Sascha Lobo: "Auf den Datenschutz bin ich gerade etwas wütend"

Seit langem appelliert der Netzexperte an die Politik, Digitalisierung voranzubringen. Im Interview erklärt er, warum vor allem in der Verwaltung so wenig geht.

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(Bild: Ole Witt)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

Sascha Lobo ist einer der bekanntesten Digital-Experten des Landes. Immer wieder hat er in den vergangenen Jahren die deutschen Digital- und Netzpolitik scharf kritisiert und unter anderem den schleppenden Ausbau der digitalen Infrastruktur und Verwaltung kommentiert. Mit der neuen Regierung kommt jetzt Hoffnung auf, dass die Digitalisierung im Land endlich vorankommt. Das ist zumindest das Ziel der Ampel-Koalitionäre.

MIT Technology Review hat im Rahmen eines Digitalisierung-Schwerpunkts in der neuen Ausgabe mit Lobo darüber gesprochen, welche Hoffnungen er persönlich in die neue Regierung setzt. Im Interview erklärt er, warum speziell die deutsche Verwaltung so resistent gegen Veränderungen ist, was wir von Ländern wie Spanien bezüglich eines digitalen Pandemie-Managements lernen können und warum er es falsch findet, dass es in der neuen Regierung kein eigenständiges Digital-Ministerium gibt.

Lieber Sascha, wie fühlt es sich eigentlich an, in all den Jahren, in denen Du die digitale Infrastruktur in Deutschland angeprangert hast, nicht richtig Gehör gefunden zu haben?

Es ist sogar ein wenig schlimmer. Denn ich habe durchaus Gehör gefunden. Ich bin ja in der Öffentlichkeit als Digitalvogel bekannt und habe so in den vergangenen Jahren eine Beziehung zur Politik entwickelt. Dadurch konnte ich das Anliegen der digitalen Infrastruktur bei den richtigen Leuten immer wieder anbringen. Das heißt, die Frage müsste eigentlich lauten: "Wieso haben sich ungefähr drei Bundesregierungen mit dem jeweils Zuständigen das angehört und gesagt: ‚Ja, du hast recht, lieber Sascha!‘ – und es ist trotzdem nichts passiert?"

Und warum ist fast nichts passiert?

Diese Gründe sind leider in sehr großer Zahl verwoben mit dem Fundament der Nicht-Digitalität Deutschlands. Deshalb reden wir bei der katastrophalen digitalen Infrastruktur in erster Linie "nur" von einem Symptom der Dysfunktionalität Deutschlands.

Was meinst Du mit "Dysfunktionalität Deutschlands"?

Wir haben eine komplette Überbürokratisierung und unglaublich lange Zyklen von Erneuerung. Wir haben – nicht nur, aber auch – aus Altersgründen gegenüber bestimmten digitalen Entwicklungen eine gewisse Abwehrhaltung weiter Teile der Bevölkerung. Wir haben eine Dysfunktionalität bezüglich komplett versaubeutelter Langzeit-Bauprojekte, die zwischen Bürokratisierung, mangelnder Digitalisierung und mangelnder Einsicht ganzer Teile der Verwaltung und Administration entsteht. Das sind alles Mechanismen, die ich als ein Fundament der Dysfunktionalität dieses Landes betrachte. Das ist ein Amalgam aus "wir können nicht", "wir wollen nicht" und "wir haben auch keine Lust, das zu ändern". Und diese Dysfunktionalität wird jetzt während der Pandemie extrem deutlich.

Technology Review 1/2022

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Wie hemmt uns diese Dysfunktionalität beim Pandemie-Management?

In der Pandemie hätte eine Digitalisierung massive Vorteile ergeben. Das ist deswegen nicht geschehen, weil Deutschland als überbürokratisiertes Land so viele Anforderungen an die richtige Form einer digitalen Gesundheitsverwaltung gehabt hätte. Die Akteure hätten in einer solchen Tiefe anfangen müssen, ihre Prozesse zu digitalisieren und auch softwareseitig abzubilden, dass sie gesagt haben: "Das können wir nicht. Dafür haben wir nicht genug Geld, dafür haben wir nicht genug Know-how. Deswegen bleiben wir einfach beim Fax."

Was können wir denn bezüglich des Pandemie-Managements von anderen Ländern lernen?

Dazu müssen wir einfach nach Spanien schauen. Dort liegt die Impfquote in bestimmten Altersstufen bei über 95 Prozent. Das hängt damit zusammen, dass sie frühzeitig das Gesundheitssystem sehr digital aufgestellt haben – und dann Prozesse planen konnten wie: Wo muss wie viel Impfstoff zu welchem Zeitpunkt sein, damit wir die Bevölkerung richtig impfen können? Dort ist bekannt, wer wo wann wohnt und welchen Termin hat, ohne dass es logistisch zur Katastrophe wird. Die direkte Ansprache der Menschen ist auch digital passiert, nämlich über Textnachrichten, in denen klar gesagt wurde: "Bitte finde dich da und dort zu diesem Zeitpunkt ein." Es gab eine Art Beweislastumkehr: Die Behörden sind erst mal davon ausgegangen, dass alle Menschen sich impfen lassen. Die Bürger, die sich überhaupt nicht impfen lassen wollten, mussten explizit aussteigen und klicken: "Ich will nicht."

Ein solches Vorgehen hätte in Deutschland vermutlich die Datenschützer auf den Plan gerufen.

Das ist eine Verhinderungsbürokratie. Alle Datenschützer springen ständig aus dem Busch und sagen: "Nee, wir haben nichts verhindert im Coronabereich." Das halte ich einfach für Bullshit. Die Drohkulisse, die im Datenschutzkontext aufgebaut worden ist, hat dazu geführt, dass in den Behörden lieber nichts gemacht wurde. Dann einfach das Fax weiterbenutzen, weil das ja datenschutzkonform ist, was übrigens so nicht mehr stimmt. Die Bremer Datenschutzbeauftragte hat in diesem Jahr nämlich festgestellt, dass das Fax heute eben nicht mehr datenschutzkonform ist. Ich wünschte, ich würde mir das alles ausdenken, was aber leider nicht so ist. Aber lass uns nicht über Datenschutz sprechen, da bin ich einfach gerade etwas wütend.

Welche Rolle hat Angela Merkel für das Scheitern der Digitalisierung in Deutschland gespielt?

Angela Merkel hat radikal auf Stabilität gesetzt, obwohl man eigentlich den Wandel hätte provozieren, begleiten und ausgestalten müssen – und zwar nicht nur im Bereich der Digitalisierung. Irgendwann ist der Wandeldruck so groß, dass Stabilität dann nur noch eine Art "Tanz um sich selbst" ist. Und nur wenn man das Digitale nicht wertschätzt und die Funktion des Digitalen nicht auch als mögliche Weiterentwicklung begreift, nur dann lässt sich diese Merkel’sche Definition von Stabilität überhaupt weiter aufrechterhalten. Ich habe nichts gegen Stabilität, aber: Stabilität braucht dringend ein Update.