Starkregen vs. Hitze: Wie der Jetstream die aktuelle Wetterlage beeinflusst

Manch Mittelmeerurlauber mag sich in der Juli-Gluthitze insgeheim nach dem kühleren Nordeuropa gesehnt haben. Doch angenehm war es auch dort nicht.

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(Bild: Piyaset/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Am 24. Juli 2023 stieg das Thermometer im Südosten Sardiniens auf 48,2 Grad, einen neuen europäischer Hitzerekord für dieses Jahr, nur 0,6 Grad weniger als am 11. August 2021 im sizilianischen Syrakus.

Am selben Tag fielen im Süden Norwegens und in Südwest-Schweden zwischen 30 bis 35 Millimeter Regen. Es war um die 20 Grad warm und damit um zwei bis drei Grad kälter als im langjährigen Mittel.

In ganz Skandinavien, aber auch in England und Irland war es ein kühler, regnerischer und stürmischer Juli, also auch nicht gerade das, was man sich für einen Sommerurlaub wünscht. In Schweden fiel im gesamten Juli doppelt so viel Regen wie in den gleichen Monaten der Referenzperiode 1991 bis 2020. Nirgendwo stieg das Thermometer über 30 Grad und vor allem im Südwesten war es ungewöhnlich windig. Derart miese Julimonate zählte der schwedische Wetterdienst SMHI in den vergangenen 32 Jahren nur ganze sieben Mal.

SMHI-Meteorologe Sverker Hellström erklärte den schwedischen Urlaubern diesen enormen Wetterunterschied zwischen Nord- und Südeuropa mit der Lage des Jetstreams, dem Strahlstrom, der in Mäandern die Arktis umkreist. Der zeigte nämlich eine Ausbuchtung weit nach Süden, einen sogenannten "Trog", der bis zu den Alpen reichte.

Der Jetstream ist ein starker, mit 200 bis 500 Kilometern pro Stunde wehender Wind, der sich am oberen Rand der Troposphäre in acht bis zwölf Kilometern Höhe von West nach Ost wellenartig um die Pole schlängelt. Wenn er sich auf der Nordhalbkugel weit nach Norden zurückzieht, einen "Rücken" bildet, lenkt er warme Luftmassen aus dem Süden gen Norden. Buchtet er sich jedoch weit nach Süden aus, wie jetzt im vergangenen Juli, bleiben die kühlere arktische Luft und die Tiefdruckgebiete nördlich dieses Sturmbandes quasi eingesperrt und sorgen in den darunter liegenden Regionen für unbeständiges, meist schlechtes Wetter. Manchmal bleibt so eine Ausbuchtung aber einfach auch mal eine Zeit lang stecken, sodass sich die Großwetterlage über eine längere Phase nicht mehr so ändert wie sonst üblich.

Der Strahlstrom ist das Ergebnis einer Ausgleichsströmung, die warme, aufsteigende Luft vom Äquator gen Norden transportiert. Je größer der Temperaturunterschied zwischen den niedrigen und den hohen Breiten der Erde, desto mehr Luft strömt in der oberen Troposphäre vom Äquator zu den Polen.

Auf ihrem Weg nach Norden drängt die Corioliskraft, die Erddrehung, diese Luftströmung gen Osten ab. Mit den kleiner werdenden Radien der Breitengrade nimmt die Geschwindigkeit zu und wird schließlich zu dem nordpolaren Windband, das die Großwetterlagen in Europa bestimmt.

Eine Blockierung der Tröge und Rücken ist in der Klimageschichte durchaus nicht ungewöhnlich, aber in diesem Jahr traf es gleich drei Kontinente: Neben Südeuropa litten auch das südliche Nordamerika und Ostchina unter extremer Hitze und Trockenheit. Regen mit Überschwemmungen und Kühle dagegen im Norden der USA, von China und in Japan.

"Die unbeständige Natur der Wettermuster bestimmt, wo und wann extreme Wetterereignisse stattfinden, aber die riesigen Wellen [der Jetstreams], die sich auf den Hemisphären ausbreiten, können oft Gebiete mit extremer Hitze, Dürre und Überschwemmungen miteinander verbinden", erklärt Richard Allan, Professor für Klimawissenschaften an der Universität von Reading.

All das kommt nicht von ungefähr. Die Klimaexperten sind sich einig: Das gleichzeitige Auftreten von Hitzewellen in verschiedenen Regionen der Welt und ihre vorhergesagte Intensität passen sehr gut zu den erwarteten Auswirkungen des Klimawandels auf die globalen Temperaturen. Denn die natürlichen Wetterphänomene, wie der Jetstream, lagern sich über die globale Klimaerwärmung von inzwischen 1,3 Grad, wodurch sich ihre Effekte verstärken.

"Meines Wissens ist vieles, was wir im Moment beobachten, sehr konsistent mit unseren Modellprojektionen – vor allem die außergewöhnlichen Hitzewellen über Land und im Meer, aber auch die gelegentlichen Extremniederschläge", bestätigt Jakob Zscheischler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Daniela Domeisen von der Universität Lausanne und der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich ist sich außerdem sicher: "Die aktuellen global auftretenden Extreme sind keine kurzfristige Ausnahmesituation, im Gegenteil. Die Forschung zeigt, dass die Extreme in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch weiter zunehmen werden."

Unterm Strich waren aufgrund dieser noch nicht alltäglichen Großwetterkonstellation die ersten drei Wochen des Juli weltweit die wärmste Drei-Wochen-Periode seit Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen, wie der Europäische Klimawandeldienst Copernicus und die Weltwetterorganisation WMO mitteilten. Mit 98 Prozent Sicherheit werde eines der nächsten fünf Jahre den Rekord des Jahre 2023 allerdings noch überbieten.

"Das bedeutet, dass wir den wärmsten Monat im globalen Durchschnitt seit vielen Jahrtausenden überhaupt erlebt haben. Möglicherweise seit der Eem-Warmzeit, die vor circa 115.000 Jahren geendet hat", ordnete Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig diesen Befund gegenüber dem Science-Media-Center ein.

Dass es zu so einem Extremsommer kommen konnte, dazu haben sicherlich auch andere Faktoren beigetragen, wie beispielsweise die anormal warmen Ozeane und Nebenmeere. So war der Nordatlantik bereits Mitte Juni ein Grad wärmer als im Vergleichszeitraum 1982 bis 2011, wie die US-Klimabehörde NOAA aus Satellitenmessungen errechnete. Sogar dreimal schneller als die offenen Ozeane erwärmen sich das Mittelmeer, die Ostsee, das Schwarze Meer und die südliche Arktis.

Der gerade auftretende El Niño dagegen, die in unregelmäßigen Abständen wiederkehrende, natürliche Erwärmung im Pazifik, dürfte nach Einschätzung vieler Klimawissenschaftler in diesem Sommer in Europa noch keine Auswirkungen gehabt haben – aber vielleicht 2024 und 2025.

Unsichere Regenprognosen

(Bild: Missprofessor/Shutterstock.com)

Physikalisch basierte Klimamodelle unterteilen Atmosphäre und Ozeane in ein Raster von Zellen. Für jede Zelle und jeden Zeitschritt berechnen sie Größen wie Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und Strömungsgeschwindigkeit. Dabei machen sie sich die Energie- und Massenerhaltung zunutze. Das heißt: Alles, was in eine Zelle hereinströmt, muss auch wieder hinausströmen.

Anders als bei Wettervorhersagen sind bei Klimaprojektionen nicht die möglichst präzisen Anfangswerte wichtig, sondern die Randwerte – also die Entwicklung der Treibhausgas- und Aerosolemissionen. Diese Daten stammen aus Szenarien, die von gar keiner Verringerung der Emissionen bis zur Einhaltung des Pariser Abkommens reichen.

Zur Projektion künftiger Regenmengen werden die globalen Modelle auf regionale Bedingungen heruntergerechnet. Diese regionalisierten Modelle arbeiten mit einer Zellengröße von nur wenigen Kilometern. Das reicht aber nicht, um Wolken zu modellieren – die Rasterweite ist auch hier noch zu grob.

Niederschläge entstehen in einem regionalisierten Modell, wenn die Luftfeuchtigkeit bestimmte Werte überschreite, erklärt Nora Leps vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Wolken und Niederschlag werden durch Parameter beschrieben. „Die Niederschlagsmenge wird aus empirischen Formeln berechnet, in die eine Vielzahl von Beobachtungen eingehen. Das kann sehr kompliziert werden“, sagt Leps.

Um auszuschließen, dass die Modelle in die falsche Richtung laufen, lassen Klimaforscher sie historische Zeiträume nachrechnen und vergleichen die Ergebnisse dann mit den Messwerten. Außerdem lassen sie ein Ensemble verschiedener Modelle rechnen, deren Ergebnisse dann statistisch ausgewertet werden. Während sich die globale Temperaturentwicklung mittlerweile recht gut projizieren lässt, hat die Niederschlagsprojektion daher eine große Bandbreite.

Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass mehrere Wochen Dürre einen anderen Effekt haben als ein stetiger Wechsel zwischen Trockenheit und Regen – auch wenn die Anzahl trockener Tage identisch ist. Klimaforscher müssen deshalb auch die Dauer von Trocken-, Regen- und Hitzephasen analysieren.

(jle)