Stoffe mit Helfersyndrom

Rohstoffe aus Abgasen, grüner Treibstoff, umweltfreundlicher Dünger oder Abbau von Plastik: Wie sich das Gebiet der Katalysator-Forschung dazu aufschwingt, drängende Probleme der Menschheit zu lösen.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Wolfgang Richter

"Nichts ist bedeutender in jedem Zustande, als die Dazwischenkunft eines Dritten." Mit diesem Satz beginnt der Roman "Die Wahlverwandtschaften", mit dem Johann Wolfgang von Goethe 1809 die zwischenmenschlichen Wirren betrachtet, die ein Fremder unter Freunden, Ehegatten oder Liebenden auslösen kann. Gleichzeitig hat Goethe damit einem der wichtigsten Prinzipien der Chemie ein literarisches Denkmal gesetzt. Denn es ist das Motiv des Katalysators, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Von außen hinzukommende Personen mischen darin den Reigen der Protagonisten jedes Mal neu. Der Naturforscher Goethe lässt seine Figuren sogar selbst die Analogie zu chemischen Reaktionen ziehen – auch wenn sie dabei nicht das Wort Katalysator verwenden. Denn das wurde erst 1835 vom schwedischen Chemiker Jöns Jakob Berzelius erfunden.

Aber im Unterschied zu den Wahlverwandtschaften geht die Geschichte der Katalysatoren gut aus. Sie endet nicht mit einem Auseinanderbrechen menschlicher Beziehungen, sondern öffnet die Tür zu einer neuen Art des Wirtschaftens: Katalysatoren könnten wirklich grünen Kraftstoff möglich machen, die Umwelt von Plastikmüll befreien oder Kohlendioxid aus der Luft zurück in deponierbare Kohle verwandeln. Neue Entwicklungen in diesem Feld helfen, ein paar drängende Probleme der Menschheit zu lösen.

Etwa 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid bläst die Menschheit jedes Jahr in die Atmosphäre. Zahlreiche Forscher weltweit versuchen, das Treibhausgas wieder aus der Luft zu holen und so die Erderwärmung zu bremsen. Aber keine der Methoden ist bisher wirtschaftlich. Wird sich das jemals ändern? Torben Daeneke von der RMIT University in Melbourne sieht dafür durchaus eine Chance. Anfang des Jahres publizierte er ein viel beachtetes Experiment. Die Forscher hatten sich einen Effekt zunutze gemacht, der eigentlich der Horror jedes Katalysatorentwicklers ist: die sogenannte Verkokung. Bei Reaktionen von Kohlenwasserstoffen bilden sich feste Nebenprodukte aus kohlenstoffhaltigen Verbindungen, die sich dann ablagern. Das kann den Katalysator unbrauchbar machen. Der Grund für die Ablagerung sind schwache elektrische Anziehungskräfte, die sogenannten Van-der-Waals-Kräfte. Daeneke musste also eine Substanz finden, bei der diese Kräfte nicht auftreten. "Wir verwenden deshalb einen Katalysator aus flüssigem Metall", erklärt der Forscher.

Dazu eignet sich das relativ häufig vorkommende Element Gallium. Bei 29 Grad Celsius ist es eine silbrig-weiße, ungiftige Flüssigkeit. In sie eingebettet haben die Forscher geringe Mengen des Elements Cer. Ein hochreaktiver Stoff, der übrigens vom eingangs erwähnten Berzelius entdeckt wurde, dem Erfinder des Wortes Katalysator. Das Cer hat nun die Kraft, das eigentlich sehr stabile CO2-Molekül zu spalten und sich selber mit dem Sauerstoff zu verbinden. Dieses CeCO2 kann dann durch einen elektrischen Strom, der durch das Flüssigmetall fließt, wieder zu elementarem Cer zurückverwandelt werden. Der Kohlenstoff aber verklumpt mit einigen wenigen Sauerstoffatomen zu festen, nur Nanometer dicken Plättchen. Diese scheiden sich von der Oberfläche des Flüssigmetalls ab und lassen sich leicht herausfiltern.

"Nichts würde dagegensprechen, dieses Material einzulagern", sagt Lukas Ahrem vom Umweltbundesamt, der sich mit der australischen Studie beschäftigt hat. Einen Haken hat die Methode allerdings: "Die Energie, die bei der Verbrennung von Kohle zu CO2 entsteht, muss mindestens wieder aufgewendet werden, um aus CO2 erneut Kohlenstoff herzustellen", betont Ahrem. "Daran kann auch der beste Katalysator nichts ändern.“

Es macht daher keinen Sinn, mit der Methode das in Kraftwerken und Fabriken produzierte Kohlendioxid in einen Feststoff zu verwandeln. Der gesamte Strom eines Kraftwerks würde für die sichere Einlagerung seiner Abgase draufgehen. Anders sähe es aus, wäre die Menschheit gezwungen, die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre zu senken. Dann könnten erneuerbare Energien den Strom liefern – wenn das Verfahren effizient genug ist, um nicht gleich die gesamte Elektrizitätserzeugung aufzufressen. Diesem Ziel sind die australischen Forscher tatsächlich einen großen Schritt näher gekommen, denn bisher war dies nicht bei Raumtemperatur, sondern nur bei hohen Temperaturen von etwa 700 Grad Celsius möglich. Die Gefahr, dass sein Experiment als Ausrede für weniger Anstrengungen beim Klimaschutz missbraucht werden könnte, sieht zwar auch Daeneke. "Dennoch kann es sein, dass wir irgendwann in der Zukunft wirklich massiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen müssen, um die Menschheit zu retten", sagt er.

Von weiteren "Stoffen mit Helfersyndrom" lesen Sie in der gedruckten Technology Review.

(rot)