Gegen die Dunkelflaute: Experten sehen Zubau neuer Back-up-Kraftwerke kritisch

Die Kraftwerksstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums enthält Wasserstoffkraftwerke gegen Dunkelflauten. Doch Experten sehen noch andere Hebel.

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Im Hintergrund eine Hochspannungsleitung, im Vordergrund ein Schild "Warning Petroleum Pipeline"

Hier verlaufen eine Pipeline und eine Hochspannungsleitung parallel

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Mit einer Reihe von wasserstoffbetriebenen Elektrizitätswerken, die in Reserve stehen, aber schnell hochgefahren werden können, will das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) durch Dunkelflauten entstehende Stromlücken überbrücken. Das sind Zeiten, in denen Wind- und Solarkraftwerke wegen Windstille, Wolken und Dunkelheit nicht genug Strom liefern und in denen das Netz instabil werden kann. Der Plan ist Teil der Kraftwerksstrategie des BMWK. Über die Eckpunkte für eine Förderung dieser Strategie hat sich das Ministerium jetzt mit der EU-Kommission geeinigt. Nun steht eine Konsultationsphase an, in der sich betroffene Verbände, Hersteller und Betreiber von Kraftwerken, Infrastrukturen und Elektrolyseuren zu den Auswirkungen auf den Wettbewerb und angemessene Fördermaßnahmen äußern können.

Die Strategie sieht vor, dass jetzt möglichst schnell sogenannte Sprinter-Kraftwerke gebaut werden, die bis 2028 zunächst 4,4 Gigawatt Leistung bereitstellen. Sie laufen von Beginn an mit Wasserstoff und werden deshalb in der Nähe von Wasserstoffproduktionsanlagen oder an den heutigen Flüssigerdgas-Terminals an der Küste stehen, die bereits für den Umstieg auf Wasserstoff vorbereitet sind.

Für weitere 4,4 Gigawatt sind Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerke geplant. Das sind integrierte Anlagen, in denen mit Wind oder Sonne betriebene Elektrolyseure Wasserstoff produzieren und ihn auch lokal speichern können.

Die dritte Säule schließlich sind sogenannte H2-Ready-Kraftwerke, die zunächst mit Gas laufen, bis 2035 aber auf Wasserstoff umgestellt sein müssen. Die sollen dann eine Kapazität von bis zu 15 Gigawatt haben. Insgesamt sollten diese knapp 24 Gigawatt genügen, Dunkelflauten auszugleichen.

Experten sind allerdings skeptisch. Sie sehen intelligentere Möglichkeiten, Dunkelflauten zu begegnen. Dazu muss vor allem der Strommarkt viel flexibler, automatisierter und vernetzter werden, mit zeitlich unterschiedlichen Strompreisen. Allein dadurch lässt sich einen großer Teil des oft nur wenige Stunden dauernden Strommangels ausgleichen.

"Was wir brauchen, ist, dass die Preise die Netzsituation besser darstellen", meint Andreas Löschel, Professor am Lehrstuhl für Umwelt-, Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität in Bochum. "Das gibt es eben augenblicklich noch nicht so. Wenn, dann eben nur für große Verbraucher, aber eben nicht für die kleineren Verbraucher, die häufig noch feste Tarife zahlen."

Aber auch die anderen Netzkomponenten, die sich auf den Strompreis auswirken, müsse man anpassen. Da sind zum einen die flexiblen Großhandelspreise, deren Schwankungen nicht an Privatkunden weitergegeben werden, und die Netzentgelte, die nicht an die Verbräuche angepasst sind.

Patrick Jochem, Abteilungsleiter Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart, geht noch einen Schritt weiter und hält Smart Meter für unabdingbar, um die Variabilität auch zu nutzen. Mehr noch: "Wir brauchen Home-Energy-Management-Systeme, die dann auch das ganze Controlling übernehmen, über die Last, zum Beispiel bei der Elektrofahrzeugladung oder auch bei den Wärmepumpen." Gleichzeitig weist er aber auch darauf hin, dass die Erfahrung noch fehlt, um diese Flexibilität auch abschätzen zu können. Für private Verbraucher wäre es allerdings ohne teure Smart-Home-Ausstattungen ziemlich umständlich, sich zeitlich nach den jeweiligen Strompreisen zu richten.

Andreas Löschel kann sich vorstellen, diese An- und Abschaltungen an sogenannte Aggregatoren zu delegieren. Das sind Leute oder Firmen, die die Strompreise automatisch registrieren und den Verbrauch den Gewohnheiten der Haushalte anpassen. "Man gibt dann etwas Entscheidungsbefugnis ab, um dann durch den Aggregator Zeiten nutzen zu können, wo Strom im Überfluss vorhanden ist." Wolle man beispielsweise morgens die Batterie des Autos zu 80 Prozent aufgeladen haben, könnte man es dem Aggregator überlassen, das Auto zur günstigsten Zeit zu laden.

Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3) der Technischen Universität Dortmund spinnt den Faden sogar noch weiter: "Technologisch könnte so ein Aggregator einer der IT-Tech-Giganten sein. Zum Beispiel Amazon." Dessen Sprachassistent Alexa wisse, wie sich seine Umgebung verhält, wann Waschmaschine oder Trockner üblicherweise liefen, wann das E-Auto geladen sein müsse. Anhand dieser Informationen könne Amazon dann ein Energiemanagement für Haushalte anbieten und dann gleichzeitig Millionen von Kunden orchestrieren. Für viele Verbraucher dürfte das allerdings eher ein Schreckensbild sein.

Doch ohne neue Kraftwerke wird es dennoch nicht gehen. Dabei ist unklar, wie sich Anlagen wirtschaftlich betreiben lassen, die nur selten dazugeschaltet werden. Es gibt in Deutschland keine Anreize, in solche Kraftwerke zu investieren. "Wenn man mit einzelnen Firmen spricht, sagen die: Ja, wir würden gerne investieren. Aktuell investieren diese Firmen – große deutsche Kraftwerksfirmen oder Versicherungen – aber in anderen Ländern, in den USA, in Italien, weil man dort andere Marktregularien hat", weiß Rehtanz.

Deshalb bleibt er auch skeptisch: "Wenn wir nicht bis 2030 massiv etwas in dem Bereich beschleunigen, werden wir nur wenige oder keine neuen Gaskraftwerke sehen. Und wir werden gleichzeitig die Automatisierung, Smart Meter, Flexibilisierung, eben nicht so weit vorangetrieben haben, dass die Potenziale der Flexibilität erschlossen sind. Die Konsequenz ist, dass wir dann die Kohlekraftwerke eben nicht aus dem Markt nehmen können."

Durch intelligente Technik lässt sich viel sparen – solange das nicht zu Rebound-Effekten führt, zum Mehrverbrauch, weil Strom billiger wird.

(jle)