Rückbau eines Kernkraftwerks im Video: Besuch im AKW

Seite 2: Videotranskript

Inhaltsverzeichnis

heise zu Gast in einem Atomkraftwerk.

Allerdings nicht in einem aktiven, sondern in einem Kraftwerk, das 2015 vom Netz ging: Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld.

Das steckt aktuell noch mitten im Rückbauprozess, der noch einige Jahre dauern wird. Wie läuft dieser Prozess ab, welche Hürden bringt er mit sich und gibt es noch Risiken? Um euch einen Einblick zu verschaffen, waren wir vor Ort.

Zwischen 1982 und 2015 – also 33 Jahre lang – wurde im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld Strom aus Atomenergie erzeugt. Die kommenden drei Jahre befand sich das Kraftwerk in der Nachbetriebsphase. Hier haben die Mitarbeiter zum Beispiel Brennelemente aus dem Reaktor entladen und mit der Dekontaminierung der Anlage gestartet.

2018 begann der Abbau des Kraftwerks unter Leitung des Unternehmens "PreussenElektra". Verantwortlich für den Rückbau ist Kraftwerksleiter Bernd Kaiser. Kaiser war vor einigen Jahren als Leiter des Bereichs Rückbauprozesse und -technik bereits an den Rückbauten der Kernkraftwerke in Stade und Würgassen beteiligt.

Das Kraftwerk in Grafenrheinfeld ging 2015 vom Netz. Aktuell arbeiten mehrere hundert Personen am Rückbau der Anlage mit. Ein großer Teil davon sind die Mitarbeiter, die auch zuvor im Kraftwerk gearbeitet haben. PreussenElektra hat alle uneingeschränkt in den Rückbau übernommen.

Bernd Kaiser:

"Stand heute haben wir 167 Personen Eigenpersonal und ungefähr 500 bis manchmal 600 Fremdmitarbeiter, die auch noch auf der Anlage sind. Jeden Tag. Hier im Kontrollbereich sind aktuell rund 300 Mitarbeiter tätig."

Für den Rückbau sind Kosten von etwa 1,3 Milliarden Euro angesetzt. Das Geld kommt aus gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen, die das Kernkraftwerk selbst angespart hat. Betreiber von Kernkraftwerken sind nämlich laut Gesetz für die Abwicklung und Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und der fachgerechten Verpackung radioaktiver Abfälle zuständig.

Erst bei der Zwischen- und Endlagerung des radioaktiven Materials wechselt die Zuständigkeit über zum Bund.

Aktuell rechnet PreussenElektra damit, dass der Rückbau noch bis etwa 2035 dauern wird. Für den Rückbau sind also insgesamt 17 Jahre veranschlagt. Der Aufbau des Kraftwerks hat damals nur rund sieben Jahre gedauert. Warum dauert der Rückbau dann so lange?

Beim Rückbau eines Kernkraftwerks steht zunächst das Entfernen von radioaktivem Material auf dem Plan – also vorwiegend Brennelemente und Bauteile des Reaktors.

Bernd Kaiser:

"Mittlerweile ist 99,9 Prozent der Radioaktivität aus der Anlage entfernt worden, weil die Brennelemente raus sind. Das heißt, wir kümmern uns jetzt um das, was noch an den Wänden, an den Systemen anhaftet und reinigen dieses."

Danach baut das Unternehmen Stück für Stück das Innere des Kraftwerks ab, zerlegt es und sortiert es in Transportenboxen – sogenannten Mulden.

Bernd Kaiser:

"Oben werden die Mulden erzeugt. Das heißt, dort wird demontiert, von der Wand genommen und sortenrein in die entsprechenden Mulden eingelegt. Jede Mulde bei uns unterliegt einem Plan, wie wir diese zu beladen haben. Hier in diesem Fall verzinkte Lüftungsbleche. Andere Mulden müssen dann mit Kabeln, mit schwarzem Stahl oder mit Edelstahl belegt werden.

Das muss alles sortenrein geteilt werden, weil nachher die Bearbeitung dieses Materials auch entsprechend der Sorte einen unterschiedlichen Weg durch unsere Anlage nimmt und auch in der Entsorgung womöglich einen unterschiedlichen Weg nimmt. Dann kommt [die Mulde] hier runter und die Kollegen an den Rechnern erfassen, was drin ist. Wir haben ein Computerprogramm, das jede Mulde genau nachweisen kann.

Wo ist sie? Was wurde mit ihr gemacht? Wo soll sie hin und was ist das Ziel, wo sie mal am Ende landen soll? Wenn das alles eingetragen ist, bekommt sie ein Metallschild [an der Seite] und dann startet die Reise durch den Kontrollbereich oder durch die Behandlungsstation."

Nach der Demontage müssen einige Bauteile noch nachzerlegt werden. Als Beispiel: Ein Schaltschrank besteht zum einen aus der Metallhülle. Im Inneren sind dann noch weitere Materialien wie Kabelhüllen oder Kunststoffplatinen.

Bernd Kaiser:

"Das heißt, als allererstes muss das zu einer Nachzerlegung. Und da wird alles zerlegt in kleine Teile, wird dann wieder separiert in unterschiedliche Mulden und kann erst dann den weiteren Kreislauf durchlaufen. Oder manche Teile sind so groß, dass wir sie später nicht frei messen können, dass wir nicht nachweisen können, dass dort keine Radioaktivität mehr drauf ist.

Also müssen wir sie noch mal trennen. Noch mal aufschneiden. Gemessen wird nach jeder Station. Einfach um den Nachweis zu haben, ob wir das erreicht haben, was wir wollten. Üblicherweise sind eigentlich immer vier bis fünf Schritte notwendig für ein Material, bevor es dann raus darf zur Freimessung. Das ist die eigentlich entscheidende Messung. Jede Mulde, die hier drin entsteht, braucht im Mittel drei Monate, bis sie draußen ist.

Drei Monate läuft sie praktisch hier durch die Anlage oder steht irgendwo und wartet auf die Bearbeitung, bis sie dann nach draußen kommt."

Das Unternehmen misst jedes Bauteil mehrfach auf Strahlenbelastung, bevor es entsorgt oder weiterverwertet wird. Große Teile des Materials können nämlich wieder zurück in den Wertstoffkreislauf gegeben werden.

Bernd Kaiser:

"Aktuell ist der Stand, dass wir in der Größenordnung 98 % unserer gesamten Abbaumasse in den Wertstoffkreislauf zurückbringen können. Und nur 2 % müssen dann in den radioaktiven Abfall beziehungsweise in die Deponie. Zum Beispiel irgendwelche asbesthaltigen Stoffe oder KMF-haltigen Stoffe. Die dürfen wir nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückbringen. Also müssen die auf eine Deponie gebracht werden.

Wir haben zum Beispiel den Reaktor dieses Jahr zerlegt. Der Reaktor selbst hat [eine Masse von rund] 600 t. Hinzu kommen noch mal 1400 t, die wir aus der Systemdemontage herausnehmen. Also das heißt Rohrleitungen, Maschinenpumpenteile, die dann in diesen Mulden landen. Das ist dieses Jahr. Wir steigern uns jedes Jahr, damit wir am Ende in Summe eine Größenordnung von 20.000 t aus der Anlage entfernen können.

Wir haben hier am Standort ein Zwischenlager, das für unsere Rückbauabfälle gebaut wurde. Die Materialien dort werden so lange gelagert, bis das Endlager Konrad zur Verfügung steht. Nach heutigem Stand soll das 2029 eröffnet werden. Und dann wird nach und nach das Material aus dem Rückbau abfließen. Die Brennelemente, die wir hier aus der Anlage entfernt haben, stehen auch in einem Zwischenlager hier am Standort. Dafür gibt es aber Stand heute noch kein Endlager.

Das heißt, die werden noch sehr lange hier im Bereich des Standorts verbleiben."

Ist das gesamte Innenleben der Anlage abgebaut, ist der Abriss des Gebäudes möglich. Aktuell rechnet PreussenElektra damit, 2033 mit dem Abriss beginnen zu können.

Hinter dem Abtragen und der Messung des Materials stecken viel Planung, logistische Herausforderungen und auch zahlreiche Kontrollen. Jedes Geländer, jeder Schrank und jedes Kabel muss demontiert und zerkleinert werden. Nahezu jeder Handgriff wird dokumentiert und vieles erfordert eine vorherige Genehmigung.

Bernd Kaiser:

"Wir müssen jedes Teil erst mal still setzen. Das heißt, es muss von der Anlage getrennt werden. Es darf aber nicht getrennt werden im Sinne von "Ich nehme den Stecker und zieh den einfach ab", sondern der Stecker muss geschnitten werden, damit keiner diesen Stecker wieder zusammenführen kann und die Anlage aus Versehen wieder in Betrieb geht. Das ist der erste Schritt, den wir machen müssen: Stillsetzen.

Ist das Kabel abgeschnitten, bekommt es von uns eine magentafarbene Markierung. Diese Magenta-Markierung bedeutet, dieses Teil hat keine Verbindung mehr zur Anlage. Als Nächstes beantragen wir bei unserer Behörde, dass wir es jetzt auch demontieren wollen. Die prüfen, ob wir alles vorher getan haben, dass das wirklich von der Wand darf. Wir dürfen ja nichts demontieren, was noch eine Verbindung zur Anlage hat.

Wenn das Okay gekommen ist, bekommt das [Teil] einen blauen Punkt. Blau heißt "Zur Demontage freigegeben". Jetzt müssen wir einen Arbeitsauftrag schreiben. Diesen Arbeitsauftrag müssen wir intern freigeben. Wir müssen also intern auch noch mal Qualität sichern. Damit wir Demontagevorhaben so sinnvoll zusammen clustern, dass die Mitarbeiter, die das dann durchführen müssen, auch geschützt sind. Und erst dann darf es weg."

Nach der Demontage müssen die gefüllten Mulden zur Oberflächenmessung. Hier überprüfen Facharbeiter die Oberfläche jedes einzelnen Teils mit einem Strahlenmessgerät. Je nach Material und Aufbau der Teile sind die Schritte bis zur ersten Messung unterschiedlich aufwendig.

Bernd Kaiser:

"Die Kollegen zerlegen jetzt das Material noch mal in kleinere, handhabbare Stücke, damit wir später die Messungen durchführen können. Dort hinten diese große Kabine mit den zwei gelben "Radioaktiv"-Zeichen ist unsere Nassdekontaminationsanlage. Da werden mit 800 bar Oberflächen behandelt. 800 bar Wasserdruck. Zu Hause hat man etwa 5 bar. Hier sind es 800."

Liegt ein abgetragenes Bauteil bei der Oberflächenmessung oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte, darf es den Kontrollbereich des Werkes nicht verlassen.

Bernd Kaiser:

"[Hier sieht man ein Teil, das hat ein Kollege] überall gemessen und hat aber festgestellt, da ist noch was drauf. Ein Becquerel pro Quadratzentimeter. Jeder Nuklid hat unterschiedliche Grenzwerte. In dem Fall ist es so, dass wir unter ein Becquerel pro Quadratzentimeter kommen müssen für diese Metalle. Und da hat er was gefunden. Jetzt muss dieses Teil wieder zurück. Und ich nehme an, dass er wahrscheinlich nicht nur das zurückschickt, sondern jetzt die ganze Mulde zurückschickt und sagt: 'Da muss noch mal bestrahlt werden'."

Erst nach erneuter Reinigung und einer erfolgreichen Strahlenmessung kann der Weg weitergehen.

Je nach Material wenden die Mitarbeiter in der Reinigung verschiedene Verfahren an, wie etwa Sandstrahlen oder Ultraschallreinigung. Das abgetragene radioaktive Material fangen sie auf und bereiten es für die Endlagerung vor.

Sind die Ergebnisse der Oberflächenmessung unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte, erfolgt die finale Messung – auch "Freimessung" genannt.

Bernd Kaiser:

"Hier kommen also die Gebinde, die oberflächengemessen sind, in Containern an. Hier werden sie hereingefahren, sodass sie in der Freimessanlage, die sich hier hinter uns befindet, dann gewichtsspezifisch gemessen werden können."

Der Grenzwert für die Freigabe des Materials liegt bei einer Strahlenbelastung von 10 Mikrosievert. Zum Vergleich: Ein Flug von Frankfurt nach New York und zurück führt zu einer durchschnittlichen effektiven Dosis von ca. 100 Mikrosievert (µSv). (Bundesamt für Strahlenschutz)

Hat eine Charge bei allen Messungen am Kraftwerk bestanden, misst auch der Bund das Material noch final, bevor es das Gelände verlassen darf.

Bernd Kaiser:

"Unsere Behörde muss anschließend die Freigabe noch testieren und bestätigen. Sie kommen aber mit ihrem eigenen Messgerät. Und wenn sie sagen, dass es in Ordnung geht, gibt es [ein Bestätigungsformular]. Dann erst dürfen wir den Entsorger anrufen und sagen, dass er die Charge abholen kann. Dann kann es zum Einschmelzen oder zum Verwerten oder zum Verbrennen oder was auch immer damit gemacht wird."

Die Kraftwerksleitung klärt aktuell erste Konzepte, was nach dem Rückbau mit dem Gelände passieren soll.

Bernd Kaiser:

"[Es gibt] viele Projekte, die hier gerne am Standort tätig werden wollen. Elektrolyseur zum Beispiel. Oder Batteriespeicher oder Solaranlage. Die brauchen auch eine gewisse Vorlaufzeit, bis sie ihre Genehmigungen haben. Dementsprechend fangen wir jetzt an, uns Gedanken zu machen, sodass dann ab dem Jahr 2034/35 hier hoffentlich etwas Neues entsteht."

Für die Zukunft will die Kraftwerksleitung noch dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter nach Ende des Rückbaus direkt in neue Stellen vermittelt werden können. Kaiser nimmt daher schon frühzeitig Kontakt mit Firmen aus Branchen auf, die in Zukunft Verwendung für qualifizierte Fachkräfte haben. Das muss nicht zwangsweise im Bereich der Kernkraft liegen.

Bernd Kaiser:

"Wenn wir mal an den Moment kommen, wo bei mir eine Aufgabe für einen Mitarbeiter wegfällt, [kontaktiere ich Unternehmen]. Zum Beispiel gehe ich zum Bayernwerk und sage 'Pass auf, ich habe da einen Elektrotechniker oder einen Meister der E-Technik, kannst du den gebrauchen?' Und dann sagt hoffentlich das Bayernwerk 'Ja, na klar, weil gut ausgebildetes Personal vom Kernkraftwerk nehmen wir immer gerne.' So habe ich eine Möglichkeit geschaffen, den Mitarbeiter nahtlos übergehen zu lassen. Und er hat weiterhin eine Stelle. Das wäre natürlich auch toll, wenn das klappt."

Die saubere Demontage und mehrfache Messung jedes Bauteils kosten Zeit. Doch nur so kann sichergestellt werden, dass kein kontaminiertes Material aus dem Kraftwerksgelände gelangt und keine Schäden an Umwelt und Bevölkerung entstehen.

Sind Pflanzen über längere Zeit radioaktivem Material ausgesetzt, kann das ihr Wachstum beeinflussen oder sogar zum Absterben führen. Bei Tier und Mensch können gesundheitliche Probleme – im schlimmsten Fall sogar die Bildung von Krebs – auftreten.

Daher müssen beim Rückbau eines Kernkraftwerks höchste Sicherheitsanforderungen gelten, um solche Gefahren zu vermeiden. Auch wenn es am Ende über 15 Jahre dauert.

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