Schach mit Patenten

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Derweil wartet die nächste große Herausforderung auf die Münchener Ämter. "Wir werden uns mit der Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden auseinander setzen müssen", prophezeit Jürgen Schade, "dafür ist das Kriterium des technischen Effekts nicht mehr adäquat." Wieder gibt Amerika die Richtung vor: Dort wurde bis vor sechs Jahren so gut wie kein Patent auf eine Geschäftsmethode erteilt, bis ein weich formuliertes Gerichtsurteil die Tore öffnete. "Patente auf Geschäftsmethoden werden auch in Europa kommen", sagt Max-Planck-Jurist Hilty.

Der Atlantik trennt zwei grundlegend verschiedene Patentkulturen. "In den USA herrscht ein viel umfassenderes Verständnis von geistigem Eigentum", sagt EPA-Präsident Kober. Während die europäischen Ämter darauf achten, nur technische Erfindungen mit deutlichem Neuigkeitswert zu schützen, erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten 1980, patentierbar sei "alles Menschengemachte unter der Sonne". Offenbar nimmt das Patentamt in Washington diesen Spruch wörtlich: Es hat zahlreiche Patente mit äußerst zweifelhafter Erfindungshöhe erteilt, darunter in den letzten Jahren für ein Lasagnerezept, einen Weihnachtsmann-Melder und eine Antenne zur Übertragung von Signalen "schneller als Licht". Der Spaß hört auf, wenn solche Trivialpatente wichtige Technologiebereiche berühren - und damit zum Raubritter- tum verleiten. So behauptete die British Telecom vor vier Jahren allen Ernstes, dass eines ihrer alten Patente sich auf die Weiterleitung durch Hyperlinks im World Wide Web erstrecke, und verklagte amerikanische Internet-Anbieter auf Lizenzzahlungen. Dabei zeigt der Fall, dass Trivialpatente auch in Europa lauern: Vor dem U. S. Patent and Trademark Office hatte schon das Patentamt des Vereinigten Königreichs den Antrag der British Telecom durchgehen lassen.

FÜR DIE ÄMTER KOMMT ES DARAUF AN, tunlichst das richtige Maß an Strenge bei der Patentvergabe zu finden. "Man sollte nicht jede kleine Idee schützen", sagt einerseits Max-Planck- Direktor Reto Hilty, "sondern nur Erfindungen, die wirklich wesentliche Fortschritte bedeuten." Andererseits erinnert der Düsseldorfer Patentanwalt Helge Cohausz daran, dass "viele kleine Verbesserungen oft wertvoller sind als eine große. Wer den Rasierapparat ganz neu erfinden will, wird kaum beim Kunden landen."

Gewinnen oder verlieren Patente an Bedeutung durch all das Lizenzieren, Prozessieren und Feilschen? Es ist vielleicht zu früh für eine Antwort. Das Vorbild USA weist derzeit eher in die falsche Richtung: "Die Rechtsstreiterei hemmt den Markt", sagt IP-Experte Kevin Rivette. Wobei gerade diese Beschwerlichkeiten den Unternehmen durchaus wichtige Lektionen erteilen könnten: "Wenn man richtig mit ihnen umgeht, leiten Patente Kooperationen ein, statt sie zu zerstören." Wenn Patente zur Basiseinheit für den Rohstoff Wissen taugen sollen, müssten sich Regeln etablieren, ihren Wert zu beziffern. Damit tun sich selbst große Unternehmen schwer: Sie können zwar ihre Maschinen bewerten, nicht aber ihr Patentportfolio. Deshalb bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Patentaustausch- Abkommen "nach Stapelhöhe" zu verhandeln -- man zählt die Patente der beiden Partner schlicht gegeneinander auf. Klar, dieses Patentezählen sei eigentlich "Quatsch", räumt ein deutscher Patentmanager ein, dessen Arbeitgeber es selbst praktiziert. Denn ein gutes Patent kann tausend schlechte aufwiegen. Die Siemens'schen Mobilfunkpatente sind gehaltvoller als die Schutzrechte eines Autoherstellers an einem Scheibenwischersystem.

Zur annähernden Bezifferung von Patenten in Euro und Cent bedienen sich professionelle Patentbewerter wie die IPB in Hamburg komplizierter statistischer Methoden der Ähnlichkeitsanalyse in Patentdatenbanken. Doch womöglich könnte nur der freie Markt mit seinem Preismechanismus verlässliche Geldwerte für Patente bestimmen. "Ein Patent ist so viel wert, wie ein anderer dafür zahlt", sagt IBM-Schutzrechtsmanager Fritz Teufel.

Wie auch immer man zum Handeln und Taktieren mit Schutzrechten stehen mag - sie sind Realität, mit der umgehen muss, wer mit Technologie sein Geld verdienen will. Dabei sind Patente an sich weder Segen noch Fluch. Es verhält sich mit ihnen wie mit D-Mark und Euro: Wenn Staat und Wirtschaft die Ideenwährung vernachlässigen, vernichten sie zuerst die Ersparnisse der kleinen Leute: der jungen Forscher und Unternehmen. Bei sorgfältiger Pflege können sich Patente zur stabilen Grundlage für Wohlstand entwickeln, nicht nur im Dienst der Mächtigen.

(Entnommen aus Technology Review Nr. 6/2004) (sma)