Starlink-Satelliten bringen latenzarmes Internet ins Nirgendwo

Seite 3: Schrotschuss in den Nachthimmel

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Schon jetzt kann man an manchen Abenden – bevorzugt kurze Zeit nach einem Start – regelrechte Perlenketten von Satelliten am Nachthimmel vorbeiziehen sehen. Der enge Formationsflug löst sich wie beschrieben nach einigen Tagen auf. Weil sich jedoch immer mehr Bahnen nach und nach komplettieren, sind bereits jetzt Fotos vom Nachthimmel mit einem Streifenmuster zu sehen. Ursache ist das von den Satelliten reflektierte Licht.

Viele Menschen sind darüber verärgert, besonders Astronomen. Sie sehen durch den "Lichtsmog" der Starlink-Satelliten eine drastische Verschlechterung der Beobachtungsmöglichkeiten heraufziehen. SpaceX testet Beschichtungen seiner Satelliten und hat Anfang des Jahres einem DarkSat genannten Satelliten testweise eine dunklere Überfläche verpasst, was aber zu thermischen Problemen führte. Starlink L7 erhielt ein Visor Shield, das eine Art Visier darstellt, welches das Sonnenlicht abschirmt. Alle Satelliten, die nach Mitte August starten, sollen weniger hell scheinen. Die Kritik der Astronomen ist deswegen aber nicht leiser geworden. Sie beschweren sich auch darüber, dass SpaceX erst spät in der Projektphase und erst nach massiven Protesten begonnen hat, mit astronomischen Forschungsgesellschaften zu reden.

Eine Langzeitbelichtung des Nachthimmels zeigt, wo Starlink-Satelliten das Sonnenlicht reflektieren.

(Bild: Global Meteor Network)

Als zweites Problem sehen Kritiker des Projektes, dass die große Zahl der Satelliten die Kollisionsgefahr mit anderen Himmelskörpern stark erhöhen könnte. Als schlimmste Folge fürchten sie den sogenannten Kessler-Effekt: Hierbei könnten weitere Kollisionen als Folge umherfliegender Trümmerteile jegliche Starts von Himmelskörpern praktisch unmöglich machen. Die internationalen Raumfahrtbehörden verpflichten deswegen Satellitenbetreiber, ihre Satelliten nach Ende ihrer Betriebsdauer wieder sicher aus dem Orbit zu befördern. Dafür sollen die Starlink-Satelliten genügend Treibstoff an Bord haben, um sie schnell in die Atmosphäre zu verfrachten, wo sie verglühen sollen. Drei Starlink-Satelliten fanden auf diese Art schon ihr Ende.

Eine dritte Ebene der Kritik zielt darauf, dass SpaceX als einzelnes Unternehmen ohne internationale Absprachen einen Großteil der wertvollen LEO-Umlaufbahnen quasi im Handstreich einkassiert hat. Niedrige Bahnhöhen sind nämlich auch für andere Zwecke hochattraktiv, etwa für die Erdbeobachtung, die Astronomie und für Wettersatelliten. Des Weiteren mag nicht jeder Regierung gefallen, dass mit Starlink ein Internetzugang kommt, der außerhalb ihrer Regulierung steht. Missliebige Inhalte können also nicht ohne Weiteres gesperrt werden. Allerdings ist auch die andere Position zu hören, nämlich dass SpaceX anfällig für eigene Filterpraktiken sei – und als US-Unternehmen auch den US-Geheimdiensten Komplettzugriff erteilen müsse.

Kalender

2015: öffentliche Ankündigung des Systems in Seattle

2017, Oktober: Antrag bei der Fernmeldebehörde FCC für Kommunikationstests am Boden in Redmond, Washington

2018, 22. Februar: Start der Prototypen Tintin A und B

2018, 29. März: FCC erlaubt SpaceX den weltweiten Breitbandbetrieb

2019, April: Antrag für die ersten sechs Bodenstationen (North Bend WA, Conrad MT, Merrillan WI, Greenville PA, Redmond WA, Hawthorne CA, Brewster WA)

2019, April: FCC gestattet 1500 Satelliten auf 550 km Bahnhöhe

2019, Mai: Elon Musk stellt Testbetrieb nach 7 erfolgreichen Starts mit je 60 Satelliten für Sommer 2020 in Aussicht

2019, 24. Mai: Start von 60 Testsatelliten (V 0.9)

2019, 11. November: Start der ersten 60 Satelliten (V 1.0) der planmäßigen Konstellation 2019, November: Erste Berichte von Astronomen über störende Lichtspuren

2020, März: Genehmigung für 1 Million Nutzer-Terminals in den USA

2020, Juli: Start von Tests mit Freunden und Familien von SpaceX-Beschäftigten 2020, 7. August: Start weiterer 57 Satelliten

2020, 11. August: Start weiterer 57 Satelliten

2020, 18. August: Start weiterer 58 Satelliten

2020: Ausweitung des Dienstes auf Kanada

2024, März: FCC-Fix-Termin zum Aussetzen der halben beantragten Low-Earth-Orbit-Konstellation (2213 Satelliten)

2024, November: FCC-Fix-Termin zum Aussetzen der halben beantragten Low-Earth-Orbit-Konstellation (3759 Satelliten)

2027, März: FCC-Fix-Termin zum Aussetzen der gesamten beantragtenLow-Earth-Orbit-Konstellation (4425 Satelliten)

2027, November: FCC-Fix-Termin zum Aussetzen der gesamten beantragten Very-Low-Earth-OrbitKonstellation (7518 Satelliten)

Starlink ist nicht die einzige Massenkonstellation, aber die am weitesten gediehene. OneWeb, ein Unternehmen mit Sitz in London, wollte ein ähnliches Konzept mit bis zu 1980 Satelliten starten, stellte sich aber im März zahlungsunfähig unter Gläubigerschutz. 74 der OneWeb-Satelliten sind erfolgreich gestartet. Ende Juli hat ein britisch-indisches Konsortium OneWeb übernommen.

Viel Wirbel gab es schon in der Planungsphase des Projektes Kuiper, wohl weil Amazon dahinter steht. Insgesamt sollen 3236 Satelliten die Erde umlaufen. Von seinen Planungen abgerückt scheint Samsung zu sein, das 2015 eine Konstellation mit 4600 Satelliten angekündigt hatte, in jüngerer Zeit aber nichts mehr darüber verlauten ließ. Auch um Facebooks Projekt Athena ist es ruhig geworden.

Eine Konstellation von 117 Satelliten will der kanadische Konzern Telesat in eine Umlaufbahn in rund 1000 Kilometer Höhe schicken. Auch der chinesische Autobauer Geely plant ein eigenes Satellitennetz, das aber eher auf die Steuerung autonomer Fahrzeuge zielt.

Das Netz der Starlink-Satelliten wird immer dichter, hier werden gerade die Fakten geschaffen. Das Netz wird eine ernste Bedrohung für die Investitionsbereitschaft in weniger zentral gelegenen Gegenden werden. Wer dort einen Internetzugang braucht, wird auf absehbare Zeit nur auf Starlink zurückgreifen können. Völlig offen ist, wie reguliert der Internetzugang via Satellit tatsächlich sein wird und wie das Unternehmen dem Begehr nach privatsphärenschädlichen Zugriffen von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden begegnen wird.

Dieser Artikel stammt aus c't 20/2020. (mil)