Befruchtung im Weltraum: Wie kann das gelingen?

SpaceBorn United plant ein IVF-Experiment in der Erdumlaufbahn, um den Weg für lang andauernde Weltraummissionen zu ebnen.

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(Bild: Maria Jesus Contreras)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Scott Solomon
Inhaltsverzeichnis

Egbert Edelbroek gab gerade eine Samenspende ab, als er sich zum ersten Mal fragte, ob es möglich ist, im Weltraum Kinder zu bekommen. Der niederländische Unternehmer dachte über die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten von gespendetem Sperma nach und fragte sich, ob die In-vitro-Fertilisation (IVF) nicht vielleicht auch jenseits der Erde möglich wäre – oder ob sie unter den dortigen Bedingungen sogar verbessert werden könnte. Würden sich Eizellen in der Schwerelosigkeit des Weltraums vielleicht besser befruchten lassen als in einer Laborschale auf der Erde? Der Niederländer hat die Idee zum Geschäft gemacht. Heute ist Edelbroek CEO von SpaceBorn United, einem Biotech-Startup, das Pionierarbeit bei der Erforschung der menschlichen Fortpflanzung außerhalb des Planeten leisten will. Schon 2024 will er ein Minilabor auf einer Rakete in eine niedrige Erdumlaufbahn schicken, wo dann eine IVF stattfinden soll. Wenn dies gelingt, hofft Edelbroek, dass seine Pionierarbeit bei künftigen Weltraumbesiedlungen helfen könnte, denn die könnten ja Nachwuchs auch unterwegs gut gebrauchen.

"Die Menschheit benötigt einen Backup-Plan", meint er. "Wenn man eine nachhaltige Spezies sein will, muss man eine multiplanetare Spezies sein." Abgesehen von künftigen Weltraumkolonien besteht auch generell dringlicher Bedarf, die Auswirkungen des Weltraums auf das menschliche Fortpflanzungssystem zu verstehen. Bislang ist noch niemand im Weltraum schwanger geworden. Aber mit dem Aufschwung des Weltraumtourismus ist es wahrscheinlich, dass dies eines Tages geschehen wird. Edelbroek meint, wir sollten darauf vorbereitet sein. Trotz des wachsenden Interesses an der Erforschung und Besiedlung des Weltraums, das zum Teil durch Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos ausgelöst wurde, wissen wir immer noch sehr wenig darüber, was mit unserer Fortpflanzungsbiologie im Orbit passiert. Ein im September von den US National Academies of Science, Engineering, and Medicine veröffentlichter Bericht zeigt dies erneut. Darin heißt es, dass unser Verständnis darüber, wie Weltraumumgebungen die Fortpflanzung beeinflussen, für dessen langfristige Erforschung von entscheidender Bedeutung ist. "Sie ist aber bisher weitgehend nicht untersucht."

Einige Studien an Tieren haben zwar gezeigt, dass die verschiedenen Phasen der Fortpflanzung – von der Paarung und Befruchtung über die Entwicklung des Embryos bis hin zur Einnistung, Schwangerschaft und Geburt – im Weltraum normal ablaufen können. Im allerersten Experiment dieser Art entwickelten sich beispielsweise acht japanische Medakafische an Bord der Raumfähre Columbia im Jahr 1994 vom Ei bis zum Schlüpfen. Alle acht überlebten die Rückkehr zur Erde und schienen sich normal zu verhalten. Andere Studien haben jedoch Hinweise auf mögliche Probleme gefunden. Bei schwangeren Ratten, die 1983 einen Großteil ihres dritten Schwangerschaftstrimesters – insgesamt fünf Tage – auf einem sowjetischen Satelliten verbrachten, traten während der Wehen und der Geburt Komplikationen auf. Wie alle Astronauten, die zur Erde zurückkehren, waren die Ratten körperlich erschöpft und geschwächt. Ihre Geburten dauerten länger als gewöhnlich, wahrscheinlich wegen der verkümmerten Gebärmuttermuskulatur. Schlimmer noch: Alle Jungtiere eines Wurfes starben während der Geburt, was auf eine Obstruktion zurückzuführen war, von der man annahm, dass sie zum Teil auf den geschwächten Zustand der Mutter zurückzuführen ist.

Für Edelbroek deuten diese nicht eindeutigen Ergebnisse auf die Notwendigkeit hin, jeden Schritt des Fortpflanzungsprozesses systematisch isoliert zu betrachten, um besser zu verstehen, wie er durch Bedingungen wie geringere Schwerkraft und höhere Strahlenbelastung beeinflusst wird. Das von seinem Unternehmen entwickelte Minilabor ist genau darauf ausgerichtet. Es ist etwa so groß wie ein Schuhkarton und nutzt Mikrofluidik-Technik, um eine Kammer mit Spermien mit einer Kammer mit Eizellen zu verbinden. Außerdem kann es sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten drehen, um die Schwerkraftumgebung der Erde, des Mondes oder des Mars nachzubilden. Das System ist kompakt genug, um in eine kleine Raumkapsel zu passen, die auf einer Rakete untergebracht und ins All geschossen werden kann.

Nachdem die Eizelle im Gerät befruchtet wurde, teilt sie sich in zwei Zellen, von denen sich jede erneut teilt, um vier Zellen zu bilden – und so weiter. Nach fünf bis sechs Tagen erreicht der Embryo ein Stadium, das als Blastozyste bezeichnet wird und wie eine Hohlkugel aussieht. Zu diesem Zeitpunkt werden die Embryonen im Minilabor im All dann kryogenisch eingefroren, damit sie auf die Erde zurückkehren können. Doch zunächst muss SpaceBorn nachweisen, dass das Gerät im Weltraum überhaupt funktioniert. Edelbroeks Pläne für diesen Test wurden auf dem SXSW-Festival im März dieses Jahres vorgestellt. "Wir haben unseren ersten Prototyp fertiggestellt, und er wird noch in diesem Jahr an Bord einer Rakete gehen – innerhalb von sechs Monaten", sagte er vor Publikum.

Das erwies sich jedoch als zu optimistisch. Während einer Zoom-Sitzung des wissenschaftlichen Beirats von SpaceBorn United im August erklärte Edelbroek, dass ein Unternehmen, das mit der Durchführung des Raketenstarts in Island beauftragt worden war, noch nicht über die erforderlichen Genehmigungen verfügte. Edelbroek beschloss deshalb, den suborbitalen Test abzubrechen und strebt nun ein höheres Ziel an – einen dreistündigen Orbitalversuch des Geräts in Zusammenarbeit mit dem deutschen Start-up Atmos Space Cargo, der bislang für November 2024 geplant ist.

Sollte dieser Test gelingen, plant SpaceBorn United weitere Testflüge gemäß eines Missionsplans, der als ARTIS ("Assisted Reproductive Technology in Space") bezeichnet wird. Wie auf der Website des Unternehmens beschrieben, werden bei den ersten Missionen Nagetierembryonen im Weltraum unter simulierter Schwerkraft befruchtet, die der auf der Erde entspricht. Anschließend werden die im Weltraum gebildeten und für die Rückkehr auf die Erde kryogenisch eingefrorenen Embryonen einer Nagetiermutter eingepflanzt. Wenn dies zur Geburt gesunder Jungtiere führt, werden bei späteren ARTIS-Missionen auch menschliche Embryonen eingesetzt, die unter erdähnlicher Schwerkraft und schließlich unter teilweiser Schwerkraft ähnlich der auf dem Mond oder Mars befruchtet wurden.

Wenn diese Experimente zeigen, dass sich menschliche Embryonen unter diesen Bedingungen entwickeln können, wäre dies nach Ansicht von Edelbroek ein großer Fortschritt auf dem Weg zum Nachweis der Machbarkeit von Mehrgenerationen-Siedlungen im Weltraum. "Ich glaube, dass wir diese Art von Forschung auf jeden Fall brauchen", kommentiert Kelly Weinersmith, Biologin und Mitautorin eines in Kürze erscheinenden Buches über Weltraumsiedlungen mit dem Titel "A City on Mars". "Ich bin der Meinung, dass es sich lohnt, die Menschen zu einer multiplanetaren Spezies zu machen, sozusagen als Plan B", sagt sie. Sie denke aber auch, dass man das langsam angehen müsse.

Edelbroek sieht auch einen unmittelbaren Bedarf für die Forschung. Mit der Ausweitung des Zugangs zum Weltraum und insbesondere mit dem Wachstum der Weltraumtourismusindustrie wird es immer wahrscheinlicher, dass ein Baby im Weltraum gezeugt werden könnte, ob absichtlich oder nicht. Gegenwärtig gibt es nur wenige Erkenntnisse darüber, wie sich eine Schwangerschaft im Weltraum auf die Mutter oder das ungeborene Kind auswirken könnte. Edelbroek sieht die IVF-Studien des Unternehmens daher als dringend notwendig an, um über solche Risiken zu informieren. Weinersmith stimmt ihm zu. "Man möchte diese Dinge im Labor herausfinden, bevor man Touristen im Weltraum schwanger werden lässt", sagt sie.

Derzeit gehört SpaceBorn United zu den wenigen Forschenden, die sich mit der Fortpflanzung im Weltraum beschäftigen. Das liegt vor allem daran, dass nur sehr wenig öffentliche Mittel für diese Wissenschaft zur Verfügung stehen. Die NASA, die Europäische Weltraumorganisation und andere Regierungsorganisationen haben sich in der Vergangenheit bei der Finanzierung und Unterstützung von Forschungsarbeiten zum Thema Sex im Weltraum und menschliche Fortpflanzung zurückgehalten. Erik Antonsen, außerordentlicher Professor für Weltraummedizin am Baylor College of Medicine und Berater für das Humanforschungsprogramm der NASA, sieht noch ein weiteres Hindernis: die relativ geringen Mittel, die in der Vergangenheit für die medizinische Weltraumforschung überhaupt bereitgestellt wurden. "Das Human Research Program der NASA [...] hat ein Gesamtbudget von etwa 130 Millionen Dollar. Das ist schlecht", sagt er. "Und das ist die führende Forschungsgruppe im Bereich und die höchste Finanzierung, die es bislang gibt."

Der neue Bericht der National Academies könnte das ändern. Zu den Empfehlungen gehört eine Verzehnfachung der Mittel für Forschung im Bereich Biologie und Physik, einschließlich Studien zur Reproduktion. Laut Robert Ferl, dem Ko-Vorsitzenden der Forschungsgruppe, die den Bericht erstellt hat, sollte dies Studien zur Fortpflanzung in einer Vielzahl verschiedener Organismen, von Pflanzen bis hin zum Menschen, umfassen, da viele der zugrunde liegenden biologischen Prinzipien ähnlich sind.

"Wir müssen wissen, was über Generationen hinweg geschieht, denn es gibt grundlegende Prozesse, die hier ablaufen, wenn eine Eizelle produziert wird, wenn Spermien produziert werden und wenn die neue Zygote – ganz gleich, um welchen Organismus es sich handelt – zu wachsen und sich zu entwickeln beginnt", sagt er. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass die in dem Bericht empfohlene Finanzierung zustande kommen wird. In der Zwischenzeit treibt SpaceBorn United seine Pläne zur Erprobung eines IVF-Labors in einer niedrigen Erdumlaufbahn voran. Es wäre "ein wunderbares Experiment, wenn man die Finanzierung dafür hinkriegen kann", sagt Antonsen.

Edelbroek meint, er habe bisher 400.000 Dollar von Risikokapitalgebern erhalten und einen wissenschaftlichen Beirat zusammengestellt, dem Fruchtbarkeitsexperten und Ingenieure angehören. Alle Gelder werden jedoch bis Ende des Jahres aufgebraucht sein – und er muss nun genug für den ersten geplanten Orbitalversuch im nächsten Jahr einsammeln. Jeffrey Alberts, Professor an der Universität von Indiana, der die Auswirkungen der Raumfahrt auf Nagetiere untersucht hat, gibt sich optimistisch – vorausgesetzt, die zusätzlichen Mittel kommen zusammen, was keineswegs sicher ist. "Ich bin zu dem allgemeinen Schluss gekommen, dass die Befruchtung [im Weltraum] wahrscheinlich funktionieren wird", sagt er.

Doch auch wenn sie erfolgreich ist, müssen die Embryonen noch gesund zur Erde zurückkehren. Dieser Teil macht Dorit Donoviel, Direktorin des Translational Research Institute for Space Health am Baylor College of Medicine, Sorgen. "Diese Blastozysten werden auf dem Rückweg massiven g-Belastungen ausgesetzt sein", sagt sie. Marta Ferraz, die bei SpaceBorn United für Forschung und Missionsdesign zuständig ist, ist sich der Herausforderung bewusst.

"Der Wiedereintritt ist ein technologisch wirklich schwieriger Prozess", sagt sie. SpaceBorn United hat kürzlich damit begonnen, sein Prototyplabor zu testen, um die Kräfte zu messen, denen die Proben ausgesetzt sein werden. Die Ergebnisse eines kürzlich durchgeführten Falltests in großer Höhe stehen noch aus, aber das Team ist zuversichtlich, dass das Gerät ausreichend stabilisiert werden kann, um die Auswirkungen auf die Embryonen zu minimieren. Diese Informationen sind wichtig, um die Genehmigung für die Verwendung lebender Embryonen zu erhalten. Für das Genehmigungsverfahren ist das Land verantwortlich, in dem das Startunternehmen seinen Sitz hat – und die Art und Weise, wie diese Genehmigung eingeholt wird, hängt davon ab, ob es sich um eine öffentliche oder private Forschungseinrichtung handelt.

Donoviel hält dies für ein Problem. Sie war eine von 25 Mitverfassern eines kürzlich in Science veröffentlichten Meinungsbeitrags, in dem strengere und einheitliche Richtlinien für die Forschung in der kommerziellen Raumfahrtindustrie gefordert werden. Darin heißt es: "Die Unternehmen sollten Richtlinien erlassen und bewährte Verfahren entwickeln, um sicherzustellen, dass die Forschung mit privaten Geldern auf sozial verantwortungsvolle und ethische Weise durchgeführt wird." Besonders besorgniserregend sind für Donoviel die langfristigen Pläne von SpaceBorn United, IVF-Experimente im Weltraum mit menschlichen Embryonen durchzuführen. Donoviel hält dies für unethisch und befürchtet, dass sich dadurch die öffentliche Meinung gegen alle Arten von Weltraumforschung wenden könnte. "Das legt eine negative Aura über unsere gesamte Branche und unseren Bereich, deshalb bin ich sehr gegen diese Arbeit", sagt sie.

Edelbroek argumentiert, dass sein Unternehmen die ethischen Bedenken sehr ernst nimmt. Man habe vor kurzem zwei Berater eingestellt, die sich auf biomedizinische Ethik spezialisiert haben. Er fügt hinzu, dass SpaceBorn United trotz der Tatsache, dass es sich um ein privat finanziertes Unternehmen handelt, die Absicht hat, alle international anerkannten rechtlichen und ethischen Standards zu befolgen.

Reproduktionsversuche müssen jedoch nicht unbedingt mit menschlichen Proben durchgeführt werden. Jeffrey Alberts möchte, dass mehrere Generationen von Tieren wie Ratten im Weltraum geboren werden, ihr ganzes Leben dort verbringen und sich fortpflanzen. Solche Experimente wurden noch nie durchgeführt und wären der endgültige Test dafür, ob es irgendwelche Mehrgenerationen-Effekte beim Leben im Weltraum gibt – eine offene Frage, die im Bericht der National Academies hervorgehoben wird. Die Ergebnisse solcher Studien würden viel darüber aussagen, ob Weltraumsiedlungen jemals Realität werden könnten. Doch für Edelbroek ist die Tatsache, dass Mehrgenerationenstudien an Tieren nie genehmigt wurden, der Grund für die Existenz seines Unternehmens. Und auch wenn seine Forschung einigen Menschen Unbehagen bereiten mag, hält er es für wichtig, diese Grenzen zu erweitern. "Die Menschheit hat schon immer davon profitiert, ihre Komfortzone auszudehnen", sagt er. "Und wenn Sie mich fragen, wäre es gut, das auch im Weltraum zu tun."

(jle)