dessen Kartenterminal konnte seine Karte noch nicht kontaktlos lesen. Als er seine Karte in den Slot steckte und seine PIN eingeben wollte, sah er auf dem Display nur eine kryptische Fehlermeldung. "Oh Mist, nicht schon wieder!", platzte es aus der Sprechstundenhilfe heraus. "Das kann jetzt etwas dauern." "Warum?" "Das gesamte System ist abgestürzt. Wir müssen es erst wieder komplett neu starten. Nehmen Sie noch einen Moment im Wartezimmer Platz. Wir rufen Sie dann."

Solche Szenen sind leider keine Einzelfälle. Seit etwa einem halben Jahr klagen Ärzte über Systemabstürze ihrer EDV, wenn manche Patienten ihre elektronischen Gesundheitskarten (eGK) einstecken. Der Fehler war zunächst schwierig einzugrenzen. Betroffen sind Kartenterminals der Firma Worldline Healthcare (vormals Ingenico) vom Typ ORGA 6141 online.

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Der Kartenleser kam 2017 auf den Markt und steht aktuell in über 90 Prozent der über 130.000 Praxen und Kliniken, die mit der Telematischen Infrastruktur (TI) verbunden sind. Die Hardwareentwicklung wurde 2017 aber quasi eingefroren, als das Gerät von der für die TI zuständigen Gematik geprüft und zugelassen wurde (Gematik-Urkunde V.3.7.2, HW Vers. 1.2). Der Einsatz von eGK-Karten mit NFC (Near Field Communication) war damals noch nicht vorgesehen, sie folgten erst drei Jahre später.

Erst seit 2020 verlangt die Gematik für neue Terminals zusätzliche Tests, ob sie gegen elektrostatische Entladungen (Electrostatic Discharge, ESD) gewappnet sind. Die bereits zugelassenen ORGA-Terminals mussten sich dieser neuen Prüfung jedoch nicht unterziehen. Die aktuellen Zulassungen der Gematik eines ORGA 6141 online betreffen lediglich neue Firmware-Versionen der seit fünf Jahren unveränderten Hardware.

c't kompakt
  • Weit über 100.000 Kartenleser vom Typ ORGA 6141 online haben Probleme mit neuen Gesundheitskarten.
  • Betroffen sind Karten mit galvanisch gekoppelten NFC-Antennen von Giesecke+Devrient.
  • Die Karten haben einen erhöhten Strombedarf und können sich elektrostatisch sowie durch Funkwellen aufladen.

Im Winter 2021 häuften sich die Abstürze der Terminals. Der erste Eintrag im Fachportal der Gematik zu den Problemen stammt vom 3. Dezember 2021, 15:45 Uhr. Damals hatte die Gematik neue Gesundheitskarten vom Typ G 2.1 im Verdacht, tappte bei der Ursache aber noch im Dunkeln. Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember 2021 um 8:30 Uhr folgte die Meldung, dass der Hersteller eine neue Firmware (V3.8.1) bereitstelle. Die konnte das Problem aber nicht lösen, sondern nur das System automatisch neu starten. Am 14. Januar 2022, 16:45 Uhr meldete die Gematik, dass elektrostatische Entlade-Impulse beim Stecken einer elektronischen Gesundheitskarte eGK G 2.1 die EDV zum Absturz bringen würde.

Schuld seien Fußbodenbelag, trockene Winterluft und Plastikhüllen, die den Versicherten und die Karte elektrostatisch aufladen würden. Zur Abhilfe empfahl die Gematik eine Woche später den Einsatz von ESD-Matten, auf die die Karten vor dem Einstecken gelegt werden sollten.