Rezension: Dramatisierte Popkultur

Frank Schätzing versucht sich an den großen Visionen und Ängsten des Silicon Valleys – einschließlich zünftiger Roboter-Apokalypse.

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Selbstherrliche Quantencomputer, Paralleluniversen, Nanobots, genmanipulierte Insekten, Unsterblichkeit, Singularität, Roboter-Apokalypse – Frank Schätzing schöpft in seinem neuen Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ aus dem Vollen. Leider gelingt es ihm nicht, aus all diesen Zutaten irgendwelche originellen Gedanken zu generieren.

Dass sein Personal reichlich Klischees mit sich rumschleppt – arrogante Silicon-Valley-Gründer, ängstliche Nerds, breitschultrige Schurken, traumatisierte Dorfpolizisten, obskure Waffenhändler: geschenkt. Immerhin gelingt es Schätzing, daraus eine leidlich spannende Story zu stricken. Zumindest, solange ihm nicht die Verliebtheit in die eigene Formulierungskunst im Wege steht. Immer wieder flicht er ausufernde Landschaftsbeschreibungen ein, die offenbar weniger dem Lokalkolorit dienen sollen als vielmehr dem Nachweis, wie fleißig er vor Ort recherchiert hat.

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Oft beschleicht den Leser zudem der Verdacht, der Plot orientiere sich weniger an der Plausibilität als an der späteren Verfilmbarkeit. So marschieren die Protagonisten in einem Paralleluniversum unbehelligt in eine hochtechnisierte Insektenfabrik, um die Stromversorgung in die Luft zu jagen. Wie soll das gehen, bei all den umherschwirrenden Überwachungsinsekten? Egal, scheint sich Schätzing zu denken, Explosionen und Schießereien lassen sich halt besser verfilmen als Hackerangriffe.

Doch wegen der Actionszenen liest ohnehin niemand Science Fiction. Sondern wegen etwas anderem: „Eine gute Science Fiction Story sollte nicht das Automobil vorhersagen, sondern den Verkehrsstau“, soll der US-Autor Frederik Pohl einmal gesagt haben. Damit ist nicht nur die dystopische Seite der Utopie gemeint – Dystopie gibt es auch bei Schätzing reichlich. Sondern auch das für die Zeitgenossen Unerwartete, die überraschenden Nebeneffekte, die sich einstellen, wenn man eine Entwicklung konsequent zu Ende denkt. Und in dieser Hinsicht ist Schätzings Roman ein Totalausfall. Sein Zukunftsszenario ist eher eine dramatisierte Version all jener Visionen, die ohnehin bereits im Umlauf sind. Fairerweise nennt Schätzing seine Quellen, aber er geht nie über sie hinaus. So ist die Vorstellung einer übermächtigen Künstlichen Intelligenz, die irgendwann auf die Idee kommt, die ganze Welt sei ohne Menschen objektiv besser dran, spätestens seit Nick Bostrom Teil der Popkultur. Ebenso gefräßige Nanobots seit Michael Crichtons „Prey“ von 2002. Und so weiter und so fort.

Wer auf unterhaltsame Art Einblick in die aktuelle Gedankenwelt des Silicon Valleys haben möchte, ist mit dem Buch gut bedient. Wer an Science Fiction den Anspruch hat, neue Ideen in die Welt zu setzen, sollte lieber Leute wie Daniel Suarez, Cory Doctorow oder Neal Stephenson lesen.

Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings. Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 26 Euro, E-Book: 19,99 Euro


(grh)