Sascha Lobo: "Auf den Datenschutz bin ich gerade etwas wütend"

Seite 2: Sascha Lobos Blick auf die neue Regierung

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Kannst Du mal Beispiele nennen, bei denen Du konkret von digitalpolitischem Versagen sprechen würdest?

Wir haben eine Vielzahl von Entscheidungen gesehen, die offensichtlich überhaupt nicht auf Basis von Evidenz, sondern als Verhandlungsspiel zwischen verschiedenen Interessen getroffen worden sind. Zum Beispiel das Leistungsschutzrecht oder auch die von Deutschland maßgeblich mitgeprägte Urheberrechtsrichtlinie, die auf europäischer Ebene dann dazu geführt hat, dass Uploadfilter im Raum stehen. Das sind Punkte, bei denen klar geworden ist, dass die verschiedenen Regierungen Merkel ihre Rolle bei der Digitalisierung nicht verstanden haben.

Olaf Scholz gibt sich wie eine zweite Angela Merkel. Wie optimistisch blickst Du auf die kommende Regierung?

Ich bin verhalten optimistisch. Ich werde aber keine Garantie abgeben, dass es auf jeden Fall besser wird. Dazu sind diese Zyklen, die Merkel geprägt hat, auch zu tief eingewoben in die deutsche Verwaltung, in die Administration und in die deutsche Gesellschaft selbst.

Noch mal zur Verwaltung: Der Soziologe Niklas Luhmann hat argumentiert, dass die Verwaltung als anonymes, sachliches und leidenschaftsloses Gebilde eine Funktion erfüllt. Sie schützt sich dadurch vor äußeren Einflüssen wie Personal, Politik oder Bürger, um verbindliche Entscheidungen zu gewährleisten, die für alle gleich gelten. Das ist ja erst mal durchaus positiv.

Ja, durchaus. Das ist ja auch eine Art politische Resilienz. Wir regen uns im Digitalkontext zwar immer auf, dass alles so wahnsinnig langsam voran geht. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, selbst wenn in einem Bundesland die AfD vier Jahre an der Macht wäre, könnte sie in dieser Zeit die Demokratie nicht komplett abschaffen. Sie ist quasi in die Verwaltung eingebrannt. In Zeiten des Wandels ist das aber ein echtes Problem. Wir haben in Deutschland nämlich auch einen "Fetisch des Funktionierens". Und dieser Fetisch macht es schwieriger, sich weiterzuentwickeln. Der Internet-Experte und Autor Clay Shirky hat davon gesprochen, dass Institutionen dazu neigen, das Problem zu erhalten, für dessen Lösung sie geschaffen wurden. Die Einflüsse von außen sind aber nicht immer böse oder politisch missbräuchlich, sondern manchmal auch einfach notwendig, um der Realität gerecht zu werden.

Wie lässt sich diese Abwehr von Einflüssen aufbrechen?

Ich weiß es nicht. Das ist einer der vielen Gründe, warum ich jetzt nicht unmittelbar vorhabe, übermorgen in die Politik zu gehen. Weil ich die Problemlage sehe und mir nicht klar ist, wie man das löst. In Talkshows muss ich mir von politisch mächtigen Menschen regelmäßig den Vorwurf anhören, dass ich gut reden habe und immer nur kritisiere, aber selbst nichts umsetzen muss. Und bis zu einem bestimmten Punkt stimmt das ja auch. Das macht meine Kritik aber nicht falsch.

Sprechen wir übers künftige Kabinett. Das Thema Digitalisierung liegt wieder beim Verkehrsministerium. Auch dieses Mal wird es also kein eigenständiges Digitalministerium geben. Du sprichst dich allerdings klar für ein solches aus. Warum?

Ich habe einen Über-Grund, warum ich ein Digitalministerium für sinnvoll halte. In Deutschland funktioniert Politik trotz dieser Verwaltungszähigkeit noch immer wahnsinnig symbolisch. Deswegen wäre schon das Symbol der Zuständigkeit und eine adressierbare Person, die zuständig ist, sehr wertvoll. Der Finanzminister kann sich auch nicht rausreden, wenn es um Finanzen geht. Und diese Adressierbarkeit, die zieht eine öffentliche Verantwortung nach sich. Das würde ich mir im Digitalen auch wünschen.

Zuständigkeit klingt wieder sehr nach deutscher Verwaltung.

Machen wir doch mal die Gegenprobe, die auf uns ja jetzt mehr oder weniger zukommen wird. Digitalisierung wird zum Querschnittsthema, wir haben kein dezidiertes Ministerium. Und wenn ich dann wieder kritisiere, was dringend getan werden müsste, dann können die Ministerien die Verantwortung wegdelegieren und sagen: "Wir würden ja gerne, aber das ist ein Querschnittsthema, da sind wir nicht zu 100 Prozent zuständig." Und zack ist der ganze politische Druck wegmoderiert.

Sascha, fernab von Druck, Zwängen und Pandemie-Sorgen: Wenn wir ein paar Jahre in die Zukunft blicken: Was ist für Dich vom jetzigen Zeitpunkt aus gesehen die spannendste Entwicklung in der digitalen Welt?

Ich finde sehr interessant, was gerade mit Facebook passiert. Das "Metaverse" und die Umbenennung in "Meta" halte ich für wegweisend. Nicht, weil ich ein großer Fan von Mark Zuckerberg bin, sondern weil ich glaube, dass eine Verschmelzung der Welten das ist, was als übernächste Digitalisierungsstufe auf uns zukommt. Wenn die nächste Stufe von Künstlicher Intelligenz getrieben ist, dann verstehe ich die übernächste als Verschmelzung der digitalen und physischen Welt. Damit ist ein unfassbares Potenzial der Transformation verbunden.

Kannst Du das genauer erklären? Inwiefern findest Du das Potenzial unfassbar?

Mark Zuckerberg hat in dem Zusammenhang mal gemeint, wenn wir erst ein Metaverse haben, dann wird ein Flatscreen nicht mehr ein dingliches Produkt sein, sondern zu einer 1-Dollar-Anwendung, die du eigentlich auf deiner Augmented-Reality-Brille verwendest. Diese Form von Transformation, diese Form von Vitalisierung auf einer hohen vernetzten Ebene halte ich für einen gigantischen Schritt. Ob das in fünf oder in zehn Jahren so weit sein wird, weiß ich nicht. Aber die Auswirkungen einer solchen Form der Digitalisierung können wir heute weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich fassen.

Das klingt allerdings noch sehr unkonkret. Nette virtuelle Umgebungen für den Arbeitsplatz gibt es jetzt schon, werden aber wenig genutzt.

Ich rede jetzt nicht davon, dass man einfach tolle Meetings in einem Metaverse abhalten kann. Ich meine etwas anderes. Wir sind dann einen Schritt davon entfernt, das Smartphone als Kristallisationspunkt des digitalen Kapitalismus abzulösen. Und dieser eine Schritt wäre eine Augmented-Reality-Brille. Wenn Apple zum Beispiel zwischen 2022 und 2024 eine solche Brille auf den Markt bringen sollte, die einen digitalen Layer für dich jederzeit sichtbar über die Welt projiziert, dann werden die Karten neu gemischt. Das Metaverse ist nur ein Symbol für diese Entwicklung. Ich bin mir nicht mal sicher, ob Facebook die treibende Kraft dahinter sein wird.

(lca)