"Resozialisiert das Netz!"

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Bestehende Algorithmen, die wie bei Google auf statistischen Rückschlüssen basieren, leisteten gute Dienste, hielt Iskold der Euphorie über Natural Language Search entgegen. Wenn man sie mit lernfähigen Funktionen ergänzt, bei denen die Suche explizite und implizite Hinweise des Nutzers aufgreift, lassen sich bessere Ergebnisse mit bedeutend geringerem Aufwand erzielen. So kann der "Blue Organizer" aus Iskolds Ideenschmiede Suchabfragen aufgrund der Browser-Geschichte eines Nutzers vorfiltern und lässt sich von Hand weiter fein justieren. Mit rund 700.000 Downloads ist das Programm eine der 20 beliebtesten Firefox-Erweiterungen.

Große Unternehmen ringen mit der Bedeutung und besten Anwendung solch neuer Web-Dienste wie einst bei der Einführung des PCs in den 80er-Jahren, wie Vertreter von etablierten Marken wie Symantec in einer Diskussion darlegten. Den Sicherheitsbedenken und Kontrollgelüsten der IT-Experten in einer Firma stehen oft die Ungeduld und der Ideenreichtum der einzelnen Nutzer entgegen. Gemeinsam erarbeitetes Wissen, welche Ressourcen sich wo nutzen lassen, widerspreche oft den traditionellen Hierarchien.

David Weinberger, IT-Vordenker und Autor des "Cluetrain Manifests", gab zu bedenken, dass eine Mitarbeiterin zwar Hunderte von Blog-Einträgen, Wiki-Kommentaren oder kurzen Twitter-Texten verfasst haben mag, aber laut Organigramm nirgendwo als Expertin auftaucht. Solche inoffiziellen Fachleute, die ihre Kollegen beständig auf gute Informationen verweisen, müssen sich im Gegenteil oft die Frage gefallen lassen, wieso sie ständig mit allen sprechen, aber angeblich nichts tun.

Weinberger glaubt, dass sich Reputation und Autorität in Zukunft mehr aus dem Verweis auf Informationsquellen als aus reinem Expertenwissen speisen werden – eine These, die er in seinem neuesten Buch "Everything is Miscellaneous" ausführlich darlegt. Die dazu nötigen Web-basierten Werkzeuge sind nicht aufzuhalten, da sie sich den Weg des geringsten Widerstands bahnen. So hat sich Facebook innerhalb weniger Wochen von einem auf Schüler und Studenten ausgerichteten soziale Netzwerk zu einer Plattform entwickelt, über die Geschäftspartner kommunizieren – ob es ihre Arbeitgeber wollen oder nicht.

Ein neuartiger Kommunikationskanal, der sich einen Weg von jugendlichen Nutzern in den Unternehmensbereich bahnt, ist Microblogging, wie der Dienst der finnischen Firma Jaiku. Von einem ehemaligen Nokia-Manager mitbegründet, bündelt Jaiku SMS-Nachrichten und andere Informationsströme wie RSS-Feeds aus unterschiedlichsten Quellen – etwa neue Lesezeichen, Playlists oder Fotoalben zu "Life Streams", die sich auf Gruppen zuschneiden lassen. Der oft angestellte Vergleich mit dem Kurznachrichtendienst Twitter hinkt, wie Mitbegründer Jyri Engeström erklärte. Bislang hat der Dienst allerdings erst rund 50.000 Nutzer weltweit.

Erste Firmen haben ihm zufolge auf Jaiku private Kanäle geschaffen, um ihre Mitarbeiter und wichtige Klienten besser einzubinden. Als Beispiel führte Engeström eine New Yorker Firma für Risikomanagement an, zu deren Kunden die Deutsche Bank gehöre. Das Jaiku-Team erwarte zudem, dass bald nicht-menschliche Teilnehmer eine Telepräsenz besitzen. So kann eine Autobahn Abfahrt für Abfahrt ihren Verkehrszustand kundtun. "Dieses Microblogging revolutioniert Social Networking, wie Starbucks normale Cafes aufgemischt hat", so Engeström. "Wir stellen lediglich einen tragbaren Container bereit." (bsc)