Schlapphund + Hasendingens = Anarchie: 30 Jahre "Sam & Max Hit the Road"​

"Sam & Max Hit the Road" nimmt es locker mit "Day of the Tentacle" auf. Es kommentiert den American Way of Life mal mit Augenzwinkern, mal mit ätzendem Humor.

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(Bild: LucasArts)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Gerald Himmelein
Inhaltsverzeichnis

Ältere Semester schwärmen gerne davon, dass die frühen 90er-Jahre das goldene Zeitalter der Grafik-Adventures waren. 1993 veröffentlichte das Spiele-Studio LucasArts gleich zwei Klassiker des Genres: "Day of the Tentacle" und "Sam & Max Hit the Road".

Auf den ersten Blick gibt es starke Ähnlichkeiten: Beide Adventures setzen auf kunterbunte Cartoon-Optik und professionelle Animations-Sequenzen, nehmen die Spieler und sich selbst auf die Schippe und sind lückenlos mit professionellen Sprechern vertont. Was heute Standard ist, war damals überaus innovativ – ebenso wie ein Soundtrack, dessen Stimmung und Melodien sich dynamisch an die Handlung anpasst.

Bei näherem Hinsehen unterscheiden sich die beiden Titel jedoch deutlich: "Day of the Tentacle" (DOTT) leistet sich immer wieder freche Witze, "Sam & Max Hits The Road" ist hingegen pure Anarchie. DOTT dreht sich um nichts Geringeres als um die Rettung der Welt vor der Machtübernahme durch ein größenwahnsinniges purpurfarbenes Tentakel (doch, wirklich). Sam & Max sind "freiberufliche Polizisten", die im Zuge einer schrägen Vermisstenmeldung quer durch die USA reisen. Hier ist der Weg das Ziel; die Lösung des eigentlichen Falls verkümmert irgendwann zur Fußnote.

Alles beginnt damit, dass ein Vergnügungspark der Polizei meldet, es sei eine Attraktion abhandengekommen: ein in einem Eiswürfel gefangener "Bigfoot". Die Spur führt Sam & Max in ihrem DeSoto-Straßenkreuzer auf eine Reise quer durch die USA, von einer fragwürdigen Touristenfalle zur nächsten.

Ach ja, eins hätte ich fast vergessen: Sam ist ein sprechender Hund im Outfit eines Film-Noir-Detektivs mit Schlapphut und Trenchcoat, dessen nasale Stimme und ungerührter Tonfall gewiss nicht von ungefähr an Humphrey Bogart erinnern. Max ist ein fluffig-weißes "hasenartiges Ding" (Rabbity Thing). Sam ist durchgehend tiefenentspannt, Max hingegen allzeit gewaltbereit. Gemeinsam arbeiten sie im Auftrag der örtlichen Polizei. Die beiden sind ein ebenso klassisches Comedy-Duo wie Laurel & Hardy, Key & Peele, Bush & Cheney.

Max, das hasenartige Ding, ist nicht gerade zimperlich.

(Bild: LucasArts)

Sam & Max sind eine Erfindung des Zeichners und Spiele-Designers Steven Purcell. Er entwickelte die beiden Figuren in seiner Kindheit und veröffentlichte 1987 erste Comics mit den beiden. Als Purcell bei LucasArts anfing, wurden Sam & Max schnell zu inoffiziellen Maskottchen und Gegenstand interner Schulungsunterlagen. Bald tauchten Comics mit Sam & Max im LucasArts-Newsletter "The Adventurer" auf. LucasArts-Entwickler versteckten Max in zahlreichen Spielen als Easter Egg – analog zu Disneys "Hidden Mickey". Mitunter fielen die Insider-Gags derart auf, dass Max in der Wookieepdia sogar als Bestandteil des "Star Wars"-Universums vorkommt.

So begann 1992 die achtmonatige Entwicklung von "Sam & Max Hit the Road". Musikstil und Hintergrundgrafik ähneln DOTT nicht von ungefähr: Für den Soundtrack zeichnen auch hier Clint Bajakian, Peter McConnell und Michael Land verantwortlich; die von Purcell vorgezeichneten Hintergrundbilder wurden von Peter Chen fertiggestellt.

Dass beide Spiele von derselben Engine angetrieben wurden, ist hingegen nicht so offensichtlich. In der ursprünglichen Version von DOTT war der Bildschirm zweigeteilt: Unten waren neun Wörter sowie das Inventar zu sehen, das eigentliche Spiel fand auf einer darüberliegenden 16:9-Fläche statt. Zur Interaktion klickten Spieler erst unten auf ein Verb (Give, Pick Up, Use, Look at ...), dann auf ein Objekt oben.

Sam, Hund mit Schlapphut und Retter bedrängter Frauen.

(Bild: LucasArts)

In "Sam & Max Hit the Road" nimmt das Gameplay hingegen den kompletten Bildschirm ein; eine Kiste unten links führt zum Inventar. Ein Rechtsklick wechselte die Interaktionsmethode, wozu der Mauszeiger zu weitgehend selbsterklärenden Symbolen wechselte (Hand, Auge, Mund, ...). Diese Form der Steuerung ist so intuitiv, dass Abwandlungen davon zum Genre-Standard wurden – darunter auch in den Remaster-Versionen klassischer LucasArts-Adventures wie "Monkey Island" und "Day of the Tentacle".

Hat DOTT drei Helden, ist in "Hit the Road" Schlapphund Sam die einzige direkt steuerbare Figur. Max lässt sich nur indirekt einsetzen: Hierfür wird erst der "Benutzen"-Cursor auf Max angewandt, worauf er sich in einen Maxzeiger verwandelt, der dann mit anderen Gegenständen kombiniert werden kann.

In ihrem abgewrackten Polizeiauto brausen Hund und Hase von einer absurden Sehenswürdigkeit zur nächsten: die weltgrößte Zwirnkugel, ein Fischerparadies, ein Golfplatz mit Alligatoren, das Museum eines napoleonischen Country-Stars, Burger-Restaurants am Straßenrand – einiges davon freundliche Parodien, andere beißende Satiren real existierender Americana.

Das ist vielleicht der Grund, warum Sam & Max in Deutschland zwar sehr gut ankam, sein Ruhm aber gegenüber "Day of the Tentacle" etwas verblasst ist: DOTT spielt mit der US-amerikanischen Geschichte, Hit the Road jongliert hingegen mit dem dortigen Lebensstil der Jetztzeit, dem "American Way of Life".

Am Straßenrand gebaute "Roadside Attractions" sind eine typisch amerikanische Erscheinung: Gab es auf einem Fleck der USA keine althergebrachte Sehenswürdigkeit, wurde eben eine aus dem Boden gestampft. Ein "weltgrößtes Wollknäuel" mag absurd klingen, doch gibt es in den USA gleich mehrere Attraktionen dieses Typs, die sich den Titel gegenseitig streitig machen. Einer davon wurde sogar von Weird Al Yankovic besungen, The Biggest Ball of Twine in Minnesota, drei Jahre vor Sam & Max's Rundreise. Plötzlich erscheint gar nicht mehr so lächerlich, dass sich ein Entrepreneur damit abfindet, dass auf seinem Golfplatz die Alligatoren frei herumlaufen und er seine Attraktion dementsprechend umgestaltet. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Satire zur Realität wird...