Schule digital: Was Digitalität (für die Schule) bedeutet

Seite 3: Analoge und digitale Medien

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Zuerst eine scheinbar veraltete und dennoch aktuelle Frage: Wie kann die Digitalisierung in der Schule aussehen? Als sie vor Jahren aufkam, fehlten die heutigen Antwortmöglichkeiten. Die damalige Antwort war (sofern nicht ablehnend): digitale Lernprogramme. Diese sollten als Ergänzung zu analogen Lernmaterialen eingesetzt werden. Im Schema dieser Antwort werden bis heute die meisten Diskussionen geführt: Wenn es erprobte analoge Lernmaterialien und zusätzlich "neue" digitale Lernmedien gibt, wann sollen letztere eingesetzt werden?

Der Streit zwischen dem analogen und dem digitalen Lager ist vorprogrammiert.

Die Denkweise der Digitalität sieht anders aus: Wir haben verschiedene Formen, um miteinander zu kommunizieren. Mündliche, schriftliche, mediale (Fotos, Videos etc.) und neuerdings auch digitale. Für alle diese Formen gelten unterschiedliche Bedingungen. Diese schaffen damit zugleich unterschiedliche Möglichkeiten: Mündlich geht nur bei gleichzeitiger Anwesenheit. Schriftlich geht auch ohne Anwesenheit, hat aber dann das Problem der fehlenden Rückfragemöglichkeit.

Digitale Kommunikation mischt diese Bedingungen komplett durch. Sie ist digital-schriftlich und lässt trotzdem unmittelbare Rückfragen zu. Sie ist digital-mündlich und lässt räumliche Getrenntheit zu. Noch viele andere Kombinationen sind digital möglich, vor allem in Kombination mit medialen Formen wie Foto, Video und Funktionalitäten einzelner Anwendungen wie Likes oder Memes. Zusammengefasst bedeutet digitale Kommunikation in der Schule weniger Beschränkungen und eine schier unglaubliche Vielzahl von neuen Möglichkeiten, um kommunikativ zu interagieren.

Lernen ist Kommunikation. Ein Schulbuch, ein Arbeitsblatt sind genauso Formen der Kommunikation wie das Unterrichtsgespräch oder die Korrektur einer Arbeit. Wenn das Arbeitsblatt nicht "ansprechend" ist, schlägt Kommunikation schnell fehl. Das muss nicht unbedingt an demjenigen liegen, der die formularhaften Lücken auszufüllen hat. Stellen Formulare tatsächlich ein adäquates Muster dar, um mit Kindern über Inhalte zu kommunizieren? Sind sie nicht schon immer aus einer Not heraus geboren, weil es nicht möglich war, anders zu kommunizieren? Ich kann jedes Kind nachvollziehen, das beim Ausfüllen von Arbeitsblättern nach lebendiger Kommunikation zu Mitschüler:innen Ausschau hält.

Die Unterscheidung von analogen und digitalen Medien wird in der Perspektive der Digitalität komplett unwichtig. Kommunikation ist immer auf Gelingensbedingungen ausgerichtet, nicht auf eine analoge oder digitale Verfasstheit ihrer Form.

Wenn man es aus alter Gewohnheit nicht lassen will, von Medien zu sprechen, dann sollte man eine andere Unterscheidung diskutieren, die der Denkweise der Digitalität viel mehr entspricht: Es gibt zentrale und dezentrale Medien. Ein zentrales Medium ist beispielsweise die klassische Tafel. Auch ein Smartboard ist ein zentrales Medium und zu Recht wurde der Fortschritt dieser Art von Digitalisierung angezweifelt.

Für dezentrale Medien ist charakteristisch, dass sie eine individuelle Anpassung ermöglichen. Das Internet mit seinen Möglichkeiten zur Nutzung von Algorithmen kann in diesem Sinn als ein sehr dezentrales Medium verwendet werden. Aber auch viele traditionelle Lernmaterialien sind dezentral. Beispielsweise entsteht in der Nutzung eines Multiplikationsbretts (ein Holzbrett entworfen nach Maria Montessori) eine individuelle Lernsituation. Im Verlauf der eigenen Aktivität verändert sich das Lernmaterial und ermöglicht damit individuelle Einsichten.

Die Frage, ob etwas analog oder digital ist, tritt mit der Unterscheidung in zentrale und dezentrale Medien zurück – genau wie in der Denkweise der Digitalität. Ein dezentrales Medium zu sein, ist häufig ein Vorteil von digitalen Medien, aber kein Alleinstellungsmerkmal. Wie die Denkweise der Digitalität überwindet die Unterscheidung von zentralen und dezentralen Medien den digitalen Dualismus.

Das Nachdenken über Digitalität lässt uns die grundsätzlichen Bedingungen in den Blick nehmen, unter denen am Lernort Schule kommunikativ gehandelt wird. Die Denkweise der Digitalität vergegenwärtigt, dass Schulentwicklung viel darin besteht, an den Bedingungen gelingender Kommunikation zu arbeiten. Ob diese Kommunikation analog-mündlich, analog-schriftlich oder digital-mündlich und digital-schriftlich erfolgt, das macht in einer digitalen Kultur keinen grundsätzlichen, sondern eher einen praktischen Unterschied. Erhebliche Probleme macht es dagegen (und das hat die Coronakrise deutlich gemacht), wenn Schule meint, sich aus der digitalen Kultur heraushalten zu können.

Zu unserer Serie "Schule digital" finden Sie auch diese Beiträge:

(kbe)