Programme und Positionen zur Europawahl 2014: Die Piraten

Bei den Piraten stehen zur Europawahl am kommenden Sonntag unter anderem Themen wie schrankenloses Internet, Urheberrecht, Überwachung im Programmvordergrund.

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Inhaltsverzeichnis

Die deutsche Piratenpartei will erstmals unter dem Motto "grenzenlos" ins EU-Parlament einziehen, was nach dem Wegfall der Drei-Prozent-Hürde auf dem alten Kontinent keineswegs aussichtslos erscheint. Derzeit baue Europa mit einem "unsichtbaren Krieg gegen Migration nach außen und der Förderung digitaler Überwachungstechnologie nach innen" Grenzen auf. Dabei beruhe die Gemeinschaft auf der Kernidee des Abrisses von Schranken. Die Piraten versprechen daher schon im Vorspann des in HTML verfügbaren, recht detaillierten Wahlprogramms, Barrieren abzubauen in der Asylpolitik und bei der Beteiligung.

Großplakat der Piratenpartei

(Bild: piratenpartei.de)

Sie wollen stattdessen eine breitere Informationsbasis für die Bürger schaffen und das Internet als ein "Zuhause" erhalten, "das genauso viel Anonymität und Sicherheit bieten soll" wie das traute Heim. Dabei setzen sie hauptsächlich auf die Selbstbestimmung des Einzelnen.

Die Partei hat das Programm nach eigenen Angaben unter dem "Eindruck einer tiefen Krise der europäischen Integration, wirtschaftlicher und finanzpolitischer Missstände und globaler Überwachungsskandale" erstellt. Gerade unter diesen Vorzeichen gelte es aber nicht, das Rad zurückzudrehen, sondern Europa "auf ein solides demokratisches Fundament zu stellen". Dies sei ganz im Sinne einer Bewegung, "deren Kommunikationsraum keine staatlichen Grenzen kennt".

Europawahl 2014

Das Europaparlament in Straßburg

Die Bürger der Mitgliedsstaaten der EU wählten zwischen dem 22. und 25. Mai 2014 (in Deutschland am 25. Mai) zum achten Mal das Europäische Parlament. In Deutschland galt dabei erstmals keine gesetzlich festgelegte Hürde für einen Mindestanteil an Stimmen, die eine Partei erreichen muss, um Abgeordnete ins Parlament zu schicken. Seit dem Vertrag von Lissabon hat das Europäische Parlament einige Kompetenzen hinzugewonnen.

Immer mehr Sicherheitsgesetzen einzuführen führe zu Abzäunungen im Kopf. Die steigende Zahl von Überwachungen unter Verweis auf den "internationalen Terrorismus" und andere "Bedrohungen" sowie der mangelnde Bestand solcher Gesetze vor den Gerichten belegt für die Piraten dringenden Handlungsbedarf.

Um das historische Erbe an Freiheitsrechten zu bewahren und die Effektivität der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu sichern tritt die Partei dafür ein, dass der Staat gezielt nur solche Personen überwachen und von ihr Informationen sammeln darf, die konkret verdächtigt werden, eine Straftat begangen zu haben oder vorzubereiten – also nicht anlasslos.

Die Piraten lehnen so die Vorratsdatenspeicherung im Telekommunikationsbereich grundsätzlich ab, da diese die ganze Bevölkerung unter Generalverdacht stelle. Solche Pläne müssten endgültig aufgegeben werden. Sie sind auch gegen eine Vorratshaltung etwa von Reisedaten oder biometrischer Merkmale.

Die Partei verurteilt auch Überwachungssoftware, die Dritten "Zugang zu nicht-öffentlichen Daten, Kommunikationen und Aktivitäten eines Rechensystems verschaffen kann". Sie plädiert für eine gesetzliche Pflicht für Hersteller und Dienstleister, volle Transparenz über alle Programme, Vertragspartner und Kunden herzustellen sowie den Quellcode vollständig offenzulegen.

Generell fordern die Piraten, dass die Europäische Grundrechteagentur alle bestehenden europäischen Befugnisse und Programme der Sicherheitsbehörden "systematisch und nach wissenschaftlichen Kriterien auf ihre Wirksamkeit, Kosten, schädlichen Nebenwirkungen, Alternativen und Vereinbarkeit" mit den Bürgerrechten untersucht. Unnötige und exzessive Überwachung und Instrumente zum Informationsaustausch zwischen Strafverfolgern ohne wirksamen Datenschutz sollen aufgehoben werden.

Neue Vorhaben wie eine europäische Auswertung von Fluggastdaten, ein "Ein- und Ausreisesystem oder die systematische Kontrolle des Zahlungsverkehrs seien zu stoppen, ein "Grundrechts-TÜV" müsse eingeführt werden. Die aus Steuergeldern unterstützte Sicherheitsforschung soll "demokratisiert" werden, indem Volksvertreter über die Mittelverwendung mit entscheiden. Bewaffnete Drohnen und der Einsatz unbemannter Flugobjekte zum Ausspähen von Zivilpersonen werden prinzipiell abgelehnt.

Den freien und gleichberechtigten Zugang zum Internet sieht die Partei als Grundvoraussetzung für die Teilhabe am digitalen Leben an. Einen Anspruch auf letztere will sie in der EU-Grundrechtecharta verankern. Die Piraten setzen sich zudem dafür ein, jedem Menschen kostenlos die Möglichkeit zu geben, elektronische Kommunikation abhörsicher zu verschlüsseln und rechtskräftig digital zu signieren. Sie wollen den anonymen Zugang zum Internet sicherstellen und auch Nutzern sozialer Netzwerke sowie ähnlicher Dienste zu einer vergleichbaren rechtlichen Garantie zumindest über Pseudonyme verhelfen.

Auf ein europaweit einheitliches Datenschutzrecht, das höchste Standards garantiert, wollen die Piraten hinwirken. Die laufende Reform müsse der Datensparsamkeit und informationellen Selbstbestimmung Vorrang geben. Die Partei fordert die Einführung wirksamer einheitlicher Sanktionierungsbefugnisse für den EU-Datenschutzbeauftragten und die Aufsichtsinstanzen der Mitgliedstaaten, unter anderem in Form "abschreckender Geldstrafen". Die Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden sei jederzeit zu gewährleisten.

Den gläsernen Kunden wollen die Piraten verhindern. Sie sehen besorgt, dass mit digitaler Technik ohne Wissen der Betroffenen die wachsende Datenflut automatisiert zu Persönlichkeitsprofilen zusammengefügt und im schlimmsten Fall gegen sie verwendet werden könne – etwa durch das so genannte Kreditscoring oder durch Surf- und Bewegungsprofilen. Der Gesetzgeber müsse den Einzelnen daher in die Lage versetzen, "sich der Möglichkeiten, Chancen und Risiken der Informationsverknüpfungen im Internet bewusst zu werden und selbstbestimmt zu entscheiden, welche Daten er freigibt".

Jeder soll zudem einen "durchsetzbaren und unentgeltlichen Anspruch auf Selbstauskunft, Korrektur, Sperrung oder Löschung der eigenen personenbezogenen Daten haben". Unternehmen und Behörden müssten verpflichtet werden, ungewollte Abflüsse personenbezogener Informationen unverzüglich und lückenlos zu melden. Das bestehende Auskunftsrecht sei durch einen "Datenbrief" auszubauen, mit dem Betroffene jährlich informiert werden, wie ihre Daten gespeichert und verwendet werden.

Bei Produkten und Dienstleistungen drängt die Partei auf eine datenschutzfreundliche Voreinstellung, solche Verfahren sollten direkt in die Technik eingebaut werden. Persönliche Informationen, die bei Behörden lagern, sollen für Unternehmen zunächst tabu sein und nur mit Einwilligung der Betroffenen wirtschaftlich nutzbar werden.

Die Piraten halten ein Umdenken im Bereich der Immaterialgüterrechte für nötig und sind für eine Abkehr von der restriktiven Durchsetzung insbesondere von Urheberrechten. Einer weiteren Monopolisierung von Information, Wissen und Kultur müsse Einhalt geboten werden, um deren öffentliche Verfügbarkeit zu fördern. Internationale Handelsverträge wie ACTA werden abgelehnt, das geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP beäugt sie sehr skeptisch. Schutzstandards dürften damit nicht abgesenkt und keine privilegierte Klagerechte für Konzerne eingeführt werden.

Künstlerische und literarische Werke für nichtkommerzielle Zwecke zu kopieren, anzubieten, zu speichern und zu benutzen soll nicht nur legalisiert, sondern gesetzlich geschützt und aktiv gefördert werden. Die Kriminalisierung privater Vervielfältigungen aus P2P-Netzen wäre damit Vergangenheit. Von einer angemessenen Vergütung der Urheber ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.

Das Verwertungsrecht soll auf ein "vernünftiges Maß" zurückgesetzt werden. Welche Schutzfristen die Piraten dabei für sinnvoll halten, verraten sie nicht. Ein "Recht auf Remix" steht dagegen in dem Programm. Geschaffen werden sollen europaweite Standards für das Urhebervertragsrecht, um die Position der Kreativen gegenüber Verwertern zu stärken und mit dem Interesse der Allgemeinheit ins Gleichgewicht zu bringen. Verwertungsgesellschaften will die Partei "umfassende Transparenz und gerechte Mitbestimmung durch ihre Mitglieder" verordnen.

Die herrschenden Patentregelungen werden teils als Innovationshemmnis angesehen. Sie stellten vor allem in den Bereichen Genforschung, Biotechnologie und Software "eine große Gefahr für die Gesellschaft von morgen dar". Das Patentsystem sei daher zu reformieren.

Die Piraten wollen den europaweiten Ausbau einer leistungsfähigen Kommunikationsinfrastruktur durch die EU stärker fördern. So soll in den nächsten Jahren eine "lückenlose Breitbandversorgung" geschaffen werden. Zu konkreten Marken bei der angestrebten Bandbreite, bevorzugter Technik, einem klaren zeitlichen Rahmen oder möglichen Finanzierungsformen steht nichts im Programm.

Es enthält aber die Vorgabe, dass es im Zuge des europaweiten Ausbaus und der Modernisierung der Netze nicht zu einer "Monopolisierung der Kommunikationsinfrastruktur" kommen dürfe. Die Netzneutralität müsse als Grundpfeiler eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Internet für die gesamte EU gelten. Telekommunikationsfirmen dürften Dienstanbieter nicht ungleich behandeln.

Alle Endpunkte des Internets müssten ohne irgendeine Form ungesetzlicher Einschränkungen erreichbar sein, führen die Piraten dazu aus. Verkehrsmanagement wollen sie nur in "klaren, transparent einsehbaren und technisch begründeten Ausnahmen gestatten. Die Qualität und Offenheit des ungefilterten und unblockierten Internets müsse ständig von einer unabhängigen Stelle überprüft werden. Der Datenfluss dürfe nicht per Deep Packet Inspection und Netzsperren durchleuchtet oder gedrosselt werden.

Ein Kapitel zu Universitäten und Forschungsinstituten haben die Piraten nicht, obwohl dieses im Zeichen der Informations- oder Wissensgesellschaft stehen will. Allein im angehängten gemeinsamen Programm aller europäischen Piratenparteien wird kurz betont, dass die Arbeit solcher Einrichtungen in den Bereichen Gesundheit und Medizin nicht durch Patente belastet werden dürfe. Die deutschen Piraten sprechen sich zudem knapp grundsätzlich für Forschungsförderung durch Brüssel aus. Dazu kommt die Einschränkung, dass diese nicht "als Quersubvention einer Sicherheits- und Rüstungsindustrie missbraucht werden" dürfe.

Offene Verwaltungsdaten sollen auch auf der EU-Ebene stärker als bisher gefördert werden. Die Piraten setzen sich dafür ein, eine europaweite Variante der Open-Data-Agenda des Landes Berlin zu schaffen.

Informationen dazu müssten frei zugänglich, beliebig nutzbar und verteilbar sowie auf eine voll umfängliche Teilhabe und Transparenz ausgerichtet sein. Neben Anreizen für mehr offene Daten strebt die Partei ein EU-Informationsfreiheitsgesetz mit niedrigeren Hürden an, das insbesondere die kritischen Aspekte der bisherigen Regelung wie die Definition von Dokumenten oder die Einspruchsfristen beseitigt.

Zum offenen Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln schweigen sich die deutschen Piraten aus. Im gemeinsame Programm der europäischen Freibeuter-Parteien heißt es dazu: "Die Ergebnisse von ganz oder teilweise öffentlich finanzierter Forschung müssen in Open-Access-Fachzeitschriften oder in anderer Form veröffentlicht werden, die für die breite Bevölkerung kostenlos und leicht zugänglich ist".

Der freie Fluss von Wissen und Information ist für die Piraten nach eigenen Angaben essenziell. Er müsse gerade im Bildungsbereich gefördert werden. Die Partei will daher freie und offene Lehr- und Lernmaterialien unterstützen, um Wissen und didaktische Konzepte international austauschen und gemeinsam weiterentwickeln zu können.

Das Gemeinschaftsprogramm geht auf die erwünschte Förderung von Software ein, "die von jedermann verwendet, analysiert, verbreitet und modifiziert werden kann". Freie und Open Source Software sei wesentlich dafür, dass die Nutzer ihre eigenen technischen Systeme kontrollieren können. Sie leiste einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Autonomie und Privatsphäre aller Nutzer. (anw)