Stunde der Exoten

Um die Leistung von Computern weiter massiv zu steigern, müssen Forscher sie neu erfinden. Einige behaupten, genau dies getan zu haben.

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Von
  • Christian J. Meier
Inhaltsverzeichnis

"Wir wollen Computer 100- bis 1000-mal leistungsstärker machen", sagt Max Shulaker vom Massachusetts Institute of Technology in Boston. Es ist eine mutige Aussage des Elektrotechnikers – aber eine in Zeiten, die diesen Mut nötig haben. Denn der Fortschrittsmotor der Computerbranche, das Mooresche Gesetz, stottert immer vernehmlicher. In nicht einmal zehn Jahren könnte er ganz stehen bleiben. Für Shulaker wäre es eine Riesenchance, den Branchenriesen wie Intel oder AMD die Stirn zu bieten.

Denn die etablierten Unternehmen treiben den technischen Fortschritt seit nunmehr gut 50 Jahren vor allem mit einem Rezept voran: schrumpfen. Mit jeder Technikgeneration sinkt die "Strukturbreite", die Größe der Transistoren auf den Chips. Damit lässt sich zum einen mehr Elektronik auf der gleichen Grundfläche unterbringen. Zum anderen schalten die Transistoren auch schneller als ihre Vorgänger. Die Folge: Die Rechenkraft von Chips explodierte wie die Algenblüte in einem See – gleichzeitig wurden Prozessoren immer energieeffizienter und billiger.

TR 2/2017

(Bild: 

Technology Review 2/17

)

Dieser Artikel stammt aus dem Februar-Heft von Technology Review. Weitere Themen der Ausgabe:

Aber schon seit 2005 zahlt sich das Mehr an Transistoren nicht in einem verhältnisgleichen Mehr an Leistung aus. Denn mit schrumpfenden Transistoren wurden deren Isolierungen immer dünner, Strom begann zu lecken. Die Folge: Wer heute viel Rechenleistung braucht, braucht viel Energie, vor allem für die Kühlung. Allein Googles Rechenzentren benötigten 2014 zusammen mehr als vier Milliarden Kilowattstunden Strom – so viel wie eine kleine Großstadt.

Spätestens 2025 könnte der bisherige Weg endgültig zu Ende sein, schätzt selbst Intel-Chefentwickler Josh Fryman. Dann werde sein Unternehmen wahrscheinlich mit einer Strukturbreite von nur noch fünf Nanometern arbeiten. Und unterhalb dieser Größe würden die Transistoren nicht mehr verlässlich funktionieren. Dann sind Alternativen gefragt.

Max Shulaker hätte eine zu bieten. Er setzt zwar auf digitale Elektronik, aber auf ein anderes Material, sogenannte Kohlenstoff-Nanoröhrchen (kurz: CNT von "carbon nanotube"). Als einzelnes, röhrenförmiges Molekül aus Kohlenstoffatomen bildet ein CNT eine Schiene für Elektronen. Sie können darauf ungehemmt gleiten, und zwar 10000-mal schneller als in Silizium. Wegen der hohen Agilität der Elektronen lässt sich Strom besonders schnell und effizient an- und abschalten. Wem solche Versprechen allzu bekannt vorkommen, hat recht: Wegen ihnen stiegen in den 1990ern die großen Halbleiterfirmen in die Erforschung der CNTs ein.

Sie stießen aber bald auf große Hürden, die den anfänglichen Hype bremsten. Zum einen sind die nur einen Nanometer (Millionstel Millimeter) dünnen CNTs schwer zu handhaben. In einem Prozessor müssen aber viele CNTs exakt parallel ausgerichtet werden. Viele, weil hoher Stromfluss die Signale beschleunigt. Parallel, weil quer liegende CNTs Kurzschlüsse verursachen.

Zum anderen entstehen bei der Herstellung immer ein paar CNTs, die Strom nicht wie gewünscht wie ein Halbleiter leiten, sondern wie ein Metall, und so eventuell störende Kurzschlüsse verursachen. Inzwischen seien beide Hürden aber überwunden, sagt Shulaker. Sein Team hat parallel ausgerichtete CNTs auf einer Kristalloberfläche wachsen lassen, mit einem Stempel abgelöst und auf ein Substrat verfrachtet. Die darauf noch vorhandenen metallisch leitenden CNTs verbrannten die Forscher mithilfe einer hohen elektrischen Spannung. So gerüstet, baute der Elektroingenieur 2013, damals noch an der Stanford University, einen einfachen, aber multitaskingfähigen Computer mit 178 Transistoren aus CNTs.

Inzwischen sei die Technologie weiter gereift und erlaube den Bau dreidimensionaler Chips, sagt Shulaker. Wenn Schaltkreise wie Stockwerke in einem Hochhaus übereinandergeschichtet werden, verkürzen sich die derzeit oft millimeterlangen Wege, die Daten zwischen Speicher und Prozessor zurücklegen müssen. So will Shulaker seine 100- bis 1000-fache Leistungssteigerung erreichen. Sein Team am MIT will in wenigen Monaten einen ersten 3D-Chip vorstellen. Vier Schichten mit logischen Schaltkreisen, Speicher und Sensoren werde das Gerät enthalten, verspricht Shulaker. "Insgesamt besteht es aus zwei Millionen CNT-Transistoren, dazu eine Million Speicherzellen und eine Million Sensoren", sagt Shulaker. Mehr Einzelheiten will er nicht nennen, bevor das entsprechende Paper nicht veröffentlicht ist.

Franz Kreupl, CNT-Experte der Technischen Universität München, ist dennoch skeptisch: Erstens gebe es noch ungelöste Probleme. So sei etwa die Kontaktierung der CNTs zu anderen elektronischen Komponenten zu klobig, was bedeute, dass die kontaktierten CNT-Transistoren ebenfalls sehr groß werden müssten. Der Konkurrenzvorteil gegenüber Siliziumtransistoren wäre dahin. Zudem, meint der Physiker, müsse die Halbleiterbranche für eine Kohlenstoffelektronik ihre ganze etablierte "Nahrungskette" umstülpen.