Ein Hashtag treibt die 3D-Drucker-Hersteller vor sich her: Die #SpeedBoatRace

3D-Drucker schichten gemächlich Plastikbahnen übereinander. Aber seit drei Jahren tun sie das plötzlich viel schneller dank der #SpeedBoatRace.

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Inhaltsverzeichnis

Das Video zeigt das Bett eines 3D-Druckers, daneben ein Smartphone mit der Timer-App offen. Das Hotend fährt gemächlich den Nullpunkt der X- und Y-Achse an, ein Finger startet den Timer und die Hölle bricht los: Zu hören ist ein laut ratterndes Getöse, das ein bisschen an das Geräusch einer Nähmaschine erinnert. Im Bild verschwimmt das Hotend in Bewegungsunschärfe. Nur hin und wieder fängt ein Einzelbild der Kamera den Druckkopf in einer sechzigstel Sekunde so ein, dass er einen Wimpernschlag lang erkennbar ist. Das Video sieht aus wie ein Zeitraffer in der Schicht für Schicht ein Boot aus dem Druckbett wächst. Aber der Timer auf dem Smartphone beweist: Was hier zu sehen ist, passiert in Echtzeit, der Drucker ist wirklich so schnell.

Nach drei Minuten kommt die Maschine zur Ruhe. Auf dem Druckbett steht ein geschichteter Plastikhaufen, der mit etwas Fantasie die Form des Benchmark-Objekts Benchy, einem niedlichen Boot hat. Der Rumpf hat Beulen, zwischen Reling und Kabine spannen sich Plastikfäden, die da nicht hingehören, der Schornstein ist zur Seite geflossen und ein formloser Haufen. Der Finger stoppt den Timer. Das Video endet. Was soll das?

FDM-3D-Drucker sehen zwar nur rudimentär so aus, wie das Patent sie beschrieb. Trotzdem konnte Stratasys die Konkurrenz damit 20 Jahre davon abhalten, eigene FDM-Drucker zu verkaufen.

Von 1989 bis 2009 besaß die Firma Stratasys das Patent auf FDM-3D-Druck. Die Firma gestaltete die Lizenzen so, dass es effektiv nur 3D-Drucker von Stratasys gab. Die Maschinen waren gut, aber auch sehr teuer. Nur wenige Unternehmen leisteten sich einen 3D-Drucker, im Alltag begegnete man den geschichteten Plastikteilen nie. Alles änderte sich mit Adrian Bowyer, einem britischen Professor, mit der Idee einer Maschine (Replicating Rapid-Prototyper, kurz RepRap), die sich weitgehend selbst herstellt, der 2005 den ersten bezahlbaren 3D-Drucker erfand. Die philosophische Idee des Replizierens setzte sich nicht durch; die Herstellungsmethode aber schon; vor allem in Form der i3-Maschine des Entwicklers Prusa. Bei diesem 3D-Drucker bewegt sich das Druckbett in Y-Richtung, der Kopf in X und Z. Ein „Bettschubser“. Das Konzept wurde hundertfach von chinesischen Herstellern kopiert, deren Maschinen sich im Preis ständig unterboten, bis man letztlich 3D-Drucker für weniger als 200 Euro kaufen konnte.

Der Preiskampf machte die Technik für jeden erschwinglich, ruinierte aber ihren Ruf: Ständig ging an den Bettschubsern etwas kaputt, viele funktionierten direkt nach dem Auspacken schon nicht. Aus den mangelhaften Produkten wurde ein Hobby. Ruckzuck enthielt Thingiverse, die damals verbreitete Plattform für 3D-Druck-Designs vor allem Teile, um die Drucker zu verbessern, die sie herstellten. Mit genug Tuning konnte ein billiger Drucker mit Industriemaschinen über 1000 Euro mithalten. Ein attraktives Betätigungsfeld für Tüftler und Hobby-Maschinenbauer, die schon bald ähnlich viel Forschung in die Technik steckten, wie namhafte Hersteller teurer Industriemaschinen.

Mit besseren Internetanschlüssen zog die Community von RepRap-Forum zu Hackaday, Reddit und YouTube um. Die Open-Source-Firmware Marlin wurde zum Industriestandard und die brandneue freie Klipper-Firmware erfand einen Weg, um die größere Rechenleistung von ARM-Prozessoren wie im Raspberry Pi auch für schönere FDM-Drucke zu nutzen. Anet, Creality und Tevo boten immer weniger die richtige Basis für ambitionierte 3D-Drucker-Tuner mehr an.

Für Vorons kann man Bausätze kaufen. Der YouTuber CNC-Kitchen hat hier einen Voron 2.4 mit dem Bausatz von LDO aufgebaut.

(Bild: CNC-Kitchen)

Mit dem Voron verwirklichten sich Maker endlich den Traum-3D-Drucker, den die Hersteller nicht anboten. Dank des raffinierten Wegs, den die Riemen beim CoreXY-Prinzip nehmen, können die drei schweren Motoren für Bewegungen in X, Y und Z-Richtung fest am Rahmen angeschraubt sein. Bewegt wird nur ein Portal und der eigentliche Druckkopf. Für die Präzision beim Drucken bringt das gar nichts - die längeren Riemen wären eher ein Problem, falls sie nicht ausreichend gespannt sind. Aber eine kleinere Menge bewegte Masse versetzt den Drucker weniger in Schwingungen und daher kann sich der Druckkopf auch schneller bewegen. Mit dem so erreichten Sprung bei der Druckgeschwindigkeit war das Rennen eröffnet!

Wer schnell drucken will, hat viele Probleme: Neben mangelnder Stabilität beim Rahmen muss auch das Hotend genug Plastik schmelzen können, aus der Düse soll aber auch nicht ständig ein Faden heraussuppen und bei mangelnder Kühlung wird der gedruckte Plastikhaufen nie fest. Schnelle Drucker müssen also in allen Belangen Premiumgeräte sein: mächtige Motoren, stabile, spielfreie Linearführungen, High-Flow-Hotend, Lüfter mit überragendem Volumenstrom. Dazu kommen die Innovationen aus der Industrie, bei der die Selbstbau-Drucker natürlich mithalten sollen: Schnelle Bettheizung, flotte Düsenwechsel, automatische Bettnivellierung und beschichtete Federstahlplatten auf einem magnetischen Bett, damit beim Druck alles haftet und sie die Teile danach problemlos ablösen lassen. Das Ergebnis dieser Optimierung begeistert Maschinenbauer so ähnlich wie ein Formel-1-Wagen Autofans begeistert.

Die Community brauchte dringend so etwas wie die Rennen der Formel 1. Ein Wettbewerb, bei dem die Tuning-Helden sich den gegenseitigen Respekt verdienen können. Den startete 2020 der YouTuber Annex Engineering mit einem Einladungsvideo zur #SpeedBoatRace. Die Regeln sind einfach: Man drucke ein Benchy mit ein paar Einschränkungen bei den Einstellungen (0,25 mm Schichthöhe, max. 0,5 mm Düse, zwei Perimeter, 10% Infill, PLA, Schrittmotoren) in möglichst kurzer Zeit. Mitmachen kann jede:r mit einem Video, das den Druck und gleichzeitig eine in Echtzeit laufende Uhr zeigt. Mit dem Hashtag #SpeedBoatRace veröffentlichen, fertig.

Das Video aus der Einleitung wäre damit erklärt. Aber warum ist ein Wettbewerb zwischen 3D-Druck-Nerds relevant für die ganze Branche? Zumal sich niemand die gedruckten Boote in die Wohnung stellen will. Die Antwort erschließt sich nach einem erneuten Blick auf die Auto-Branche: In den 50ern gab es genau wie heute Autos, mit denen man von Frankfurt nach Köln fahren konnte. Technisch hat sich in der Zeit aber viel getan. Heutige Autos sind in allen Belangen besser: schneller, sicherer, effizienter und bequemer. Ein Teil dieser Verbesserungen kam durch Produktentwicklung im Rahmen des normalen Automarkts. Aber einige Errungenschaften wurden auch aus der Formel 1 übernommen.

Manche technischen Probleme zeigen sich in Extremsituationen viel deutlicher als im Normalbetrieb. Beispiel: Lagerspiel im Zusammenhang mit Vibrationen. Wenn der Rennwagen oder 3D-Drucker heftig vibriert, kann die Reibung bei manchen Lagern so groß werden, dass sie ganz blockieren. Im Normalbetrieb wären sie nur etwas heiß geworden und es hätte etwas mehr Verschleiß gegeben. Letzteres ist ein Problem, das man erst nach Jahren erkennt. Das blockierte Lager erkennt man sofort und kann die Konstruktion gleich so verbessern, dass es weder im Normal- noch im Extrembetrieb Probleme gibt.

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Die #SpeedBoatRace bietet einen Anreiz, den eigenen 3D-Drucker so zu testen, dass sich all seine Schwächen deutlich zeigen. Einige davon kann man mit einer optimierten Kalibrierung abmildern, für andere mit wenig Aufwand eine Lösung konstruieren. Ein gutes Beispiel wären unsere hier vorgestellten Upgrades für den Ender 3 v2: Sie kosten wenig, steigern die Qualität aber deutlich.

Ganz ähnlich kann man auch bei den meisten anderen 3D-Druckern vorgehen und Tuning mit kleinem Budget betreiben. 3D-Drucker sind normalerweise nicht in der Lage, sich mit eigenen Bewegungen zu zerstören. Beim Tuning entstehen zwar haufenweise Fehldrucke, aber das Filament dafür ist nicht sonderlich teuer. Solange die Upgrades keine arg teuren Bauteile brauchen, lohnen sie sich meistens. Wer sich mit dem Tuning beschäftigt, lernt die Maschine und die Teile außerdem so gut kennen, dass zu teure Upgrades schnell von der Wunschliste fliegen.

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Wen die Racing-Lust packt, kann sich beispielsweise einen The 100 bauen. Wir stellen den 3D-gedruckten 3D-Drucker ausführlich in c’t 21 vor: Die Bauteile kosten weniger als 400 Euro und sein Entwickler hat es mit einer Zeit von 3 Minuten und 3 Sekunden auf die Weltrangliste geschafft. Das ist nur vier Plätze hinter dem aktuellen Rekordhalter 247printing mit 2 Minuten und 25 Sekunden.

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3D-Drucker sind im Rahmen der #SpeedBoatRace deutlich besser geworden. Einige der Top-Racer erklären anschaulich in ihren YouTube-Kanälen, wo und warum sie ihre Maschinen verbessert haben. Davon profitiert die Community nicht nur in Form von hervorragenden Tipps. Auch Hersteller haben die Erkenntnisse genutzt, sodass einige Drucker inzwischen von Haus aus als rasend schnelle Maschinen geliefert werden. Die Schattenseite dieser Entwicklung ist, dass Hersteller inzwischen mit Beschleunigungswerten werben, die die Drucker in der Praxis fast nie erreichen. Wir haben der Problematik im c‘t-uplink eine Folge gewidmet, in der wir Matt The Printing Nerd zu Gast hatten. Dort erklären wir auch, wie man die schnellen Drucker trotz übertriebener Marketing-Versprechen vergleichen kann.

Ein weiteres Problem ist das Benchy zusammen mit den Regeln der #SpeedBoatRace: Die sagen nichts zu Retractions, Pressure Advance, Layer-Adhesion und erlauben Under-Extrusion im Infill. Kurzum: Relevante Faktoren für qualitativ hochwertige Drucke sind nicht Teil der Optimierung für Bestzeiten beim Wettbewerb. Der schnellste Benchy-Drucker ist also nicht unbedingt der beste Drucker, um andere Teile zu drucken. Die Community könnte sich also durchaus noch einen anderen Wettbewerb ausdenken, um 3D-Drucker noch schneller und besser zu machen.

(pmk)