RCS: Warum sich der neue Messaging-Standard dank Apple durchsetzen könnte

Apple lässt mit iOS 18 endlich auch den SMS-Nachfolger RCS aufs iPhone. Kathryn Murphy vom Kommunikationsdienstleister Twilio erläutert, was das heißt.

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Google Message und Apple iMessage

Google Message und Apple iMessage: Endlich durchgehende Kommunikation mit modernen Features?

(Bild: Tada Images / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.

Twilio wurde 2008 gegründet, um Kommunikationskanäle auf einer Software-as-a-Service-Plattform zu vereinen. Normalen User wurde das US-Unternehmen unter anderem als Dienstleister von Signal und Mutterfirma von Authy bekannt, doch setzen zahllose weitere Unternehmen die Plattform ein. Im Interview erläutert Produktchefin Kathryn Murphy, was die Firma tut und wie wichtig Apples Entscheidung ist, endlich bei RCS einzusteigen.

heise online: Twilio ist einer dieser großen Akteure, die nur von Spezialisten wahrgenommen werden, obwohl Ihr Unternehmen inzwischen ein wichtiger Bestandteil der Internet-Infrastruktur ist. Sie managen die Kommunikationskanäle für viele verschiedene Unternehmen. Wie fügt sich Twilio in andere Cloud-Plattformen wie Google Cloud und Amazon Web Services ein?

Kathryn Murphy: Ich denke, viele unserer Kunden nutzen uns zusätzlich zu diesen Plattformen, weil wir eine andere Art von Infrastruktur darstellen. Betrachten Sie uns als Kommunikationsanbieter für die letzte Meile. Auf AWS laufen vielleicht große Anwendungen oder Dienste, aber wenn Sie schließlich eine Nachricht an Ihre Kunden übermitteln wollen, sei es per E-Mail, SMS, WhatsApp oder einem anderen Dienst, dann läuft das sozusagen auf einer anderen Schiene. Und genau da kommen wir ins Spiel.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Kommunikation verändern?

Ich würde sagen, dass der Trend generell eher zu direkten Gesprächen zwischen Kunden und Firmen als zu einfachen Benachrichtigungen geht. Wir sehen, dass immer mehr direkte Kommunikation stattfindet – oder zumindest versucht wird, sie zu führen. Wir sehen das an unseren eigenen Daten.

Wir haben zum Beispiel diverse WhatsApp-Nachrichten verfolgt, bei denen es sich eigentlich um einfache Benachrichtigungen handeln sollte. Und wir konnten feststellen, dass 33 Prozent der Verbraucher trotzdem geantwortet haben, obwohl es hieß, dass da niemand mitliest. Selbst wenn wir simple Einmal-Passwörter verschicken, was ein zentraler Anwendungsfall unserer Plattform ist, den wir anbieten, reagieren immer noch fünf Prozent der Leute darauf. Eine der großen Veränderungen, die wir beobachten, liegt also darin, dass die Verbraucher zunehmend erwarten, dass sie Unternehmen auf jedem Kanal antworten können, sei es nun ein Inbound-Unternehmen, auf das die Kunden zukommen, oder ein Outbound-Unternehmen, das direkt vermarktet.

Firmen sollten also sicherstellen, dass immer jemand auf der anderen Seite ist?

Nun, das sollte zumindest der Fall sein. Die einfache Tatsache, dass wir wissen, dass diese Kommunikationsversuche stattfinden, ist schon einmal sehr hilfreich. Ich glaube, die meisten Unternehmen haben nur eine bestimmte Art der Kommunikation mit ihren Kunden, und wir versuchen, ihnen dabei zu helfen, sich so zu entwickeln, dass Kommunikation ĂĽberall funktioniert.

Es geht ja letztlich um Dialoge mit den Kunden. Die können mit einer simplen Marketing-Nachricht beginnen, aber wenn die Leute mit einer Frage antworten, wollen Sie sie an einen Kundendienstmitarbeiter weiterleiten. Dafür bietet Twilio eine Plattform. Wir haben ja all diese Kanäle.

Gibt es Unterschiede zwischen den von Ihnen angebotenen Kommunikationskanälen? Der Inhalt einer einfachen Benachrichtigung muss ja anders sein als der einer E-Mail.

Wenn Kunden zu Twilio kommen, können sie wählen, welche Kanäle sie nutzen möchten, und sie haben die volle Kontrolle darüber, welche Kanäle sie verwenden. Wir wissen aber sehr wohl, dass es für die Verbraucher immer nerviger wird, sie werden mit Informationen und Benachrichtigungen überflutet.

Wir versuchen, dem entgegenzuwirken, indem wir es den Unternehmen leichter machen, die Präferenzen der Kunden zu berücksichtigen und nur zugelassene Kanäle zu berücksichtigen. Wenn der Kunde also sagt, dass er nichts von Ihnen hören möchte, wird er das auch nicht mehr tun, falls dann nichts schiefgeht.

Da wir gerade von Kanälen sprechen, die die Leute nicht mehr wollen: Wann wird die SMS, eine bekanntermaßen völlig veraltete Technologie, endlich sterben?

Das wird seine Zeit brauchen. Vielleicht wird SMS irgendwann nur noch von Mensch zu Mensch auf Feature-Phones genutzt und weniger von Unternehmen zu Kunden. Aber ich denke, das ist leider immer noch ein gĂĽltiger Kanal.

Die Netzbetreiber versuchen seit langem, Rich Communications Services (RCS) auf den Weg zu bringen, die die SMS mit modernen Funktionen ablösen sollen.

Wir arbeiten buchstäblich bereits seit vier Jahren an RCS. Jetzt ist es endlich soweit, und uns freut das sehr. Wir glauben, dass das die Zukunft des Messaging für Unternehmen ist. Das Problem dabei bleibt, dass es noch zwei, drei oder sogar vier Jahre dauern könnte, bis es sich vollständig durchgesetzt hat. Die SMS wird also noch eine Weile ihren Platz auf unseren Handys haben.

Bei der Integration von RCS haben wir deshalb auch Ausweichmöglichkeiten geschaffen. Selbst wenn unsere Plattform annimmt, dass Sie ein RCS-fähiges Telefon haben, versuchen wir es automatisch mit einer normalen SMS, wenn wir die RCS-Nachricht nicht zustellen können.

Selbst auf der Android-Seite scheint es Probleme zu geben, dabei hat Google das Thema lange gepusht.

Es gibt einfach so viele Gerätevarianten im Netz, dass es einige Zeit dauern wird, bis sich das System auf breiter Front durchsetzt. Aber das ist alles sehr spannend, und das Potenzial ist riesig.

Und die Leute mĂĽssen es natĂĽrlich auch wollen, auf RCS umzusteigen.

Ich denke, wenn wir mehr und mehr RCS-Nachrichten erhalten, werden viele von uns sagen: "Das ist doch viel besser. Warum sollte ich noch andere Kommunikationswege akzeptieren? Ich werde mich nicht mehr damit beschäftigen." Und ich denke, die Unternehmen werden sich schnell in diese Richtung bewegen müssen.

Sind Sie mit dem derzeitigen Funktionsumfang von RCS zufrieden? Es ist zum Beispiel nicht vollständig verschlüsselt, sodass die Leute auf dem iPhone, wo es jetzt endlich verwendet werden kann, dazu neigen, sich an Apples iMessage zu halten.

Ich denke, wir haben hier einen guten Start und es wird schnell besser werden.

Apple hat fĂĽr Aufsehen gesorgt, als es endlich RCS-UnterstĂĽtzung ankĂĽndigte, nachdem Google und andere jahrelang Druck gemacht hatten.

Mit der Ankündigung von Apple, RCS zu unterstützen, wird der Dienst mehr und mehr zum Gewinner, da er nicht plattformspezifisch ist und Unternehmen nicht so viele verschiedene Möglichkeiten zur Kommunikation mit ihren Kunden implementieren müssen. Wir werden sehen, was mit iMessage passiert.

RCS gibt es schon seit langem, genutzt wurde es aber kaum. Hat Apple also den entscheidenden AnstoĂź gegeben?

Apple hat aufgrund seines Einflusses einen großen Anteil daran. Aber der andere Teil ist, dass es so lange gedauert hat, bis die Netzbetreiber auf den Zug aufgesprungen sind. Und obwohl es RCS schon lange gibt, sind die Netzbetreiber erst in den letzten gut zwölf Monaten weltweit gut dabei. Und das ist jetzt der Stand der Dinge.

Ohne generative KI scheint ja nichts mehr zu gehen. Twilio arbeitet an virtuellen Call-Center-Agenten, bei denen KI-Systeme Telefongespräche übernehmen. Wenn das technisch wirklich funktioniert, warum ist das ein so interessanter Markt?

Eines der Dinge, die wir oft vergessen, ist, dass ein virtueller Call-Center-Agent unbegrenzt Zeit hat. Viele Call-Center stehen unter dem Druck, Anrufe schnell abzuschlieĂźen, selbst bei fĂĽr sie wertvollen Kunden. Aber bei einem virtuellen Agenten gibt es keine Begrenzung, wie viele Anrufe er erledigen kann.

Wir haben einige Kunden mit physischen Läden, deren Filialleiter Anrufe entgegennehmen müssen und auch Online-Bestellungen erhalten. Die Unternehmen setzen diese Manager unter Druck, den Anruf in weniger als 90 Sekunden zu erledigen. Im Vergleich dazu könnte ein virtueller Call-Center-Agent viele Minuten mit dem Kunden sprechen, alle Fragen beantworten und würde dabei nicht ins Schwitzen kommen. Es geht nicht darum, die Arbeitsplätze in Call-Centern abzuschaffen, sondern sie produktiver zu machen.

Wie stellen Sie sicher, dass diese virtuellen Agenten so arbeiten, wie sie sollten, also nicht halluzinieren?

Wir verwenden die besten und neuesten LLMs und haben sie mit entsprechenden Leitplanken versehen. Und es gibt weitere LLMs, die diese dann ĂĽberprĂĽfen. Aber eine zentrale Entscheidung ist, worauf man sein Modell trainiert. Das Finetuning wird also immer mit den Daten der Kunden vorgenommen. Es ist auch ein Mensch in der Schleife, der bei Bedarf den Anruf ĂĽbernehmen kann.

Aber natürlich gibt es verschiedene Arten von Risiken mit solcher Technik. So ist es zum Beispiel ein geringes Risiko, sich von einem LLM bei einem Marketingtext helfen zu lassen, während es ein höheres Risiko darstellt, einen KI-Assistenten direkt auf die Kunden loszulassen. Wir befinden uns auch in dieser Hinsicht noch in einer frühen Phase.

In Mexiko haben wir zum Beispiel ein KI-Projekt, bei dem eine große Online-Universität Studenten bei der Navigation durch ihr Angebot hilft. Viele dieser Fragen sind leicht zu beantworten, z. B. welche Kurse angeboten werden oder wie die Krankenversicherung funktioniert. Aber wir müssen natürlich dafür sorgen, dass dabei alles richtig ist.

Der Autor reiste auf Einladung von Twilio zur Hausmesse Signal London.

(bsc)