Stimmung aus der Retorte

Inhaltsverzeichnis

BZP ist zwar ebenfalls ein ziemlich wirksames Stimulans für das zentrale Nervensystem. Für die medizinische Anwendung beim Menschen wurde es aber schon Mitte der siebziger Jahre abgeschrieben, weil es als Antidepressivum scheiterte. Der Grund lag in den Nebenwirkungen – Herzrasen, Übelkeit, Krampfanfälle. Dem Partyvolk erging es mit BZP nicht besser als den Patienten in der Psychiatrie, das merkten schließlich auch die offiziellen Stellen, und 2009, fast ein Jahrzehnt nach seinem Start als Partydroge, stand der Stoff endlich auf der EU-Drogenliste. Seitdem ist BZP streng kontrolliert, seine Verbreitung strafbar.

Die Antwort der Produzenten? Eine ganz neue Generation "BZP-freier" Produkte bilden den Anfang der aktuellen Schwemme. "Sie brauchten Stoffe, die noch nicht illegal waren und schon verfügbar oder leicht herzustellen sind", sagt Registerchef Ramsey. "Die meisten sind einfache Varianten bekannter Verbindungen – gerade so viel anders, dass sie das außerhalb der legalen Kontrolle stellt."

Hinter den Drogendesignern, die sich geschickt über diese Risiken hinwegsetzen, steht eine Wirtschaftsmacht. Vor zwölf Jahren, wenige Wochen nachdem der Neuseeländer Matt Bowden mit seiner Firma Stargate International die ersten BZP-Produkte als sogenannte "Dance Pills" in seiner Heimat unters Volk gebracht hatte, waren die Tütchen in den Clubs der gesamten westlichen Hemisphäre verbreitet. Ein Spitzname für Bowden war schnell gefunden: Lord of Legal Highs.

Auf die Frage nach seinem damaligen Einkommen weicht der inzwischen geachtete Industrielle charmant aus: "Na ja, es reichte, um eine ziemlich coole Party zum 40. Geburtstag zu schmeißen." Nach Recherchen des Fernsehsenders TV3 erzielten Bowden und die anderen Legal-Highs-Hersteller Neuseelands in den BZP-Boom-Jahren etwa 24 Millionen Neuseeländische Dollar Umsatz jährlich, rund 15 Millionen Euro.

Heute gibt Bowden, der sein Metier völlig offen ausübt, den Gesundheitsapostel unter den Drogenproduzenten. Er möchte helfen, die "Schäden des Drogenkonsums zu minimieren". Dazu suche er nach Ersatzsubstanzen für herkömmliche Drogen, die weniger Nebenwirkungen hätten. Nach der weltweiten BZP-Ächtung hat Bowden eine neue Produktpalette für sich entdeckt: Kräutermischungen als Cannabisersatz. Bowdens Kreation heißt "Kronic", getrocknetes Grünzeug, das wie Marihuana geraucht werden kann.

Die Zusammensetzung ist ein streng gehütetes Betriebsgeheimnis. Angeblich sollen die Pflanzenreste von Lotus, Strandbohne oder Herzgespann stammen – allesamt althergebrachte Rauschpflanzen. Es ist unklar, ob das stimmt. Klar ist dagegen inzwischen, dass in dem vermeintlichen Naturprodukt zusätzlich weit mehr steckt als über Jahrhunderte erprobtes Schamanenwissen: Das neuseeländische Umweltamt stieß im Juni 2011 bei dem Kräuterprodukt Kronic auf einen ganzen Strauß experimenteller Chemikalien aus der Hirnforschung: Offenbar waren die Substanzen JWH-018, JWH-073 und RCS-04 untergemischt worden, chemisch elegant maskiert von den Pflanzen-inhaltsstoffen. Wirkung auf den Menschen? Unbekannt.

Diese Stoffe gehören zur Klasse der synthetischen Cannabinoide. Wie das Tetrahydrocannabinol (THC) aus Marihuana sprechen sie eine spezielle, noch immer sehr geheimnisvolle Rezeptorklasse an den Gehirnzellen an. Um das Rezeptorsystem im Tiermodell untersuchen zu können, entwickelten Biochemiker eine ganze Klasse von Molekülen, die besonders fest diese Rezeptoren bindet – mit entsprechend starker Wirkung, aber zu rein wissenschaftlichen Zwecken. Das umfangreichste Arsenal stammt von dem US-Chemiker John W. Huffman. Insgesamt 470 Moleküle, deren Kurzname mit JWH beginnt, wie bei zweien der drei Stoffe in Kronic. Auch der Kronic-Trend schwappte schnell nach Europa: Hier vertrieb die Londoner Firma Psyche Deli ihr Produkt unter dem Namen Spice: Ebenfalls angeblich Schamanenkräuter – und in Wirklichkeit eine wilde Mischung an Chemie.

Huffmans Substanzen mit dem Code JWH sind zurzeit in der EU die zweithäufigste Gruppe bei den neuen Drogen, Tendenz steigend. Zurzeit verkaufen zwei Dutzend Internetshops synthetische Cannabinoide. Zehn Gramm für etwa 200 Euro. Zwar wurden in einem EU-weiten Eilverfahren Spice und fünf der darin enthaltenen psychoaktiven Substanzen verboten. Und zwölf weitere, die danach in Spice-Nachahmer-Präparaten auftauchten, sind ebenfalls Kandidaten für die Schwarze Liste. Doch bleiben noch ungefähr 700, die in der wissenschaftlichen Literatur auf ihre Wiederentdeckung warten. Einige davon sind 800-fach stärker als THC.

Das verspricht gute Geschäfte für die kommenden Jahre – aber auch Arbeit für Gerichtsmediziner. Denn aufgrund ihres Designs, das sie besonders hartnäckig an die Rezeptoren binden lässt, kann man sich an den synthetischen Cannabinoiden auch zu Tode kiffen. Außerdem ist die Darreichungsform mit Pflanzenresten zusätzlich gefährlich: Denn die zugesetzten Substanzen sind in den Mischungen nicht gleichmäßig verteilt, sondern sammeln sich im Pflanzenstaub am Boden einer Packung zu einer Überdosis.

Der 79-jährige Huffman analysierte inzwischen selbst solche Proben: Sie waren viel reiner als die Originale, die in seiner Arbeitsgruppe entstanden waren. "JWH-018 hatten wir als bernsteinfarbenes Harz synthetisiert. Diese Leute produzieren aber einen Feststoff", berichtete er im Fachmagazin "Chemical & Engineering News". "Sie müssen es also im großen Stil reinigen, mit automatisierten Methoden."

Aber wer kann das? Bowden sagt, dass er seine Grundstoffe aus China importiert, er handle dort mit spezialisierten pharmakologischen Fabriken. Gut möglich. Produktionsstätten in Ostasien würden erklären, warum ausgerechnet das kleine Neuseeland als eine Art Seismograf für neue Drogentrends fungiert. Hier taucht zuerst auf, was kurz darauf die "Badesalz"-Dosen, Pillentütchen und Wasserpfeifen der Welt füllt – weil der Weg zu den Herstellern am kürzesten ist.

Um im Wettlauf mit dem Erfindungsgeist der Drogendesigner nicht immer hinterherzulaufen, lotet das Gesundheitsministerium die Möglichkeiten für neue Gesetze aus. Die Idee: In Zukunft sollen nicht nur einzelne Stoffe als Rauschmittel verboten werden können, sondern ganze Substanzfamilien. Ein entsprechendes Rechtsgutachten hat gerade ein Juristenteam der Philipps-Universität Marburg vorgelegt. Auch in anderen EU-Ländern gibt es solche Ideen.

Aber wäre das klug? "Wer eine gerade aufkommende Drogenklasse komplett verbietet, sorgt dafür, dass ganz neue produziert werden", sagt der Londoner Drogendetektiv John Ramsey. Je schneller diese Rüstungsspirale ins Rotieren komme, desto unsicherer seien die Produkte für die Benutzer, weil immer exotischere Substanzen auftauchen. Ramsey drückt nicht nur die Befürchtungen vieler Toxikologen aus, er ist auch ganz auf einer Linie mit Matt Bowden, dem "Lord of Legal Highs". "Wir brauchen ein Umdenken", sagt der Neuseeländer. "Drogen sollten nicht strikt verboten, sondern behandelt werden wie Arzneimittel. Sorgfältig testen und nur die guten zulassen." (bsc)